Zivilrechtliche Auswirkungen: Kein Versand, aber Fernabsatz? |
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Die Überlagerung von apotheken-, sozial- und zivilrechtlichen Vorschriften wirft dabei besondere Problemstellungen auf, die praxisgerecht gelöst werden müssen. Nach einer kurzen Darstellung der neuen apothekenrechtlichen Vorschriften soll in diesem Beitrag zunächst untersucht werden, welche zivilrechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten bestehen. Danach sollen die sich daraus ergebenden Informationspflichten der Apotheken sowie die Frage eines Widerrufsrechts mit entsprechenden Handlungsempfehlungen für die Praxis erörtert werden.
Die neue Botendienstregelung ist am 22. Oktober 2019 in Kraft getreten. Die wesentlichen Änderungen in § 17 Abs. 2 ApBetrO beziehen sich auf folgende Punkte: Durch die Streichung der Worte »im Einzelfall« erklärt der Verordnungsgeber den Botendienst auf Kundenwunsch grundsätzlich für zulässig3. Eine Begrenzung gibt es nicht mehr. Die erforderliche pharmazeutische Beratung muss spätestens in unmittelbarem Zusammenhang mit der Auslieferung der Arzneimittel erfolgen. Es ist nun erlaubt, dies auch im Wege der Telekommunikation durch die Apotheke zu erledigen. In diesem Fall kann die Zustellung durch nicht pharmazeutisches Personal erfolgen. Sofern aber der Patient nicht beraten worden ist oder (bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln) das Rezept vor der Auslieferung nicht in der Apotheke vorliegt, muss die Belieferung durch pharmazeutisches Personal erfolgen, das Beratung und Rezeptkontrolle vor Ort beim Patienten erledigt.
Weitere Änderungen beziehen sich auf die Modalitäten der Botenzustellung, indem einerseits parallele Verpflichtungen wie beim Versandhandel statuiert werden (Einhaltung der Temperaturanforderungen und kostenlose Zweitzustellung), andererseits aber auch einige derartige Pflichten aufgehoben werden (Risikomanagementsystem, Hinweispflichten, Sendungsverfolgung).
Nicht geändert hat der Verordnungsgeber übrigens die Vorgabe, dass ein Bote der Apotheke eingesetzt werden muss. Das Bundesgesundheitsministerium hatte ursprünglich vorgeschlagen, dies in »Bote einer Apotheke« zu ändern. Der Bundesrat legte hingegen Wert darauf, die direkte Weisungsbefugnis des Apothekenleiters sicherzustellen und einen willkürlichen Einsatz externen Personals zu unterbinden4.
Bevor es an die Details geht, stellt sich eine auf den ersten Blick nicht ganz naheliegende Frage: Entsteht beim Bezug von Arzneimitteln von Apotheken überhaupt ein zivilrechtlicher Verbrauchervertrag? Nur dann sind nämlich die Verbraucherschutzvorschriften anwendbar.
Beim Arzneimittelkauf von privat versicherten Patienten und sonstigen Selbstzahlern ist die Antwort einfach: hier werden klassische Kaufverträge geschlossen5. Der Patient als Verbraucher erhält das Arzneimittel von der Apotheke und bezahlt dafür. Juristisch komplizierter ist die Lage allerdings bei gesetzlich versicherten Patienten. Das Bundessozialgericht nimmt an6, dass sich der Vergütungsanspruch der Apotheke gegenüber der Krankenkasse unmittelbar aus dem SGB V in Verbindung mit dem Rahmenvertrag ergibt. Das bedeutet also, dass die typische zentrale Käuferpflicht eines Kaufvertrags gar nicht den Patienten, sondern seine Krankenkasse trifft. Gleichwohl ist mit dem Bundesgerichtshof7 davon auszugehen, dass ein privatrechtliches Vertragsverhältnis zwischen Patient und Apotheke besteht, welches lediglich sozialrechtlich überlagert ist.
Die nächste Frage ist, welche Verbraucherschutzvorschriften auf Kaufverträge anwendbar sind, die eine Auslieferung von Arzneimitteln im Botendienst zum Gegenstand haben. Das BGB enthält eine Sondervorschrift8, die möglicherweise einschlägig sein könnte: Hiernach wären nur eng benannte Vorschriften auf Verträge über die Lieferung von Lebensmitteln, Getränken oder sonstigen Haushaltsgegenständen des täglichen Bedarfs, die am Wohnsitz, Aufenthaltsort oder Arbeitsplatz eines Verbrauchers von einem Unternehmer im Rahmen häufiger und regelmäßiger Fahrten geliefert werden, anwendbar. Auch die Lieferung von Arzneimitteln könnte – gegebenenfalls analog – hierunter fallen.
