Abgeordnete streiten über Kassenfinanzen und Pharma-Rabatte |
Cornelia Dölger |
23.09.2022 12:45 Uhr |
»Ersparen Sie uns Polemik, lassen Sie uns gemeinsam nach Lösungen suchen!« Dieser Appell von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) fruchtete nicht, denn im Bundestag wurde lautstark über die GKV-Pläne gestritten. / Foto: picture alliance/dpa
Der Begriff »Beratung« traf es indes in den gut eineinhalb Stunden kaum, denn sachlich ging es eher nicht zu, vielmehr ergingen sich die Abgeordneten aller Fraktionen in gegenseitigen Schuldzuweisungen, welche Bundesregierung in welcher Konstellation denn nun für die Finanzkrise der Kassen verantwortlich sei. Da half es auch nicht, dass Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) zu Beginn darum bat: »Ersparen Sie uns Polemik, lassen Sie uns gemeinsam nach Lösungen suchen!« Er betonte zudem, dass er seinerseits keine Schuldzuweisungen in Richtung seines Vorgängers Jens Spahn (CDU) machen wolle. Dennoch sei das Defizit »ein ererbtes«, das sei eine Tatsache.
Vehement verteidigte Lauterbach den Entwurf, der seit Beginn aus vielen Lagern kritisiert wurde. Ihm zufolge sollen neben der Pharmaindustrie auch Leistungserbringer wie Ärzte und Apotheker (Erhöhung des Kassenabschlags) zur Kasse gebeten werden, hinzu kommen Änderungen am AMNOG-Verfahren zur Bewertung neuer Arzneimittel. Die Beitragssätze sollen um 0,3 Prozentpunkte »sehr moderat« steigen, wie Lauterbach betonte. Er wies aber dabei auch auf die paritätische GKV-Finanzierung hin, nach der die Beitragssatzerhöhung zu gleichen Teilen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern refinanziert werden muss. Die Anhebung sei vertretbar und nicht unfair. »Im Gegensatz zu Steuermitteln bezahlt jeder Arbeitgeber die Hälfte mit.«
Ganz klar solle es dabei nicht um Leistungskürzungen gehen. Das sei für die Menschen in diesen Krisenzeiten nicht zumutbar. Das Gesetz gehe vielmehr an die inzwischen vielgenannten Effizienzreserven im System, die überall gehoben werden müssten. Als eine solche firmiert in Lauterbachs Vorstellung bekanntlich auch die geplante zeitweise Erhöhung des Apothekenabschlags von 1,77 auf 2 Euro.
Etwa gelte es, die Rücklagen der Kassen in die Versorgung zurückzuführen, so Lauterbach weiter. Ungleich dicke Finanzpolster, wie sie dort nunmal bestünden, verzerrten den Wettbewerb. Einen Seitenhieb teilte er in Richtung Kassenvorstände aus: Es könne nicht sein, dass manche von ihnen mehr verdienten als der Bundeskanzler, so Lauterbach.
Dass das AMNOG-Verfahren von zwölf auf sechs Monate verkürzt werden soll, laut dem Minister absolut gerechtfertigt. Dafür sei es höchste Zeit, der Status quo sei »dem Lobbydruck der vergangenen Jahre geschuldet«, betonte der Minister. Diesem werde er übrigens künftig »bei ungerechtfertigten Angriffen« standhalten. Ob er sich damit nur auf die Pharmaindustrie bezog oder auch auf andere Akteure, ließ der Minister offen.
Den Pharmastandort Deutschland sahen etliche Redner in der Aussprache gefährdet. So nannte Bayerns CSU-Gesundheitsminister Klaus Holetschek, der als Vertreter der Bundesländer in Berlin dabei war, das Gesetz ein »Versorgungsdestabilisierungsgesetz«. Natürlich sollten und wollten die Pharmaunternehmen einen Beitrag dazu leisten, aber dass mit ihnen kein Dialog darüber geführt werde, gefährde letztlich den Innovations- und Forschungsstandort Deutschland. »Wirtschaft hat mit Vertrauen zu tun«, so Holetschek. Auch Diana Stöcker aus der Unionsfraktion betonte, mit dem Gesetz würde »schnelles Geld durch schnelle Schnitte« gemacht, was an der falschen Stelle zu Kürzungen führe. Die Vorschläge seien »kreativlos und mit heißer Nadel gestrickt«.
Als ein »Sammelsurium« von Maßnahmen bezeichnete der CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge das Gesetz. Zudem sei es »ein Hohn« für Leistungserbringer wie Apotheker und Ärzte, wenn der Minister sie für ihre Arbeit lobe und dann gerade in diesem Sektor kürze. »Die Leute empfinden das als Leistungskürzungen und wenn Sie sagen, es gibt keine, entsprich das nicht der Wahrheit«, so Sorge. Die Versicherten hätten zudem durchaus mit weiteren »indirekte Beitragserhöhungen« zu rechnen, wenn die Reserven der Kassen abgeschmolzen würden, betonte er.
Ähnlich sah dies die Linke. Letztlich stammten die Reserven der Kassen ja von den Beitragszahlern, so der Abgeordnete Ates Gürpinar. Auch die Linke Kathrin Vogler sah dies so und brachte in einer Anmerkung die Linken-Forderung nach einer Erhöhung der Beitragsbemessungs- sowie der Versicherungspflichtgrenze ins Spiel. Beides seien probate Mittel, um schnell Geld in die Kassen zu spülen. Im Gesetz sei vorgesehen, »starke Schultern mehr tragen zu lassen als schwache«, zitierte Vogler. »Warum kämpfen wir nicht dafür, hier eine Mehrheit dafür zu bekommen?«
Angesprochen von dieser Zwischenbemerkung war der Grüne Janosch Dahmen, der der Linken – anders als der übrigen Oppostion – zugute hielt, dass von ihrer Seite durchaus konkrete Vorschläge zur Kassensanierung gekommen seien. Ansonsten arbeite die Opposition »ohne jede Vorschläge, wie die Probleme gelöst werden sollen«. Stattdessen werde gejohlt »ohne jede Demut vor Fehlern, die korrigiert werden müssten«. FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann betonte in seinem Beitrag, auch ihm mache das Gesetz »keine Freude«. Es sei »kein gutes Gefühl«, bei den Leitungserbringern »trotz ihrer super Leistungen« einsparen zu müssen. Ohne die harten Maßnahmen drohten aber Beitragssteigerungen von mehreren hundert Euro.
Kurz vor der ersten Lesung hatte sich gestern noch einmal die ABDA zu den Sparplänen geäußert und betont, ein erhöhter Kassenabschlag würde massive Auswirkungen auch auf die ohnehin prekäre Personallage in den Apotheken haben. Rückenwind bekommen die Apotheker von den Ländern. Bei der ersten Sitzung nach der Sommerpause sprach sich der Bundesrat vergangenen Freitag gegen die Pläne aus.