Wird die Weltbevölkerung schrumpfen? |
2,1 Kinder pro Frau: Dieser Wert gilt als Schwelle, um die Bevölkerung durch Geburten langfristig auf einem konstanten Niveau zu halten. Experten schätzen, dass im Jahr 2100 weltweit nur noch sechs Staaten über dieser Marke liegen. / Foto: Getty Images/Catherine Falls Commercial
Ein renommiertes Expertenteam schätzt im Fachblatt »The Lancet«, dass im Jahr 2100 weltweit nur noch sechs Staaten – Samoa, Tonga, Somalia, Niger, Tschad und Tadschikistan – über der Marke von 2,1 Kindern pro Frau liegen. Dieser Wert gilt allgemein als Schwelle, um die Bevölkerung durch Geburten langfristig auf einem konstanten Niveau zu halten.
Für die übrigen 198 Länder gehen die Forschenden davon aus, dass die Geburtenrate im Jahr 2100 unter der Marke von 2,1 liegt. Die Zahl der Menschen dürfte dort langfristig sinken, wenn nicht durch Einwanderung gegengesteuert werde, schreibt das Team unter Leitung des Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) der US-amerikanischen University of Washington in Seattle.
Im Jahr 2050 werden der Prognose zufolge bereits 155 Länder unter der 2,1-Schwelle liegen (2021: 110). »Wir stehen im 21. Jahrhundert vor einem erschütternden sozialen Wandel«, sagte IMHE-Forscher Professor Dr. Stein Emil Vollset laut Mitteilung. Die Welt werde gleichzeitig mit einem Baby-Boom in einigen Ländern und einem Nachwuchsmangel in vielen anderen Ländern konfrontiert sein.
Mitautorin Dr. Natalia Bhattacharjee ergänzt: Die Entwicklung werde »die Weltwirtschaft und das internationale Machtgleichgewicht völlig umgestalten und eine Neuordnung der Gesellschaften erforderlich machen.« Es werde einen harten Wettbewerb um Migranten geben, um das Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten.
Für Catherina Hinz, geschäftsführende Direktorin am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, bestätigt der neue Bericht den auch von anderen Institutionen angenommenen Trend. Sie gibt aber zu bedenken, dass solche Schätzungen durchaus mit Vorsicht zu genießen sind. »Projektionen, die mehr als 25 Jahre in die Zukunft gehen, sind super unsicher«, sagte Hinz, die nicht an dem Bericht beteiligt war, der Deutschen Presse-Agentur. Schließlich könne niemand mit absoluter Gewissheit vorhersagen, wie sich Wirtschaft, Gesellschaft und Gesundheit in den Regionen der Welt entwickeln.
Zwischen 1950 und 2021 sei die Geburtenrate global gesehen von etwa 5 auf 2,2 gesunken, zum Ende des Jahrhunderts werde sie bei 1,6 liegen, sagt das Team um die IHME-Forschenden nun in »Lancet« voraus. Zum Vergleich: Die Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) waren in einem Bericht von 2022 mit rund 1,8 etwas weniger drastisch. Damals ging die UN davon aus, dass die Weltbevölkerung ihren Höchststand in den 2080er-Jahren mit 10,4 Milliarden Menschen erreichen wird. Derzeit wird von rund 8,1 Milliarden Menschen ausgegangen. Für Westeuropa sagt der von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung finanzierte »Lancet«-Bericht eine Geburtenrate von durchschnittlich 1,37 im Jahr 2100 voraus.