Zwischen Kitsch und Katastrophe |
Angela Kalisch |
21.09.2021 15:58 Uhr |
Für ihre Darstellung einer an Alzheimer erkrankten Linguistik-Professorin in dem Film »Still Alice« erhielt Julianne Moore hochverdient einen Oscar. / Foto: Imago Images/ZUMA Press
Nie zuvor gab es hierzulande so viele aktive, junggebliebene Seniorinnen und Senioren wie heute, gleichzeitig ist auch die Anzahl älterer Menschen mit Alzheimer oder einer anderen Form der Demenz hoch und wird durch die höhere Lebenserwartung in den nächsten Jahren weiter steigen. Die Folgen des demografischen Wandels stellen die Gesellschaft und die sozialen Sicherungssysteme vor immer neue Herausforderungen. Nun hat auch das Medium Film die ältere Generation für sich entdeckt und das längst nicht mehr nur mit knorrigen vitalen Charakteren. Auch Alzheimer ist zu einem beliebten Filmmotiv geworden.
Zum Welt-Alzheimertag hatte die Alzheimer Forschung Initiative (AFI) zu einem Online-Vortrag eingeladen, in dem die Literaturwissenschaftlerin Professorin Dr. Henriette Herwig, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, anhand von Filmbeispielen aufzeigte, welche unterschiedlichen Perspektiven auf der Leinwand vorherrschen, wenn Alzheimer die tragende Rolle spielt.
Bei einigen Hollywood-Produktionen – Herwig nennt beispielhaft »Wie ein einziger Tag« (2004) und »An ihrer Seite« (2006) – dient die Alzheimer-Erkrankung einer Figur lediglich als Aufhänger, um eine romantische Liebesgeschichte zu erzählen. Alles, was die Ästhetik stören könnte, wird ausgeblendet. Dass die Filme in erster Linie unterhalten wollen, kann man ihnen nicht zum Vorwurf machen. Dass eine ernste Erkrankung aber als Story missbraucht und beschönigt dargestellt wird, könnte als ärgerlich empfunden werden.
Als das komplette Gegenteil davon ist der Fernsehfilm »Mein Vater« (2003) zu sehen: Eine kleine Mittelstandsfamilie, durch den Hausbau hoch verschuldet, nimmt den an Alzheimer erkrankten Vater bei sich auf. Als der Antrag auf eine Pflegestufe abgelehnt wird, steht die Familie vor einer Zerreißprobe. Das Ehepaar schafft es nicht, sich neben der Berufstätigkeit hinreichend um den Vater zu kümmern, das pubertierende Kind wird komplett vernachlässigt und gerät außer Kontrolle. Die Überforderung führt schließlich in die Katastrophe: In dem offen gehaltenen Ende läuft der Vater nachts eine stark befahrene Straße entlang, sein Sohn hält ihn nicht auf und nimmt damit einen tödlichen Unfall bewusst in Kauf. Schonungslos und authentisch werden die Belastungen gezeigt, die durch die Pflege eines demenzkranken Elternteils auf eine Familie zukommen können, die zwischen finanziellen Sorgen und moralischem Pflichtbewusstsein zerbricht.
Vergleichbare Sorgen sind gänzlich unbekannt im erfolgreichsten deutschen Film des Jahres 2014: »Honig im Kopf«. Auch hier zieht der demenzkranke Vater bei seinem Sohn ein, das Zuhause ist allerdings ein herrschaftliches Anwesen in einer Hamburger Nobel-Gegend, der ganze Film ist in ein warmes Licht getaucht und erzählt durch den Weichzeichner von der Liebe eines Mädchens zu seinem verwirrten aber lustigen Opa. Als der zu viel Durcheinander in das Schöner-Wohnen-Szenario gebracht hat, soll er ins Altenheim. Kurzerhand ergreifen Enkelin und Opa die Flucht und werden auf ihrer Reise nach Venedig von märchenhaften Helfern unterstützt. Erzählt wird aus der Kinderperspektive, was nicht nur naiv und oft holzschnittartig wirkt, sondern auch ordentlich auf die Tränendrüse drückt. Am Ende haben auch die snobistischen Eltern begriffen, dass sie sich nun viel lieber mehr um die Familie kümmern wollen. Das wertkonservative Weltbild verlangt hier selbstredend, dass die Mutter ihren Beruf aufgibt, um sich der Pflege zu widmen. Zum Glück tut Opa allen den Gefallen, zu sterben, bevor die Auswirkungen seiner Erkrankung quälend werden könnten. Überforderung oder ethisch schwierige Entscheidungen: Fehlanzeige.