Die bisherige Rechtslage war klar: Für den Versandhandel ist die Vorschrift nicht einschlägig, weil die Lieferung typischerweise über einen Logistiker und damit nicht von der Apotheke selbst erfolgt. Und der bisherige Botendienst war auf den Einzelfall beschränkt, erfüllte also nicht das Kriterium der häufigen und regelmäßigen Fahrten. Damit galten in beiden Fällen die jeweils relevanten9 Verbraucherschutzvorschriften.
Wie wirkt sich nun die Streichung des Einzelfallkriteriums in § 17 Abs. 2 ApBetrO aus? Können sich Apotheken, die ihren Botendienst regelhaft ausweiten und damit möglicherweise »häufige und regelmäßige Fahrten« anbieten, künftig auf diese Ausnahme berufen? Auch wenn nicht sicher prognostiziert werden kann, ob Gerichte anders entscheiden, spricht einiges dafür, dies zu verneinen. Der Gesetzgeber hat nämlich in der Begründung zu einer weiteren Ausnahmevorschrift – derjenigen zu ärztlichen Behandlungsverträgen10 – eine ausdrückliche Wertung verankert. Dort hat er den ihm von der europäischen Richtlinie eröffneten Spielraum bewusst nicht genutzt und bestimmt, dass Verträge über den Vertrieb von Arzneimitteln und Medizinprodukten generell in den Anwendungsbereich der Verbraucherschutzvorschriften fallen sollen11. Diese Wertung würde konterkariert, wenn diese Produkte durch eine andere Ausnahmevorschrift erfasst würden12.
Eine abweichende Bewertung erscheint allerdings für besonders gesetzlich geregelte Versorgungssituationen wie die Heimversorgung13 oder Rezeptsammelstellen14 vertretbar. Die für diese Sonderfälle institutionalisierten Rahmenbedingungen stellen ihrerseits nämlich das erforderliche Schutzniveau für Patienten sicher. Demnach wären in diesen Fällen die nachstehend erläuterten Pflichten nicht einschlägig. Gerichtlich geklärt ist diese Frage allerdings bislang nicht.
Eine weitere wichtige Frage für den Umfang der einschlägigen Verbraucherrechte ist, ob es sich um einen Fernabsatzvertrag handelt. Das sind Verträge, bei denen für die Vertragsverhandlung und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet werden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt15.
Auch insoweit war die bisherige Rechtslage klar: Im Versandhandel gilt selbstverständlich Fernabsatzrecht. Verträge in der Apotheke werden bei gleichzeitiger Anwesenheit der Vertragsparteien geschlossen, das Fernabsatzrecht gilt also selbst bei einer nachfolgenden Botenlieferung nicht. Und selbst wenn Patienten im Einzelfall ihre Apotheke nicht aufsuchen können und per Telefon eine Botenzustellung vereinbaren, handelt es sich um einen Ausnahmesachverhalt der Versorgung aus einer Präsenzapotheke und damit nicht um ein organisiertes Fernabsatzsystem.
Mit der Änderung der Apothekenbetriebsordnung eröffnet der Verordnungsgeber künftig allerdings Apotheken die Möglichkeit, den Botendienst auch über den Einzelfall hinaus und damit regelhaft einem breiten Patientenkreis anzubieten. Zusätzlich wird dieses Angebot noch dadurch erleichtert, dass die erforderliche pharmazeutische Beratung auch im Wege der Telekommunikation erfolgen kann.
Wenn Apotheken diese neuen Rahmenbedingungen ausnutzen und Arzneimittelbestellungen von Patienten im Wege der Telekommunikation (egal ob per Telefon, App, E-Mail et cetera) regelmäßig in nennenswertem Umfang entgegennehmen und per Botendienst beliefern, geraten sie in den Anwendungsbereich des Fernabsatzrechts. Sie halten nämlich die personelle und sachliche Ausstattung vor, um regelmäßig im Fernabsatz zu tätigende Geschäfte zu bewältigen. Das bedeutet, dass ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebssystem vorliegt, sodass die Ausnahme nicht mehr greift16. Wo konkret die Grenze verläuft, kann wohl nur anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden. Die Maßstäbe sind allerdings streng, da der Gesetzgeber ausdrücklich betont hat, keine hohen Anforderungen an das Vorliegen eines organisierten Vertriebssystems stellen zu wollen und dass den Unternehmer die Beweislast dafür trifft, kein solches System zu nutzen17. Jedenfalls wenn eine Apotheke täglich Botendienste durchführt, ohne dass die betreffenden Patienten vorher in der Apotheke waren, wird das als organisiertes Vertriebssystem zu werten sein.
