Zocken für die Psyche? |
Carolin Lang |
29.08.2024 16:00 Uhr |
Aktuellen Untersuchungen zufolge können Videospiele positive Effekte auf die psychische Gesundheit haben. / Foto: Getty Images/Georgijevic
Dieser uneinheitlichen Datenlage zur Wirkung von Videospielen auf die psychische Gesundheit liegen laut einer Arbeitsgruppe aus Japan womöglich zwei methodische Herausforderungen zugrunde, wie sie aktuell in »Nature Human Behaviour« darlegt. Einerseits basierten entsprechende Untersuchungen meist auf Beobachtungsdaten, wodurch sich Ursache und Wirkung nicht auseinanderhalten ließen. Andererseits bildeten experimentelle Studien zum Gaming in der Regel keine »natürliche Spielumgebung« ab, sondern fänden etwa unter Laborbedingungen statt.
Die Gelegenheit für ein »natürliches Experiment« ergab sich für sie während der Coronavirus-Pandemie in Japan. Die Spielkonsolen Nintendo Switch und Play Station 5 (PS5) waren hier aufgrund von Lieferkettenproblemen und großer Nachfrage knapp. So hatten die Händler nach dem Zufallsprinzip ausgelost, wer bei Verfügbarkeit eine Konsole kaufen konnte, und damit unbeabsichtigt eine Zufallsverteilung von der Möglichkeit zum Videospielen geschaffen. Dies nutzten die Forschenden um Dr. Hiroyuki Egami, Assistenzprofessor an der Nihon University in Tokio, um in einer Studie dem kausalen Effekt von Videospielen auf das psychische Wohlbefinden nachzugehen.
In Kooperation mit einem Marktforschungsunternehmen führten sie zwischen Dezember 2020 und März 2022 bei 97.602 Japanerinnen und Japanern im Alter von zehn bis 69 Jahren fünf Online-Umfragen durch. Die Teilnehmenden machten Angaben zur Teilnahme an der Lotterie, zum Besitz von Videospielen, zu ihren Spielvorlieben, ihrer psychischen Gesundheit und Lebenszufriedenheit sowie zu soziodemographischen Merkmalen. Die Antwortrate betrug 59,3 Prozent.
Insgesamt hatten 8192 der Befragten an der »Spielkonsolen-Lotterie« teilgenommen, auf die sich die Arbeitsgruppe bei ihrer Analyse fokussierte. 35 Prozent unter ihnen wurden als »Hardcore-Gamer« eingestuft, die mehr als anderthalb Stunden täglich mit Videospielen verbrachten.
Wie die Arbeitsgruppe berichtet, war bei den Teilnehmenden, die eine Videokonsole kaufen konnten, ein Rückgang psychischer Belastung und eine größere Lebenszufriedenheit zu verzeichnen als bei Befragten, die bei der Lotterie leer ausgingen. Die mentale Gesundheit wurde anhand der »Kessler Psychological Distress Scale 6« (K6) und die Lebensqualität anhand der »Satisfaction With Life Scale« (SWLS) bemessen.
Allein der Besitz einer Nintendo Switch verbesserte die mentale Gesundheit um 0,6 Standardabweichungen (standard deviations, SD) und der einer PS5 um 0,12 SD. Die Lebensqualität zeigte sich durch den Besitz einer PS5 um 0,23 SD verbessert. »Mit Ausnahme der Auswirkungen der PS5 auf die psychische Gesundheit liegen diese Effektgrößen über 0,2 SD: der kleinsten Effektgröße, die für die Medieneffektforschung von Interesse ist«, ordnet die Arbeitsgruppe ein.
Mit den Konsolen zu spielen, verbesserte die mentale Gesundheit um 0,81 SD bei der Nintendo Switch beziehungsweise um 0,2 SD bei der PS5. Die Lebensqualität zeigte sich durch das Spielen mit der PS5 um 0,41 SD erhöht.
»Unser natürliches Experiment hat gezeigt, dass sich Videospiele positiv auf das psychische Wohlbefinden auswirken, wobei das Spielen von mehr als drei Stunden einen abnehmenden psychologischen Nutzen hat«, berichtet die Arbeitsgruppe weiter.
Die Ergebnisse seien ein erster Schritt in Richtung Nachweis eines kausalen Zusammenhangs zwischen Gaming und psychischer Gesundheit, kommentiert Professor Dr. Andrew Przybylski, Psychologe an der University of Oxford, UK, auf der Nachrichtenseite von »Nature«. Er fügt allerdings hinzu, dass die Durchführung während der Pandemie die positiven Auswirkungen des Spielens auf die psychische Gesundheit verstärkt haben könnte, da diese zu der Zeit allgemein schlechter gewesen sei und es weniger Möglichkeiten gegeben habe, sich mit anderen Aktivitäten zu beschäftigen.
Das räumt auch die Arbeitsgruppe als Limitation ein. Der nächste Schritt bestehe nun darin, die Studie zu reproduzieren, um zu überprüfen, ob die Ergebnisse auch außerhalb einer Pandemie bestehen, meint Egami. »Das Ergebnis könnte anders ausfallen.«
In einer zweiten, sehr kleinen experimentellen Studie, die kürzlich im Fachjournal »Autism« publiziert wurde, berichten Forschende, dass das digitale Rollenspiel »Dungeons and Dragons« Menschen mit Autismus einen sicheren Raum für soziale Interaktionen bieten und dazu beitragen könne, ihr Selbstwertgefühl zu steigern. Es ermögliche ihnen, in neue Rollen zu schlüpfen, was auch das Selbstverständnis außerhalb des Spieles beeinflussen könne.
In die Studie waren acht Erwachsene mit Autismus eingeschlossen, die über sechs Wochen angeleitet Dungeons and Dragons spielten. Anschließend wurden sie interviewt, um zu erörtern, wie sie sich bei Interaktionen inner- und außerhalb des digitalen Rollenspiels fühlten.
»Es gibt viele Mythen und falsche Vorstellungen über Autismus. Die größten davon besagen, dass Menschen mit Autismus nicht sozial motiviert sind oder keine Fantasie haben«, kommentiert Erstautor Dr. Gray Atherton in einer Mitteilung der University of Plymouth. »Die Teilnehmer an unserer Studie sahen das Spiel als frischen Wind, als Chance, in eine andere Rolle zu schlüpfen und Erfahrungen außerhalb der oft herausfordernden Realität zu machen. Dieses Erlebnis des Eskapismus gab ihnen ein behagliches Gefühl.«
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