»Wir müssen Veränderungen zulassen« |
Im PZ-Interview erklärt ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening die nächsten Ziele der Standesvertretung. / Foto: Martin Jehnichen
PZ: Frau Overwiening, Sie sind vor zwei Jahren mit ambitionierten Zielen in Ihre neue Aufgabe gestartet. Sind Sie nun, nach der Hälfte der Amtsperiode und mit Blick auf diese Ziele, zufrieden mit dem Erreichten?
Overwiening: Auf meiner Agenda standen wichtige Punkte, wie etwa der Trivialisierung des Arzneimittels entgegenzuwirken, die pharmazeutischen Dienstleistungen in der Apotheke zu etablieren, die Apotheken wirtschaftlich in sicherere Fahrwasser zu geleiten, das Perspektivpapier 2030 weiter umzusetzen und die Geschlossenheit im Berufsstand zu fördern. Zu Beginn meiner Amtszeit hat das Pandemie-Management diese Themen noch überschattet – sowohl in den Apotheken als auch in meiner persönlichen Arbeit. Heute ist mir aber klar, dass viele der in der Pandemie etablierten Maßnahmen, also beispielsweise das Impfen oder die erleichterten Abgaberegeln zumindest indirekt zu einer heilberuflichen Stabilisierung der Apotheken geführt haben.
PZ: Bei der finanziellen Stärkung der Apotheken hat sich hingegen wenig getan. Eher im Gegenteil – die Apotheken mussten eine herbe Niederlage einstecken…
Overwiening: Richtig. Aus meiner Sicht liegt das auch am Regierungswechsel – die neue Regierung muss nun nach der Pandemie sparen. Dass ich es nicht geschafft habe, in den Köpfen der politischen Entscheiderinnen und Entscheider die Botschaft zu platzieren, dass man in den Apotheken aber nichts sparen kann, ist eine persönliche Enttäuschung für mich. Das spürt auch die Kollegenschaft – nach zwei aufopferungsvollen Jahren und vielen politischen Dankesreden bekommen wir als Dankeschön eine Honorarsenkung. Das tut weh.
PZ: Wie geht es Ihnen persönlich nach zwei Jahren ABDA? Können Sie sich mit dem Präsidentinnen-Job identifizieren? Haben Sie genug Rückendeckung?
Overwiening: Gerade in der Zeit vor dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz bin ich an meine Grenzen gestoßen. Ich hatte viele gute Botschaften aus der Politik. Mehrere Parlamentarier hatten uns sogar Entlastungen versprochen, etwa die Streichung der Null-Retaxationen oder des Präqualifizierungsverfahrens. Aber am Ende wurden wir maßlos enttäuscht. Ausgesprochen froh bin ich über die Rückendeckung aus den Kammern und Verbänden. Ich habe zu allen einen guten Draht und empfinde Dankbarkeit für deren Unterstützung und das eigene Engagement der Mitglieder.
PZ: Dazu läuft ja auch noch die Organisationsanalyse…
Overwiening: Richtig. Wir müssen hier nur wirklich mutig sein und die vorgeschlagenen Veränderungen auch zulassen. Wir müssen transparenter und klarer werden. Es muss kürzere, berufspolitische Wege hin zu Entscheidungen geben. Prozesse müssen agiler und professioneller werden.
PZ: Kommen wir zu einem weiteren Ziel Ihrer Amtszeit – die Implementierung der pharmazeutischen Dienstleistungen. Sind Sie zufrieden damit, wie die Dienstleistungen im ersten halben Jahr nach ihrer Einführung umgesetzt und angenommen werden?
Overwiening: Die Dienstleistungen werden immer häufiger angeboten. Natürlich sind sie aber zögerlich angelaufen, weil wir in der Kollegenschaft erst für die Qualifikation sorgen mussten. Außerdem arbeiten wir nach der Pandemie und in einer Erkältungswelle mit einer hohen Krankheitslast und sind oft ausgelaugt – da ist nicht immer Platz für die pharmazeutischen Dienstleistungen. Aber genau deswegen werden wir jetzt eine zweigleisige Offensive starten, um den Kolleginnen und Kollegen zu helfen.
PZ: Eine neue ABDA-Kampagne?
Overwiening: Ja. Wir haben ein Konzept erarbeitet, mit dem einerseits die Apothekenteams gestärkt, geschult und motiviert werden sollen, damit sie die Dienstleistungen anbieten. Nach dem Prinzip »Train the Trainer« wollen wir die Apotheken beispielsweise mit Videos crossmedial noch besser auf die Dienstleistungen vorbereiten und ihnen Sicherheit geben. Andererseits wird die Öffentlichkeitsarbeit mit einer Kampagne, die wir im zweiten Quartal starten, das Interesse bei den Menschen wecken. Wir wollen verschiedenen Patientengruppen verdeutlichen, welchen individuellen Nutzen sie aus der jeweiligen pharmazeutischen Dienstleistung ziehen können.
