Zukunftsmusik im Apothekenlabor |
Brigitte M. Gensthaler |
29.05.2024 15:00 Uhr |
»Der 3-D-Druck wird die Tablettenpresse nicht ersetzen, aber es wird Nischen geben für die individualisierte Therapie«, erklärte Professor Dr. Anne Seidlitz beim Pharmacon in Meran. / Foto: PZ/Alois Müller
Grundsätzlich handelt es sich beim 3-D-Druck um additive Herstellungsverfahren für dreidimensionale Werkstücke, erklärte die Apothekerin vom Institut für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie der Heinrich-Heine-Universität. Das bedeutet, dass die Arzneiform Schicht für Schicht nach einem vorab am Computer definierten Design aufgebaut wird.
Das erste zugelassene 3-D-Arzneimittel war das Levetiracetam-haltige Spritam® in den USA (2015). Die orodispersible Tablette zerfällt sekundenschnell trotz hoher Arzneistoffdosierung. Damit tritt die Wirkung viel schneller ein als bei herkömmlichen Tabletten.
Seidlitz stellte verschiedene Drucktechnologien vor, darunter die Pulverbettverfahren Binder Jetting und selektives Lasersintern sowie die Stereolithografie. Ihr Team arbeite vor allem an und mit zwei Verfahren: dem Flüssigkeitsdosierverfahren für Flüssigkeiten mit geeigneter Viskosität sowie der Schmelzschichtung (Fused Deposition Modelling, FDM). Durch Größe, Form und Dichte (»Infill«) der gedruckten Arzneiform kann die Dosierung genau gesteuert werden.
Diese »faszinierende neue Technologie«, so Seidlitz, könnte eine alternative Herstellmethode für Arzneimittel werden und eigne sich zum Beispiel für individualisierte Therapien in der Onkologie sowie für die Herstellung von Klinikmustern und festen Arzneiformen für Dosiseskalationsstudien. »Der 3-D-Druck wird die Tablettenpresse nicht ersetzen, aber es wird Nischen geben für die individualisierte Therapie«, ist die pharmazeutische Technologin überzeugt. Als weitere Einsatzgebiete nannte sie die Herstellung von funktionellen Implantaten und das Bio-Printing, also den Druck von Geweben zur Implantation und als Gewebeersatz. Druckbar seien auch therapeutische Systeme, die individuell an das zu versorgende Hautareal angepasst werden.
Als Vorteile des 3-D-Drucks nannte Seidlitz eine individuellere Dosierung, Form, Wirkstofffreisetzung und -kombination sowie Kennzeichnung und die Adhärenzförderung. Als Beispiel für individuelle Formgebung berichtete sie über die Entwicklung eines Wirkstoff-haltigen Stirnhöhlen-Implantats in ihrem Arbeitskreis; es ging um ein mehrschichtiges Implantat, das den Wirkstoff nur an die Schleimhaut abgibt und Sekret abfließen lässt. Zugleich wurde ein Modell zur Prädiktion der Wirkstofffreisetzung entwickelt. Ein weiteres Beispiel ist ein Silikon-Implantat zur Therapie einer Stenose des äußeren Gehörgangs, das Dexamethason und Ciprofloxacin abgibt. Eingesetzt in einem individuellen Heilversuch, verblieb es drei Monate im Gehörgang des betroffenen Kindes. Mehr als sechs Monate nach der Explantation war keine erneute Stenose zu beobachten.
Die Wirkstofffreisetzung könne über die Wahl der Hilfsstoffe, den Infill und die äußere Form des gedruckten Objekts gesteuert werden. Die neue Technologie ermögliche auch individuelle Wirkstoffkombinationen: Mehrere Arzneistoffe in geringen Dosen werden zu einem Stück ausgedruckt – immer in abgetrennten Kompartimenten, um Inkompatibilitäten zu vermeiden. »Es entsteht eine Polypill aus verschiedenen Wirkstoff-Hilfsstoff-Kombinationen.« Schließlich könne man die Adhärenz durch individuelle Formgebung, Farbe und Geschmack fördern.
Ist der Einsatz von 3-D-Druckverfahren in der öffentlichen Apotheke machbar? »Wir haben in Deutschland die tolle Chance, dass wir in Apotheken noch individuell herstellen dürfen – das sollten wir nutzen«, warb Seidlitz für die neuen Methoden. Natürlich sei noch viel Vorarbeit zu leisten, aber es gebe bereits erste Pharmadrucker für (Krankenhaus-)Apotheken auf dem Markt, mit denen man nach drei Verfahren drucken kann.