Zuwachs bei den Inkretin-Mimetika |
Sven Siebenand |
21.11.2018 15:38 Uhr |
Zusätzlich zu einer Diät und verstärkter körperlicher Aktivität kann Semaglutid bei Typ-2-Diabetikern in Kombination mit anderen Präparaten zum Einsatz kommen. Auch eine Monotherapie ist möglich, wenn Metformin als Wirkstoff kontraindiziert ist oder eine Unverträglichkeit dagegen besteht. Semaglutid muss einmal wöchentlich subkutan gespritzt werden. Die Anfangsdosis beträgt 0,25 mg Wirkstoff. Nach vier Wochen sollte die Dosis auf 0,5 mg einmal wöchentlich erhöht werden. Nach mindestens vier weiteren Wochen kann der Arzt veranlassen, die Dosis auf 1 mg einmal wöchentlich zu erhöhen, um die Einstellung des Blutzuckerspiegels zu verbessern. Höhere Dosen als 1 mg pro Woche werden nicht empfohlen.
Wenn Ozempic zusätzlich zu Metformin gegeben wird, kann die bestehende Metformin-Dosis unverändert beibehalten werden. Wenn das neue Medikament zusätzlich zu einer bestehenden Therapie mit einem Sulfonylharnstoff oder Insulin gegeben wird, sollte der Arzt in Erwägung ziehen, die Dosis des Sulfonylharnstoffs beziehungsweise Insulins zu reduzieren, um das Risiko für eine Hypoglykämie zu senken.
Semaglutid muss subkutan in das Abdomen, den Oberschenkel oder den Oberarm injiziert werden. Der Tag der wöchentlichen Anwendung kann bei Bedarf gewechselt werden, solange die Zeit zwischen zwei Dosen mindestens drei Tage beträgt. Nach der Auswahl eines neuen Verabreichungstages ist die einmal wöchentliche Dosierung fortzusetzen.
Semaglutid wirkt ebenso wie das im Darm gebildete körpereigene Inkretin-Hormon Glucagon-Like-Peptide-1 (GLP-1) und wird daher als Inkretin-Mimetikum bezeichnet. Zur Klasse der GLP-1-Rezeptoragonisten zählen auch Arzneistoffe wie Exenatid, Liraglutid und Dulaglutid. Der Darm schüttet GLP-1 unmittelbar nach einer Mahlzeit aus. Das Peptidhormon bindet an seinen Rezeptor und veranlasst so die Betazellen der Bauchspeicheldrüse, Insulin freizusetzen. Daraufhin sinkt der Blutzucker. Darüber hinaus übernimmt GLP-1 weitere Aufgaben: Es senkt den Glucagonspiegel, drosselt die Magenentleerung und reduziert den Appetit. Das Hormon selbst kann nicht als Wirkstoff genutzt werden, da es sehr schnell im Körper abgebaut wird. Erst aufgrund ihrer veränderten Struktur erlangen Inkretin-Mimetika eine deutlich längere Wirkdauer. Semaglutid zählt zu den langwirksamen GLP-1-Rezeptoragonisten, sodass ähnlich wie bei Dulaglutid oder der langwirksamen Formulierung von Exenatid nur eine einmal wöchentliche Gabe notwendig ist.
Wirksamkeit und Sicherheit von 0,5 mg und 1 mg Semaglutid einmal wöchentlich wurden in mehreren randomisierten Phase-III-Studien untersucht, in die insgesamt mehr als 7000 Typ-2-Diabetiker eingeschlossen wurden. In fünf Studien (SUSTAIN 1-5) war die Beurteilung der glykämischen Wirksamkeit das primäre Ziel. Im Laufe von 10 bis 13 Monaten ließ sich in den Semaglutid-Gruppen der HbA1c-Wert je nach Studie um 1,2 bis 1,8 Prozentpunkte senken. Dies war gegenüber einer Placebo-Behandlung, die nicht zu einer nennenswerten Verbesserung des HbA1c-Wertes geführt hat, ein großer Unterschied. In der SUSTAIN-2-Studie wurde mit dem DPP-4-Hemmer Sitagliptin (100 mg/d) verglichen. Dieser erzielte eine Senkung des HbA1c-Wertes um 0,5 Prozent. Einen Vorteil zugunsten Semaglutid gab es bei der Reduzierung des Langzeitblutzuckerwertes auch im Vergleich mit langwirksamen Exenatid in SUSTAIN-3 (-0,9 Prozent) und mit Insulin glargin in SUSTAIN-4 (-0,8 Prozent).
