Wo die meisten Fälschungen auftauchen |
Jennifer Evans |
07.08.2024 18:00 Uhr |
Scannen für mehr Sicherheit: Der europäische Fälschungsschutz zeigt Wirkung. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse im Auftrag der EU. / Foto: Shutterstock/viewfinder
Seit 2019 müssen die Apotheken Rx-Medikamente vor der Abgabe scannen, damit im Hintergrund das EU-Fälschungsschutzsystem seine Arbeit erledigen kann. Doch wie viele Fälschungen in der legalen Lieferkette sind seitdem eigentlich schon in den Offizinen gelandet? »Uns liegen keine Informationen aus dem Securpharm-System sowie dessen Umfeld vor, dass seit dem Start des Systems eine Arzneimittelfälschung eine öffentliche Apotheke in Deutschland erreicht hat«, so Anke Rüdinger, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbands (DAV), zur PZ.
Die legale Lieferkette in Deutschland sei bereits vor Einführung des Systems sehr sicher gewesen. Dennoch appellierte Rüdinger an die Apothekenteams, sich darauf nicht auszuruhen: »Wir dürfen in unseren Apotheken nie aufhören, achtsam zu sein. Wir sind die Expertinnen und Experten für Arzneimittel und wir sorgen in unseren Apotheken tagtäglich dafür, dass die Patientinnen und Patienten jederzeit qualitativ hochwertige Arzneimittel erhalten. Dabei hilft uns auch das Securpharm-System.«
Seit mehr als fünf Jahren dürfen Hersteller nur noch Rx-Medikamente in Verkehr bringen, deren Packung eindeutig identifizierbar und unversehrt ist. Die rechtliche Grundlage dafür bilden die Fälschungsschutzrichtlinie der Europäischen Union sowie ein 2016 verabschiedeter Delegierter Rechtsakt.
Laut einer Untersuchung im Auftrag der EU-Kommission, die auf Zahlen der Europäischen Arzneimittelagentur – EMA zurückgreift, sind im Zeitraum von 2017 bis 2022 bislang insgesamt 67 bestätigte Fälschungen in der legalen Lieferkette aufgetaucht, 13 davon in Deutschland. Spitzenreiter sind jedoch die Niederlande mit 21 Fällen. Die wenigsten bestätigten Fälschungen sind der Auswertung zufolge unter anderem in Irland, Italien, Spanien und Griechenland registriert worden.
Zu bedenken ist allerdings, dass sich die Länder in den Definitionen eines »bestätigten Falls« in der legalen Lieferkette unterscheiden und auch Diebstähle oder noch offene Vorkommnisse nicht in die Auswertung eingeflossen sind. Details zur Art und Weise der Entdeckung oder dem genauen Ort hat die EMA übrigens auch nicht veröffentlicht.
Trotz dieser Einschränkungen und teilweise fehlender Umsetzung in einigen Ländern kommen die Autoren der EU-Analyse aber zu der Einschätzung: Der Schutzmechanismus der Fälschungsschutzrichtlinie zeigt Wirkung und wird seiner Aufgabe gerecht. Seit dessen Einführung geht demnach die Anzahl der gefundenen Fälschungsfälle zurück.
In Deutschland sind laut EMA-Daten im Zeitraum zwischen 2017 und 2019 noch neun Fälle und zwischen 2019 und 2022 nur noch vier Fälle aufgetreten. Generell spielt die legale Lieferkette keine so große Rolle, weil die meisten Fälschungen in Europa in der illegalen Lieferkette unterwegs sind. Und demnach vor allem im Onlinehandel zu finden sind, speziell bei teuren Präparaten oder Lifestyle-Produkten. Dazu gehören laut EU-Studie Injektionen zur Krebsbekämpfung sowie Muskel- und Potenzmittel.