Dennoch kam der Film beim Publikum gut an und auch Henriette Herwig kann ihm bei aller berechtigten Kritik eine positive Seite abgewinnen. Der Film sei zugleich ein unterhaltsames Roadmovie als auch ein Märchenfilm, in dem ein Kind zum Beschützer eines kranken Erwachsenen wird und diese Aufgabe mühelos meistert. Daraus könne man ein Plädoyer für Integration lesen, da nicht der Großvater, sondern vielmehr die egoistischen Ansprüche der Elterngeneration das Falsche repräsentieren.
Bei einer Alzheimer-Diagnose sind manche Betroffene im frühen Stadium davon überzeugt, ihrem Leben ein Ende setzen zu wollen, sobald die Erkrankung einen bestimmten Schweregrad erreicht hat. Oft wird auch nahen Angehörigen das Versprechen abgenommen, eines Tages beim Suizid zu assistieren. Mit diesem Themenkomplex beschäftigt sich der österreichische Film »Die Auslöschung« (2013). Hier gerät ein altersdifferentes Paar in die Pflegefalle, als ein vormals wortgewandter Kunsthistoriker sich nach der Alzheimer-Diagnose immer stärker zurückzieht. Seine deutlich jüngere Freundin mischt ihm eines Tages Gift ins Essen, als er schon nicht mehr selbst in der Lage ist, seinen aktuellen Willen kundzutun. Somit stellt der Film die Frage, wie man überhaupt sicher sein kann, dass ein Alzheimer-Patient seinen ursprünglichen Wunsch wirklich noch aufrechterhalten will, ob in diesem Fall also die Frau ihren Partner von seinem Leid erlösen wollte oder vielmehr sie selbst sich von ihm.
Foto: Deutsche Alzheimer Gesellschaft
Ähnlich aufgegriffen wird diese Frage auch in »Still Alice« (2014). Eine Linguistik-Professorin erkrankt, noch relativ jung, an einer familiär vererbten Alzheimer-Variante. Sie nimmt für ihr späteres Ich eine Videobotschaft auf mit der Anweisung, eine komplette Packung Schlafmittel einzunehmen. Durch Zufall misslingt der Selbstmordversuch und es wird deutlich, dass dieser zu diesem Zeitpunkt auch gar nicht mehr gewünscht war. Stattdessen erlebt und genießt Alice trotz eines schweren und rapiden Verlaufs ihrer Krankheit noch einige sehr schöne Momente mit ihrer Tochter.
Filme, die eine Alzheimer-Erkrankung in den Mittelpunkt der Handlung stellen, können kein Happy End haben, denn noch lässt sich die Krankheit nicht heilen. Wie die Literatur können Filme aber helfen, eine andere Perspektive einzunehmen und nah an das Erleben der Betroffenen heranzuführen. In der unterschiedlichen Herangehensweise fungieren Filme als Seismografen gesellschaftlicher Tendenzen in Bezug auf Rollenverständnis und ethische Konflikte im Bemühen um ein selbstbestimmtes Leben.
Ganz neu ins Kino gekommen ist soeben »The Father« mit Anthony Hopkins in der Hauptrolle. Diesem Film gelingt es auf künstlerische Weise, den Zuschauer selbst in die Unsicherheit eines Alzheimer-Patienten zu versetzen. Mehr sei nicht verraten, Henriette Herwig bezeichnete das Werk allerdings als den besten Film, den sie seit Jahren gesehen habe. Wenn das nicht ein guter Anlass ist, endlich mal wieder ins Kino zu gehen.
Kino- und Fernsehfilme:
The Father
GB 2020, von Florian Zeller, mit Anthony Hopkins, Olivia Colman
Das Leuchten der Erinnerung (The Leisure Seeker)
F/I 2017, von Paolo Virzì, mit Helen Mirren, Donald Sutherland
Still Alice
USA 2014, von Richard Glatzer, Wash Westmoreland, mit Julianne Moore, Alec Baldwin
Honig im Kopf
D 2014, von Til Schweiger, mit Dieter Hallervorden, Emma Schweiger
Die Auslöschung
A 2013, von Nikolaus Leytner, mit Klaus Maria Brandauer, Martina Gedeck
Die Geschwister Savage (The Savages)
USA 2007, von Tamara Jenkins, mit Philip Seymour Hoffman, Laura Linney, Philip Bosco
An ihrer Seite (Away from her)
CAN 2006, von Sarah Polley, mit Julie Christie, Gordon Pinsent
Wie ein einziger Tag (The Notebook)
USA 2004, von Nick Cassavetes, mit Ryan Gosling, Gena Rowlands
Mein Vater
D 2003, von Andreas Kleinert, mit Götz George, Klaus J. Behrendt
Iris
GB/USA 2001, von Richard Eyre, mit Judi Dench, Kate Winslet
Dokumentarfilme:
Familybusiness
D 2015, von Christiane Büchner
Vergiss mein nicht
D 2012, von David Sieveking
Der Tag, der in der Handtasche verschwand
D 2000, von Marion Kainz