Aktuelle Zahlen zur Polymedikation |
Daniela Hüttemann |
29.08.2022 09:00 Uhr |
Es gibt keine offizielle Definition von Polymedikation. Allgemein üblich ist damit die dauerhafte Einnahme von mindestens fünf verschiedenen verordneten Wirkstoffen gemeint. So definiert es auch das Zi. / Foto: Adobe Stock/sebra
Bereits 2007 trat der erste Aktionsplan zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) in Deutschland in Kraft. Aktuell gültig ist der fünfte Plan (2021 bis 2024). Und tatsächlich hat sich in den vergangenen Jahren einiges geändert. Das Thema komme immer mehr in den Köpfen an, konstatierte Gesundheitswissenschaftlerin Maike Below vom Zi diese Woche beim digitalen Kommunikationsformat »Zi Insights« zu dem Thema »Arzneimitteltherapiesicherheit in der Praxis – Herausforderung Polypharmazie«.
Nach aktuellen Zahlen des Zi erhielten im vergangenen Jahr 19 Prozent aller Patienten unter Arzneimitteltherapie in mindestens zwei Quartalen fünf oder mehr verschreibungspflichtige Wirkstoffe. »Deutlich ausgeprägter ist die Polypharmazie bei den Patienten ab 65 Jahren: Dort waren 44 Prozent betroffen«, erläuterte Below.
Patienten mit Polypharmazie erhielten dem Zi zufolge in allen vier Quartalen im Durchschnitt 8,3 verschiedene Wirkstoffe, die durchschnittlich von zwei verschiedenen Arztpraxen pro Quartal verordnet wurden. Damit bleibe die Polymedikation eine große Herausforderung. Das Zi sieht hier vor allem den Hausarzt in der Verantwortung, die Übersicht zu behalten. Ohne digitale Unterstützung sei dies nicht mehr beherrschbar.
2020 hätten beispielsweise rund 135.000 Patienten ab 65 Jahren gleichzeitig einen selektiven Serotonin-Rezeptor-Inhibitor (SSRI) und einen Thrombozyten-Aggregations-Hemmer (TAH) bekommen, was das Blutungsrisiko erhöhen kann. In 80 Prozent der Fälle kam die Verordnung vom selben Arzt. Hier müsse die Dauermedikation bei Neuverordnungen noch stärker berücksichtigt werden.
»Es gibt aber auch erhebliche Verbesserungen in der Versorgung«, so die Referentin. Während 2009 noch knapp 25 Prozent der Patienten ab 65 Jahren unter Arzneimitteltherapie eine potenziell inadäquate Medikation (PIM) erhielten (gemäß Priscus-Liste), waren es zehn Jahre später nur noch knapp 16 Prozent.
Als besondere Herausforderungen benannte Below das Medikationsmanagement von älteren (multimorbiden) Patienten, Patienten nach Krankenhausaufenthalt sowie jüngere chronisch Kranke. Bei einem Krankenhausaufenthalt verändere sich die Medikation mitunter massiv. Den Zi-Daten zufolge bekommen Patienten nach einem Herzinfarkt durchschnittlich doppelt so viele Wirkstoffe verordnet wie vor dem Krankenhausaufenthalt.
Bei den chronisch kranken Patienten könne die Betreuung durch verschiedene Fachgruppen den Überblick über die Gesamtmedikation erschweren. So hätten 2020 etwa 2 Prozent der Patienten mit Metformin zeitgleich Trimethoprim erhalten – 41 Prozent von ihnen aus unterschiedlichen Praxen. Und bei Epilepsie-Patientinnen, die schwanger werden, würden die potenziell teratogenen Medikamente immer noch zu häufig zu spät angepasst, da hier Gynäkologe, Neurologe und Hausarzt oft nicht ausreichend informiert seien oder diesen Aspekt bedenken.