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Nach einem Verlust
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Ab wann ist Trauer krankhaft?

Trauer zu empfinden, wenn ein nahestehender Mensch gestorben ist, ist völlig normal. Doch wie lange? Ein halbes Jahr? Ein Jahr? Länger? Experten sind uneinig darüber, ab wann anhaltende Trauer als psychische Krankheit zu sehen ist – obwohl es mittlerweile sogar zwei offizielle Definitionen gibt.
AutorKontaktAnnette Mende
Datum 19.12.2019  11:00 Uhr

Verschiedene Modelle der Trauer

Um eine überstarke beziehungsweise überlange Trauer von einer angemessenen Reaktion auf einen Verlust abzugrenzen, ist es wichtig zu beschreiben, was überhaupt eine normale Trauer ist. Hierzu gibt es verschiedene Theorien, deren bekannteste das Phasenmodell nach Elisabeth Kübler-Ross ist. »Es besagt, dass ein Trauernder die fünf Phasen Nicht-wahrhaben-Wollen, Wut, Feilschen, Depression und schließlich Akzeptanz hintereinander durcharbeiten muss, bevor er das nächste Stadium erreichen kann«, erklärte Wagner. Die Psychiaterin Kübler-Ross habe das Modell in den 1970er-Jahren anhand von Interviews mit sterbenden Menschen aufgestellt. »Sie hat diesen Prozess mit den Hinterbliebenen nicht noch einmal wiederholt, sondern die Phasen aus eigenen Beobachtungen heraus auf Trauernde übertragen.«

Mittlerweile ist das Kübler-Rosssche Phasenmodell empirisch wiederlegt. »Man kann sagen, dass es diese Stadien so nicht gibt«, sagte Wagner. Es gebe zwar die von Kübler-Ross beschriebenen Symptomcluster, diese würden aber nicht nacheinander durchlaufen, sondern überlappten etwa zwischen dem vierten und zwölften Monat nach dem Verlust mit einem Höhepunkt im sechsten Monat. Es sei wichtig, dass dieses doch sehr alte Modell aus der Trauerbegleitung verschwinde, denn »viele Trauernde kennen es und fragen sich, ob ihre Reaktion normal ist«, so die Referentin.

Aus Sicht der Psychoedukation viel sinnvoller sei das Aufgabenmodell nach William Worden aus dem Jahr 1991. »Es geht davon aus, dass die trauernde Person verschiedene Aufgaben zu durchleben hat. Manchmal sind alle Aufgaben gleichzeitig vorhanden, manchmal nacheinander«, erklärte Wagner. Im Einzelnen gelte es für den Trauernden gemäß diesem Modell, dem Verstorbenem einen neuen Platz zu geben, den Verlust als Realität zu akzeptieren, Trauerschmerz zu erfahren beziehungsweise Trauergefühle zu durchleben und sich selbst ohne die verstorbene Person an die Umwelt anzupassen.

»Den Verlust als Realität zu akzeptieren, ist beispielsweise eine Aufgabe, die zwölf Monate dauern kann«, sagte Wagner. So lange könne das Gefühl anhalten, dass der Verstorbene noch nicht ganz weg ist und vielleicht wiederkommt. Diese Trauerarbeit müsse der Betroffene leisten, »die kann man auch nicht wegtherapieren«.

Als drittes Modell nannte die Expertin das duale Prozessmodell von Margaret Strobe und Henk Schut aus dem Jahr 2001. Diesem zufolge gebe es zwei Seiten der Trauer, eine verlustorientierte und eine wiederherstellungsorientierte. Das Modell besage, dass Trauer ein oszillierender Prozess ist, der sich zwischen diesen beiden Kategorien immer hin und her bewegt. Diese Wechsel könnten innerhalb eines Tages, aber auch innerhalb von Wochen und Monaten erfolgen.

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