Die Kritik, dass sich mit dem Schutzsystem nicht gleichzeitig auch Lieferengpässe ermitteln lassen, weisen die Studienautoren allerdings zurück. Sie argumentieren, dass eine Track-and-Trace-Funktion nicht notwendig zur Umsetzung eines funktionierenden Fälschungsschutzsystems sei. Eine Integration eines solchen halten sie daher für nicht zielführend. Es sei denn, die Delegierte Verordnung würde künftig dahingehend erweitert, das System auch für Lieferengpässe zu nutzen. In der Verordnung sind unter anderem die Richtlinien für sichere Arzneimittelpackungen definiert.
Im Rahmen der Untersuchung fand eine Umfrage unter den Akteuren des Fälschungsschutzssystems statt, um zu ermitteln, welche Arzneimittelgruppen einem besonders hohen Fälschungsrisiko unterliegen. Die Umfrage unter 205 Akteuren ergab, dass 61 Prozent das größte Problem bei Lifestyle-Produkten sehen, gefolgt mit 31 Prozent bei Hochrisikomedikamenten wie zum Beispiel Krebsmedikamenten oder Impfstoffen.
Weitere Gefahrenquellen sehen die Umfrageteilnehmer mit 52 Prozent bei Arzneimitteln, die nicht in den EU-Mitgliedstaaten beziehungsweise dem europäischen Wirtschaftsraum zugelassen sind. Weitere 30 Prozent befürchten Fälschungen bei Medikamenten, die bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus zum Einsatz kommen. Und nur 20 Prozent bereiten Präparate für seltene Erkrankungen die größten Sorgen. Die Umfrageergebnisse hatte die EMA bestätigt.
Für Fälschung kursieren in Europa viele unterschiedliche Begriffe, die im Prinzip dasselbe meinen. Sie reichen von Counterfeit und Falsified über Fake bis hin zu Fraudulent. Auch die Definitionen für Fälschungen variieren. So meint die Weltgesundheitsorganisation – WHO damit »absichtlich und betrügerisch falsch gekennzeichnete Arzneimittel in Bezug auf Identität und/oder Herkunft«. Demzufolge kann es sich dabei sowohl um Markenprodukte als auch Generika handeln, die richtige oder falsche Inhaltsstoffe, keine oder inkorrekte Mengen an Wirkstoffen enthalten.
Bei der EU versteht man unter Fälschung generell jedes Arzneimittel, bei dem entweder die Identität, einschließlich Verpackung und Kennzeichnung, der Namen oder die Zusammensetzung in Bezug auf jegliche Bestandteile, einschließlich der Hilfsstoffe und der Stärke dieser Bestandteile, in betrügerischer Absicht gefälscht ist. Weiterhin erstreckt sich die europäische Auslegung auf den Hersteller, das Herstellungs- beziehungsweise Herkunftsland, den Inhaber, die Genehmigung für das Inverkehrbringen sowie etwaige Aufzeichnungen, die in Zusammenhang mit den Vertriebswegen stehen. Nicht Teil der EU-Begriffsbestimmung sind unbeabsichtigte Qualitätsmängel sowie Verstöße gegen die Rechte des geistigen Eigentums.
Deutlich kürzer fasst sich die US-amerikanische Arzneimittelbehörde Food and Drug Administration (FDA). Fälschungen umfassen bei ihr Arzneimittel, die »in betrügerischer Absicht in Bezug auf ihre Identität, einschließlich Verpackung und Kennzeichnung, oder ihre Herkunft falsch dargestellt werden.«
Ähnlich kompakt beschreibt die Internationale Kriminalpolizeiorganisation (INTERPOL) Fälschung als illegale Arzneimittel, die oft falsche Mengen an Wirkstoffen (zu wenig, zu viel oder gar keine) enthalten. In anderen Fällen könne es Arzneimittel betreffen, die gestohlen, falsch gelagert oder etikettiert sind oder deren Verfallsdatum abgelaufen ist.
Geläufiger dürften den Apothekerinnen und Apothekern dagegen die entsprechenden Ausführungen im Arzneimittelgesetz (AMG) § 4, Abs. 40 sein. Darin sind gefälschte Arzneimittel als solche definiert, die mit falschen Angaben über ihre Identität, ihre Herkunft oder ihre Zulassung versehen sind.