In diesen Fällen kommt es also dazu, dass für Apotheken mit ihrem erweiterten Botendienstangebot Fernabsatzrecht anwendbar ist, obwohl es sich nicht um Versandhandel im Sinne des § 11a ApoG handelt. Dieses zugegebenermaßen sprachlich verwirrende Ergebnis ist Ausfluss der unterschiedlichen Regelungsbereiche des Apotheken- und des Zivilrechts.
Bei Fernabsatzverträgen steht Patienten grundsätzlich ein Widerrufsrecht zu18, und zwar auch bei Arzneimittelkäufen. Ausnahmen gibt es einerseits für Rezepturarzneimittel, die individuell für den Patienten hergestellt wurden19, andererseits für versiegelte Arzneimittelpackungen, die nach der Lieferung geöffnet wurden20. Letzteres ist aufgrund der arzneimittelrechtlichen Vorgaben21 jedenfalls für verschreibungspflichtige Arzneimittel relevant, da diese mit entsprechenden Sicherheitsmerkmalen versehen sind.
Die maßgeblichen Vorschriften für verschiedene Fallgestaltungen von Vertragsschlüssen zwischen Apotheken und Patienten wurden eingehend bereits in einer früheren Ausgabe der PZ erläutert22, sodass sich die nachfolgende Darstellung allein auf die neue Variante eines regelhaften Botendienstes als Fernabsatzgeschäft beschränkt.
Die Apotheke ist in diesem Fall verpflichtet, den Patienten nach Maßgabe des Artikels 246a des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) zu informieren23. Dies muss vor Vertragsschluss klar und verständlich sowie in einer dem genutzten Kommunikationsmittel angepassten Weise erfolgen24.
Die typischerweise erforderlichen Informationen sind danach folgende:
Sofern nur begrenzter Raum oder begrenzte Zeit zur Verfügung stehen (zum Beispiel bei einer Bestellung per Telefon), reduzieren sich die erforderlichen Informationen auf folgende Punkte27:
Die anderen oben genannten Informationen muss die Apotheke dann aber auch in geeigneter Weise zugänglich machen. Das kann zum Beispiel ein Hinweis auf die Apothekenhomepage sein, wenn die Informationen dort abrufbar sind.
Spätestens bei der Lieferung der Arzneimittel muss die Apotheke dem Patienten die nach Artikel 246a EGBGB erforderlichen Informationen (siehe oben) mitsamt der Vertragsbestätigung auf einem dauerhaften Datenträger zur Verfügung stellen, wenn dies nicht bereits bei dem Vertragsschluss erfolgt ist. Am einfachsten kann dies durch Beilegen einer Rechnung mit den vollständigen Angaben erfolgen, es gibt aber auch alternative Möglichkeiten wie zum Beispiel die Übersendung per E-Mail.
Die in Erfüllung der gesetzlichen Informationspflichten gemachten Angaben werden Inhalt des Vertrags28. Sofern Apotheken ihre Informationspflichten nicht beachten, hat dies zwar keine unmittelbaren Auswirkungen auf die vertraglichen Hauptleistungspflichten. Etwaige Lieferkosten oder sonstige Nebenkosten können vom Patienten aber nur verlangt werden, wenn er vorher ordnungsgemäß hierüber informiert worden ist29. Die zweiwöchige Widerrufsfrist des Patienten beginnt nur dann bei Übergabe der Arzneimittel, wenn eine ordnungsgemäße Belehrung erfolgt ist. Ansonsten erlischt das Widerrufsrecht erst zwölf Monate und vierzehn Tage später30. Je nach Fallgestaltung können eventuell auch Schadensersatzansprüche des Patienten in Betracht kommen, zum Beispiel wenn er eine versiegelte Arzneimittelpackung in Unkenntnis der Rechtsfolge öffnet und danach noch sein (erloschenes) Widerrufsrecht ausüben möchte.
Darüber hinaus besteht das allgemeine Risiko im Wirtschaftsleben, dass eine Verletzung gesetzlicher Informationspflichten von Verbraucherschutzvereinen oder Wettbewerbern kostenpflichtig abgemahnt werden kann.
Syndikusrechtsanwalt Michael Jung , Referent Europa- und Kammerrecht,
ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V., Geschäftsbereich Recht,
Heidestraße 7, 10557 Berlin