Operieren im UK |
13.01.2003 00:00 Uhr |
von Sabine Dobel, Augsburg
Wenn der Orthopäde Ulrich Boenisch ins verlängerte Wochenende startet, hat er im Köfferchen seine OP-Instrumente dabei. Seit diesem Herbst reist der ärztliche Leiter der Hessingpark-Clinic Augsburg einmal im Monat mit Kollegen nach Newcastle. In zwei Teams operieren sie dort in ihrer Freizeit Patienten, die in Großbritannien bereits monatelang auf einen Eingriff warten.
„Die Idee war, am Wochenende ungenutzte Kapazitäten in den Kliniken vor Ort zu nutzen, um einfache orthopädische Operationen durchzuführen und so beim Abbau der Wartelisten zu helfen“, berichtet Boenisch. Nach seinen Worten ist es einer der ersten funktionierenden Einsätze von ausländischen Ärzten, der vom britischen Gesundheitsministerium gefördert wird.
Hintergrund für das Projekt ist ein Wahlversprechen von Premier Tony Blair, die Wartezeiten für bei Operationen drastisch zu reduzieren. Teil seines Maßnahmenpakets ist die kurzfristige Rekrutierung von hoch spezialisierten Ärzteteams vom europäischen Festland. Allein in Großbritannien warteten nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft 2001 rund 1,1 Millionen Menschen auf eine Operation, 53.000 von ihnen mussten sich mehr als ein Jahr gedulden.
Am 17. Januar starteten um 4 Uhr morgens erneut zwei Orthopäden und zwei Anästhesisten von Schwaben aus in Richtung englische Nordost-Küste. Wenn die Augsburger in South Tyneside, dem Regionalkrankenhaus von Newcastle, ankommen, sitzen im Wartezimmer bereits die ersten Patienten. „Wir kennen alle persönlich, haben alle Patienten sorgfältigen Voruntersuchungen unterzogen“, sagt Boenisch.
Im Akkord kommen deformierte Füße, Meniskus-Risse, Arthrosen und Schulterverletzungen unters Messer - bis die Deutschen am Sonntagnachmittag wieder in das Flugzeug nach Hause steigen. 38 bis 42 Patienten legen sich pro Wochenende auf den OP-Tisch, insgesamt sind bei dem Projekt bis März 2003 an sechs Wochenenden 252 Eingriffe vereinbart. Die Deutschen konzentrieren sich auf einfachere Operationen, die keine langwierige Nachsorge nach sich ziehen. „Andernfalls könnten wir keine Verantwortung übernehmen“, erläutert Boenisch.
Das Projekt ist auch Ausdruck eines zusammenwachsenden Gesundheitssystems in Europa. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes können sich laut Deutscher Krankenhausgesellschaft EU-Bürger in jedem anderen Land der Union auf Kosten ihrer Versicherung behandeln lassen. Im vergangenen Jahr machten rund 1000 Briten sowie mehr als 400 Norweger in Deutschland von der Möglichkeit Gebrauch.
Nun beschreiten die Augsburger Ärzte den Weg umgekehrt: Sie reisen zu den ausländischen Kranken. Die auf ambulante und kurzstationäre Eingriffe spezialisierte Hessingpark-Clinic hofft, dass in der zweiten Stufe des Modells im kommenden Sommer Briten zu schwierigeren Operationen in die orthopädische Augsburger Spezialklinik kommen.
Der Vorteil der ausländischen Patienten für die deutschen Kliniken: Zwar sind die Sätze nicht höher, die Einnahmen werden aber nicht auf das Krankenhausbudget angerechnet, die Einnahmen fließen ohne Abstriche in die Klinikkasse. Bevor das Projekt in Newcastle starten konnte, mussten die Augsburger Mediziner eine Reihe von Formalien absolvieren, von der Registrierung vor der britischen Ärztekammer über die Anerkennung des Facharzttitels bis hin zum Sprachtest in Liverpool.
Nicht alle englischen Kollegen sind allerdings über das
Regierungsprogramm erbaut. Sie fühlen sich von der Regierung übergangen und
befürchten eine ausländische Ärzteschwemme. Eine echte „Konkurrenz“ werden
die britischen Ärzten nach Expertenmeinung aber auch künftig nicht bekommen.
„Ich glaube nicht, das sich eine große Zahl von Ärzten findet, die so etwas
in ihrer Freizeit leisten können“, erläutert der Sprecher der bayerischen
Krankenhausgesellschaft, Siegfried Hasenbein. „Wir haben ja in Deutschland
schon einen Mangel an Krankenhausärzten.“
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