| Johanna Hauser |
| 21.11.2025 10:30 Uhr |
Sertralin scheint manche Symptome einer Depression schneller zu lindern als bisher angenommen. / © Adobe Stock/Westend61
Die Depression ist ein Krankheitsbild, das aus sehr heterogenen Symptomen besteht, die in verschiedenen Kombinationen auftreten können. In der Regel werden Depressionen jedoch als homogene Erkrankung behandelt. So konnten klinische Studien eine Wirkung von SSRI oft erst nach mehreren Wochen belegen, weil die Verbesserungen einzelner Symptome zu kleinteilig waren oder durch andere Faktoren maskiert wurden. Auch war der Unterschied zu Placebo teils nur marginal.
Eine in »Nature Mental Health« publizierte Auswertung zeigte, dass die Wirkung von Sertralin teilweise bereits nach zwei Wochen einsetzt, dies jedoch von Nebenwirkungen überdeckt wird.
Als Grundlage diente die vor ungefähr zehn Jahren durchgeführte PANDA-Studie vom National Institut for Health Research, Großbritannien, die 2019 in »The Lancet« veröffentlicht wurde. Das Team um Professor Gemma Louis vom University College London zeigte anhand des Patient Health Questionnaire-9 (PHQ-9) als Bewertungsgrundlage, dass nach zwei und sechs Wochen kein signifikanter Effekt von Sertralin gegenüber Placebo vorlag. Auch nach zwölf Wochen trat nur ein geringer Unterschied zutage.
Nun wertete eine Forschungsgruppe um Dr. Giulia Piazza, ebenfalls vom University College London, die Daten neu aus. Dabei wurde die Wirkung von Sertralin auf jedes einzelne Symptom separat betrachtet und analysiert und dann mit der Entwicklung der anderen Symptome verglichen (Netzwerkanalyse).
Insgesamt wurden Daten von 653 erwachsenen Patienten mit depressiven Symptomen ausgewertet, das Durchschnittsalter betrug 39,7 Jahre. Die Teilnehmer erhielten entweder Sertralin 50 mg einmal täglich für eine Woche, dann 100 mg täglich bis zu elf Wochen oder Placebo. Symptome wurden nach zwei, sechs und zwölf Wochen erfasst.
Das Team fand bereits nach zwei Wochen für manche Symptome eine signifikante Verbesserung. Am deutlichsten sichtbar war dies bei dem Gefühl von Traurigkeit, Selbsthass und Unruhe, aber auch bei Suizidgedanken.
Bereits ab sechs Wochen waren Kernsymptome der Depression, zum Beispiel Traurigkeit, und schlechtes Selbstverhalten, beispielweise Schuldgefühle oder übermäßige Selbstkritik, deutlich reduziert. Die positive Wirkung von Sertralin hielt zudem über sechs Wochen hinaus an, unabhängig von vorherigen Wirkungen. Jedoch zeigte das SSRI durchaus konträre Effekte. So wurden somatische Symptome einer Depression oft als Nebenwirkungen berichtet.
Wenn die Auswirkungen auf Schlaf, Müdigkeit und Appetit einzeln betrachtet wurden, waren keine Auffälligkeiten sichtbar. Wurde jedoch ein Zusammenhang zwischen den Symptomen hergestellt, erhöhte sich die Sensitivtät: Es zeigten sich negative Auswirkungen auf Libido, Müdigkeit und Appetit nach zwei Wochen sowie auf Schlaf und Libido nach sechs Wochen. Nach zwölf Wochen Therapie wurde kein weiterer Effekt festgestellt . Diese vermutlichen Nebenwirkungen könnten sich nach Einschätzung der Autoren negativ auf die mentalen Symptome auswirken. So führe schlechter Schlaf zu Konzentrationsproblemen, was sich wiederum negativ auf den Selbstwert auswirke.
Dies könnte erklären, warum in der PANDA-Studie in Summe erst relativ spät positive Veränderungen im PHQ-9 sichtbar wurden und die Vorteile gegenüber Placebo gering waren.
Es scheint, dass die negativen Auswirkungen innerhalb der ersten sechs Behandlungswochen ihren Höhepunkt erreichen und dann durch die Verbesserung anderer Symptome ausgeglichen werden. Die Autoren folgern, dass Sertralin zwar Symptome verbessert, jedoch die Assoziation verschiedener Symptome nicht beeinflusst, also nicht in der Lage ist, maladaptive Verstärkungszyklen zu unterbrechen. Die Wirkung definiert sich also über die Besserung der Kernsymptome.
»Diese Analyse zeigt, dass Sertralin bei granularer Betrachtung von Depressionssymptomen, also individuellen Symptomen, das Placebo bei Symptomen wie Stimmungsdepression ziemlich früh übertrifft«, schätzt Dr. Sameer Jauhar vom Imperial College London die Daten gegenüber dem Science Media Center ein. Und Dr. Atheeshaan Arumuham vom King’s College London ergänzt: »Diese Studie liefert ein dringend benötigtes Update darüber, wie wir die Wirkung von Antidepressiva in der täglichen klinischen Praxis verstehen.«