Von besonderem Interesse sind auch die Ergebnisse der placebokontrollierten SUSTAIN-6-Studie, die kardiovaskuläre Endpunkte als primäres Ziel hatte. In dieser Studie mit mehr als 3000 Typ-2-Diabetikern mit hohem kardiovaskulären Risiko wurde gezeigt, dass der kombinierte primäre Endpunkt aus nicht-tödlichem Herzinfarkt, nicht-tödlichem Schlaganfall oder kardiovaskulärem Tod insgesamt unter Semaglutid seltener auftrat als unter Placebo: in der Verumgruppe bei 6,6 Prozent der Patienten und unter Placebo bei 8,9 Prozent der Patienten. Getrieben wurde die Risikosenkung bei diesem kombinierten primären Endpunkt durch die Verringerung in der Anzahl von Schlaganfällen und Herzinfarkten, die Raten für Tod infolge von Herzproblemen waren in beiden Gruppen jedoch ähnlich. Zur Einordnung: Immer mehr Antidiabtika haben zuletzt in kardiovaskulären Outcome-Studien einen Vorteil gezeigt, unter anderem Vertreter aus der Gruppe der SGLT-2-Hemmer sowie Liraglutid und Albiglutid, zwei weitere GLP-1-Rezeptoragonisten.
Zu den häufigsten Nebenwirkungen von Semaglutid zählen – wie bei anderen Vertretern dieser Klasse – gastrointestinale Beschwerden, etwa Übelkeit, Durchfall und Erbrechen. Auch Unterzuckerungen sind möglich. Sie treten jedoch nur auf, wenn der GLP-1-Rezeptoragonist zum Beispiel mit Insulin oder einem Sulfonylharnstoff kombiniert wird. In der Fachinformation von Ozempic wird zudem auf das Thema akute Pankreatitis eingegangen. Unter Anwendung von GLP1-Rezeptoragonisten wurde diese beobachtet. Daher sollten Patienten die Anzeichen kennen und das Mittel abzusetzen, wenn eine Bauchspeicheldrüsenentzündung vermutet wird. Ein weiterer Warnhinweis bezieht sich auf Patienten mit diabetischer Retinopathie, die gleichzeitig mit Insulin und Semaglutid behandelt werden. In dieser Patientengruppe wurde ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Komplikationen der diabetischen Retinopathie beobachtet. Daher ist bei diesen Patienten Vorsicht geboten. Wie andere GLP-1-Rezeptoragonisten kann sich auch Semaglutid günstig auf das Körpergewicht auswirken. Zur Gewichtsregulierung bei Übergewichtigen zugelassen wie Liraglutid ist der neue Wirkstoff allerdings nicht.
Während der Schwangerschaft darf Semaglutid nicht angewendet werden. Auch Stillende sollen es nicht bekommen. Frauen im gebärfähigen Alter wird geraten, während der Behandlung mit dem GLP-1-Rezeptoragonisten eine Verhütungsmethode anzuwenden.
Hersteller Novo Nordisk arbeitet übrigens auch an einer oral verfügbaren Formulierung von Semaglutid, das heißt, es könnte eines Tages auch GLP-1-Rezeptoragonisten in Tablettenform geben.
vorläufige Bewertung: Analogpräparat
Von Sven Siebenand, stellvertretender Chefredakteur / Semaglutid ist vorerst bei den Analogpräparaten einzustufen, kann sich zukünftig aber noch als Schrittinnovation qualifizieren. Der Neuling hat keinen neuen Wirkmechanismus aufzuweisen. Auch die verlängerte Halbwertszeit und die damit verbundene einmal wöchentliche Gabe sind von anderen Präparaten mit einem GLP-1-Rezeptoragonisten bekannt. Die Ergebnisse der kardiovaskulären Outcome-Studie SUSTAIN-6 sind dennoch erfreulich. Der kombinierte primäre Endpunkt aus nicht-tödlichem Herzinfarkt, nicht-tödlichem Schlaganfall oder kardiovaskulärem Tod trat unter Semaglutid seltener auf als unter Placebo. Getrieben wurde die Risikosenkung durch die Verringerung in der Anzahl von Schlaganfällen und Herzinfarkten, die Raten für Tod infolge von Herzproblemen waren in beiden Gruppen ähnlich. Ein Alleinstellungsmerkmal ist dieser kardiovaskuläre Nutzen eines GLP-1-Rezeptoragonisten nicht. Auch Liraglutid und Albiglutid haben diesen schon nachweisen können. Ein Schritt vorwärts kann mit Semaglutid aber dennoch gelingen: Denn der Hersteller untersucht derzeit auch eine oral verfügbare Formulierung. Das wäre dann tatsächlich etwas Neues in der Gruppe der GLP-1-Rezeporagonisten. /