| Angela Kalisch |
| 26.06.2023 07:00 Uhr |
Reliefkunst: Einige Apotheken kennen das dynamische Wechselspiel von Motiv und Wand von der eigenen Gebäudefassade. / Foto: Adobe Stock/joserpizarro
Ob an den Fassaden und Innenwänden von Kathedralen und historischen Gebäuden, an Denkmälern und Grabanlagen oder auf Medaillen und Münzen: Reliefs sind im öffentlichen Raum allgegenwärtig. Ihrer hohen Präsenz mag es geschuldet sein, dass sie zuweilen als schmückender Bestandteil der Architektur oder als Gebrauchskunst unterschätzt und verkannt werden.
Völlig zu Unrecht, wie aktuell eine Ausstellung im Städel Museum in Frankfurt am Main zeigt. Ausgestellt sind dort rund 140 Werke aus dem Zeitraum von 1800 bis in die 1960er-Jahre von so namhaften Künstlerinnen und Künstlern wie Auguste Rodin, Käthe Kollwitz oder Pablo Picasso. Dabei geht es nicht um eine umfassende Geschichte der Reliefkunst, sondern vielmehr um die künstlerischen Möglichkeiten, die ein Relief im Gegensatz zu anderen Kunstformen bietet – ein Spannungsfeld zwischen den Dimensionen oder beim Übergang von der Fläche zum Raum.
Ihren Ursprung hat die plastische Darstellung zu Zeiten der ägyptischen Hochkulturen am Nil; in der Antike war sie das Sinnbild schlechthin für griechische Kultur und Zivilisation, wie beispielsweise der Parthenontempel in Athen eindrucksvoll zeigte.
Für eine möglichst naturgetreue Nachahmung der Wirklichkeit waren zunächst lebensechte Skulpturen das Mittel der Wahl. Das Relief erweiterte den Spielraum um einen gestaltbaren Hintergrund, vor dem die plastischen Figuren hervortreten konnten. Aufgrund der verwendeten Materialen – klassischerweise Stein, Ton, Gips oder Bronze – blieb das Relief lange Zeit die Domäne der Bildhauerei.
Doch auch die Malerei widmete sich dem räumlichen Effekt. Die Stillleben der Alten Meister wirkten bis ins kleinste Detail so real, dass die Szenerie greifbar erschien. Ein klassisches Motiv im Wettstreit um die räumliche Wahrnehmung war der Vorhang. Er lässt sich selbst als Gemälde so plastisch gestalten, dass der Eindruck einer bildhauerischen Arbeit entsteht.
Während in Gemälden durch eine Täuschung der Sinne eine dreidimensionale Darstellung simuliert werden konnte, erhielt gleichzeitig auch eine echte Reliefstruktur Einzug in die Malerei. Zum einen über einen Farbauftrag mit Spachtel und zum anderen durch den Einsatz neuer Materialien.
Im 20. Jahrhundert weichen die eindeutigen Grenzen der Kunstgattungen mehr und mehr auf. Wichtigster Auslöser für diese Entwicklung war der Kubismus, der Bildraum, Formen und Motive so aufbrach, dass Betrachtende aufgefordert waren, Perspektive und Blickwinkel immer wieder zu ändern. Ein Effekt, der sowohl auf der Fläche als auch unter Einbeziehung des Raums verschiedene Sinne anspricht und so erst das Gesamtkunstwerk erfahrbar macht.
Ein eigener Raum der Ausstellung widmet sich dem Porträt. Das klassische Relief erfüllte das Bedürfnis des Menschen, das eigene Gesicht mit all seiner Mimik und seiner charakteristischen Struktur festzuhalten. Als Miniatur und zumeist im Profil sind Porträts deshalb beispielsweise auf Amuletten und Broschen zu finden.
Über Hohlformen – wie bei einer Maske – experimentieren einige Künstlerinnen und Künstler zudem mit der Frontalansicht. Das zeigen zum Beispiel die Werke von Käthe Kollwitz. Fläche und Skulptur scheinen sich darin spannungsgeladen immer wieder gegenseitig zu negieren.
Nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg gehörten der Wiederaufbau von Gebäuden und die Stadtplanung zu den vordringlichsten Bauaufgaben. Architekturbezogene künstlerische Aufträge in der Nachkriegsmoderne spiegeln das Bemühen wider, die im Nationalsozialismus verfemte abstrakte Kunst, die sogenannte »Entartete Kunst«, zu berücksichtigen. Sprünge in den Dimensionen, wechselnde Materialen und die Abkehr von der Gegenständlichkeit prägten seinerzeit eine Kunst, die längst nicht mehr danach strebte, Natur und Wirklichkeit nachzuahmen, sondern gesellschaftskritisch aktiv auf diese einzuwirken.
Das Relief benötigt im Übrigen nicht zwingend einen Rahmen, um es von seiner Umgebung abzugrenzen. Oft verschmilzt die Trägerfläche mit dem eigentlichen Motiv, wird also selbst Teil des Kunstwerks. Vor allem in der Architektur ist die Fassade weit mehr als eine Leinwand, gehen Relief und Wand ein dynamisches Wechselspiel ein. Viele Offizinen kennen die Vielfalt dieser plastischen Darstellungen von ihren eigenen Gebäuden, wo sie weit mehr sind als nur reiner Fassadenschmuck.
Städel Museum, Dürerstraße 2, 60596 Frankfurt am Main
Die Ausstellung ist noch bis zum 17. September 2023 zu sehen.