Acoramidis reduziert Mortalität und bessert Lebensqualität |
Brigitte M. Gensthaler |
29.04.2025 07:00 Uhr |
Die nicht erbliche Form der Transthyretin-Amyloidose, der sogenannte Wildtyp, betrifft vorwiegend Männer über 65 Jahre. Herzinsuffizienz und -rhythmusstörungen sowie abnehmende körperliche Belastbarkeit sind typische Anzeichen. / © Adobe Stock/InsideCreativeHouse
Amyloidosen entstehen durch Ablagerungen von fehlgefalteten Proteinen. Verschiedene Proteine können eine Amyloidose auslösen und die Amyloid-Fibrillen können sich an vielen Organen ablagern. Für das Herz sind vor allem die Amyloidose aus Transthyretin (ATTR) und die Leichtketten-Amyloidose (AL) wichtig.
Das Protein Transthyretin wird überwiegend in der Leber gebildet und ist für den Transport von Vitamin A und Schilddrüsenhormonen verantwortlich. Vier Monomere bilden zusammen einen Transportkörper.
Bei Menschen mit ATTR-Amyloidose ist dieses Tetramer fehlerhaft und zerfällt. Grund kann sowohl ein erblicher Gendefekt als auch fortschreitendes Alter sein. Durch Fehlfaltung aggregieren die Eiweißmonomere zu oligomeren Amyloid-Vorläufern, die sich im Herzen ablagern, wo sie sich zu Amyloid-Fibrillen organisieren.
Acoramidis ist – wie das bereits verfügbare Tafamidis (Vyndaquel®) – ein spezifischer TTR-Stabilisator. Es bildet Wasserstoffbrücken zwischen benachbarten Serinresten innerhalb beider Thyroxin-Bindungsstellen des Tetramers aus. Diese Wechselwirkung erhöht die Stabilität des Tetramers, hemmt seine Dissoziation in Monomere und verlangsamt so den amyloidogenen Prozess, der zu ATTR-Kardiomyopathie führt. Unter Acoramidis wurde eine nahezu vollständige Transthyretin-Stabilisierung beim Wildtyp (Kasten) und bei allen getesteten amyloidogenen Genotyp-Varianten beobachtet.
Die nicht erbliche Form der ATTR-Amyloidose wird als Wildtyp (wtATTR) bezeichnet; sie betrifft vorwiegend Männer über 65 Jahre. Ist die veränderte Struktur des Transthyretin-Proteins vererbt, spricht man von einer hereditären oder hATTR. Die Systemerkrankung manifestiert sich häufig am Herzen und im peripheren Nervensystem.
Man unterscheidet zwei Formen einer Transthyretin-Amyloidose. Bei der ATTR mit Kardiomyopathie (ATTR-CM) führen die Ablagerungen zu einer Verdickung und Versteifung des Herzmuskels. Die ATTR mit Polyneuropathie (ATTR-PN) betrifft dagegen das Nervensystem außerhalb von Gehirn und Rückenmark. Mögliche Symptome bei Herzbefall sind Herzmuskelschwäche mit Atemnot und Wassereinlagerungen sowie Herzrhythmus- und Blutdruckregulationsstörungen.
Die Filmtabletten mit je 356 mg Acoramidis (Beyonttra®, Bayer) sind zugelassen zur Behandlung der Wildtyp- oder erblichen Transthyretin-Amyloidose bei erwachsenen Patienten mit Kardiomyopathie (ATTR-CM). Die Patienten nehmen zweimal täglich zwei Tabletten, entsprechend 712 mg Acoramidis, mit Wasser und unabhängig von den Mahlzeiten ein. Die Tagesdosis beträgt also 1424 mg. Hat der Patient eine Einnahme vergessen, schluckt er die nächste Dosis zum nächsten regulären Zeitpunkt.
Für Patienten mit schwerer Nierenfunktionsstörung (Kreatinin-Clearance unter 30 ml/min) liegen nur begrenzte Daten vor, für Dialysepatienten gar keine. Da das Medikament nicht bei Patienten mit Leberinsuffizienz geprüft wurde, wird es hier nicht empfohlen.
