Woher kommt die hohe Kaiserschnittrate? |
Aus Sicht des Deutschen Hebammenverbands beginnt darüber hinaus hierzulande schon während der Schwangerschaft eine Risikoausrichtung. Während in vielen anderen Ländern der Zustand einer Schwangerschaft zunächst als normal angenommen werde, bis sich etwas anderes zeige, werde hierzulande eher aktiv nach Risiken gesucht, erklärt Andrea Köbke vom Präsidium des Hebammenverbands. »Das ist ein grundsätzlich anderes Mindset, als von einem normalen Zustand auszugehen.«
Der Verband sieht auch rechtlichen Druck für die Geburtshelfer: Die Angst vor Schadensersatzforderung bei unterbliebenem Kaiserschnitt sei allgegenwärtig, sagt Köbke. »Die gerichtlichen Gutachter tendieren dazu, den Kaiserschnitt im Schadensfall als ultima ratio zu sehen, und fragen in der Regel nach Gründen, warum dieser unterlassen wurde. Umgekehrt ist eine Schädigung durch Kaiserschnitt kein oder wenig Thema in Haftungsprozessen.«
Der Berufsverband der Frauenärzte sieht die Entwicklung in Deutschland mit gemischten Gefühlen. Zum einen bestehe die Sorge, dass die hohe Kaiserschnittrate auf eine zu schnelle Entscheidung für den Eingriff hinweist, auch wenn eine sogenannte spontane Geburt möglich gewesen wäre. Doch der Kaiserschnitt ermögliche auch, Geburten insbesondere bei Komplikationen oder Risikoschwangerschaften sicherer zu gestalten.
Eine optimale Kaiserschnittrate gebe es nicht, so die DGGG. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) formulierte zwar 1985 einen optimalen Anteil von 10 bis 15 Prozent, revidierte den Wert aber später. Er sollte vor allem dafür sorgen, in Ländern ohne adäquate Gesundheitsversorgung die Mütter- und Kindersterblichkeit zu senken. Das Ziel war nicht, sonstige gesundheitliche Schäden zu minimieren – und diese sind in Deutschland in den Fokus gerückt.
Zwingend medizinisch notwendig sind Kaiserschnitte der DGGG zufolge etwa bei einer Querlage des Kindes, dem Vorliegen des Mutterkuchens (Plazenta) vor dem inneren Muttermund oder einem Riss der Gebärmutter. Auch bei einer Präeklampsie und einem Versagen der Plazentafunktion sei ein Kaiserschnitt oft unvermeidbar. Etwa 10 Prozent aller Kaiserschnitte haben laut DGGG einen solchen Hintergrund, eine sogenannte absolute Indikation.
90 Prozent der Kaiserschnitte seien Folge einer relativen Indikation, also aufgrund von Abwägung der Geburtsrisiken für Mutter und Kind. Darunter fallen demnach auffällige Herztöne des Kindes, ein fehlender Geburtsfortschritt oder ein vorangegangener Kaiserschnitt.
Einer der größten Faktoren für die Zunahme der Kaiserschnitte ist laut DGGG das Risikoprofil werdender Mütter und die Anzahl der Risikoschwangerschaften. Mittlerweile liegt das Alter einer Frau bei der Geburt des ersten Kindes der DGGG zufolge bei fast 32 Jahren, mehr als 40 Prozent der Schwangeren seien übergewichtig oder adipös.
Der Direktor der Klinik für Geburtsmedizin an der Charité, Wolfgang Henrich, hält die aktuelle Rate nicht für bedenklich. Neben dem höheren Alter und Übergewicht können laut Henrich auch Erkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes oder Voroperationen insbesondere an der Gebärmutter oder auch Mehrlingsschwangerschaften für einen Kaiserschnitt sprechen.