In der randomisierten doppelblinden Phase-III-Studie ATTRibute-CM wurden Wirksamkeit und Sicherheit von Acoramidis bei Patienten mit ATTR-CM untersucht (DOI: 10.1056/NEJMoa2305434). Aufgenommen wurden 632 Menschen mit Wildtyp- oder hereditärer ATTR-CM und Herzinsuffizienz der NYHA-Klassen I bis III. Die Patienten erhielten 30 Monate lang zweimal täglich 712 mg Acoramidis (n = 421) oder Placebo (n = 211).
Die primären Endpunkte waren hierarchisch geordnet: Tod jeglicher Ursache, kardiovaskulär bedingte Klinikaufenthalte, Veränderungen der Spiegel von NT-proBNP (N-terminales pro-B-Typ natriuretisches Peptid) und die Sechs-Minuten-Gehstrecke. In der Wirksamkeitsanalyse wurden in einem festgelegten Verfahren alle Patienten paarweise miteinander verglichen. Das Ergebnis war statistisch signifikant.
Die Gesamtmortalität betrug nach 30 Monaten 19,3 versus 25,7 Prozent unter Acoramidis versus Placebo. Acht von zehn Todesfällen waren kardiovaskulär bedingt, wobei Acoramidis diese Mortalität gegenüber Placebo relativ um 30 Prozent reduzierte.
Bis der Nutzen für den Patienten im Alltag spürbar wird, dauert es. Ein Vorteil von Acoramidis auf die Leistungsfähigkeit und den Gesundheitszustand, gemessen mit der Gehstrecke und einem Lebensqualität-Score, ergab sich erstmals in Monat 18 beziehungsweise Monat 3, hielt aber bis Monat 30 an.
438 Teilnehmer beendeten die Studie ATTRibute-CM und 389 gingen in die offene Verlängerungsstudie über (DOI: 10.1161/CIRCULATIONAHA.124.072771). Dabei setzten 263 Patienten Acoramidis fort und 126 wechselten von Placebo zu Verum. Bei letztgenannten stiegen die Transthyretin-Serumspiegel sofort an. Die kürzlich veröffentlichten Daten über insgesamt 42 Monate zeigten, dass die Patienten bezüglich aller Endpunkte von der Medikation profitierten. Es gab keine neuen unerwünschten Ereignisse.
Unerwünschte Ereignisse waren in der ATTRibute-CM-Studie sehr häufig, aber ähnlich in beiden Gruppen: 98,1 und 97,6 Prozent. Am häufigsten berichtet wurden Durchfall und Gicht, die meist nicht schwerwiegend waren. Das Medikament hat keinen Einfluss auf die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen.
Unter Acoramidis nahm die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) im ersten Behandlungsmonat ab und das Serumkreatinin stieg an. Die Veränderungen waren weder progredient noch mit einer Nierenschädigung verbunden und bei Therapiepause reversibel.
Die Anwendung während der Schwangerschaft und bei Frauen im gebärfähigen Alter, die nicht verhüten, wird nicht empfohlen.
In vitro inhibiert Acoramidis die CYP-Enzyme 2C8 und 2C9. Daher ist Vorsicht nötig bei gleichzeitiger Anwendung von CYP2C8- und CYP2C9-Substraten mit enger therapeutischer Breite. Acoramidis ist ein BCRP-Substrat, ohne dass jedoch klinisch relevante Wechselwirkungen mit BCRP-Inhibitoren zu erwarten wären.
Bei der Behandlung der TTR-Amyloidose (ATTR) hat sich in den vergangenen Jahren viel getan und es tut sich immer noch einiges. Der neue Wirkstoff Acoramidis ähnelt dem seit einigen Jahren verfügbaren Tafamidis. Beide wirken als TTR-Stabilisatoren. Acoramidis tut dies stärker als Tafamidis. Das allein reicht aber nicht aus für eine höhere vorläufige Bewertung als Analogpräparat.
Beide Wirkstoffe sind zur Behandlung der Wildtyp- oder hereditären ATTR mit Kardiomyopathie (ATTR-CM) zugelassen. Tafamidis darf zudem bei ATTR mit symptomatischer Polyneuropathie zum Einsatz kommen. Während Tafamidis einmal pro Tag einzunehmen ist, sind bei Acoramidis zwei Einnahmen pro Tag notwendig.
Einen direkten Studienvergleich zwischen den beiden Wirkstoffen gibt es nicht. Beide funktionieren und konnten zeigen, dass sie den Patienten wirklich helfen. Sie benötigen jedoch beide einige Monate, bis sich Therapieeffekte zeigen.
Sven Siebenand, Chefredakteur