PZ: Ein Thema, das nicht nur die ABDA sondern das gesamte Gesundheitswesen derzeit beschäftigt, sind die Arzneimittel-Lieferengpässe. Das BMG hatte die Wirtschaftlichkeitsprüfungen für Rezeptur-Verordnungen abgeschafft, damit Ärzte diese häufiger anordnen. Jetzt teilt Herr Lauterbach auf Twitter mit, dass Apotheker schon mehr Rezepturen herstellen. Stimmt das?
Overwiening: Die Streichung der Wirtschaftlichkeitsprüfung ist richtig, hilft aber nicht wirklich weiter. Ärzte kennen die Lagerbestände der Apotheken nicht. Jede Apotheke ist mit Blick auf die Vor-Ort-Bedürfnisse in der Versorgung anders sortiert. So kann es dazu kommen, dass ein Apotheker bei einer vorliegenden Rezeptur-Verordnung ausnahmsweise doch einmal ein Fertigarzneimittel hat, das er dann aber nicht abgeben darf. Es entstehen neue Arzt-Wege für den Patienten oder nötige Rücksprachen zwischen Apotheken und Arztpraxen. Deswegen brauchen wir in der Apotheke unbedingt mehr Entscheidungsspielraum. Jede Apotheke muss selbst entscheiden dürfen, ob das verordnete Fertigarzneimittel, eine Defektur oder eben eine Rezeptur der beste Versorgungsweg ist. Die Arzneimittelversorgung bei Engpässen ist nicht standardisierbar. Wir gehen vor Ort auf die jeweilige Versorgungslage ein und reagieren darauf. Das ist unsere Stärke. Diese können wir aber nur zeigen, wenn wir ausreichend vergütet werden dafür. Wir können nicht schon wieder der Lückenbüßer für die Probleme in der Gesundheitsversorgung sein und als Belohnung dann eine Honorarkürzung kassieren.
PZ: Viele Apothekenteams fragen sich auch, wie sie die vielen Defekturen und Rezepturen überhaupt in ihrem Alltag unterbringen sollen…
Overwiening: Das kann ich sehr gut verstehen. Deswegen werden wir in den Gesprächen mit der Politik klar machen, dass wir das nur fortführen können, wenn wir erstens eine deutlich gesteigerte Vergütung erhalten und zweitens wenn wir selbst über die Versorgungsform entscheiden dürfen. Sollte man von uns erneut erwarten, kostenlos den Problemlöser zu spielen, werden wir ablehnen.
PZ: Wie kommentieren Sie denn die zweite, sofortwirksame Maßnahme des BMG – die temporäre Streichung vieler Festbeträge?
Overwiening: Ich finde es sehr gut, dass Eltern in dieser Situation nun der finanzielle Druck und das Ärgernis der Aufzahlungen genommen werden. Aber an der Versorgung wird sich nicht viel ändern. Hersteller werden wegen einer dreimonatigen Maßnahme nicht ihre Lieferketten und Verkaufsprioritäten ändern. Langfristig gesehen wird es nur helfen, wenn wir uns aus der negativen Preisspirale freischaufeln – die gesamte Arzneimittelpreisbildung muss reformiert werden.
PZ: Sollte die Bundesregierung die Arzneimittelpreisbildung reformieren, könnte es auch zu einer Reform des Apothekenhonorars kommen. Das hat die Ampel-Koalition auch im Koalitionsvertrag angekündigt. Es geht um »Effizienzgewinne« bei den Apotheken und einen Strukturfonds. Würde die ABDA solche Vorhaben unterstützen?
Overwiening: Nein, natürlich nicht. In anderen Ländern sehen wir solche Umverteilungsideen, bei denen größere Apotheken – je nach Umsatz – einen Teil des Umsatzes an den Fonds abtreten müssen, um kleinere Apotheken zu unterstützen. Das funktioniert nicht – der Umsatz hat aus unserer Sicht fast keine Relevanz mehr und auch keine Aussagekraft darüber, ob es der Apotheke wirtschaftlich gut geht und wie wichtig sie für die Versorgung vor Ort ist. Grundsätzlich arbeiten wir aber gerade daran, der Politik einen elaborierten Vorschlag zur Vergütung zu machen.
PZ: Was genau meinen Sie?
Overwiening: Zunächst einmal müssen wir bei der Vergütung zwischen der aktuellen Engpass-Problematik und der möglicherweise anstehenden Honorar-Reform – so wie im Koalitionsvertrag vorgeschlagen – unterscheiden. Was die Engpässe betrifft, hat uns das BMG ja bereits ein Honorar für das Engpass-Management vorgeschlagen, das wir so nicht akzeptieren werden und dies auch schon bald und separat gegenüber der Politik kritisieren werden. Unabhängig davon arbeiten wir an grundsätzlichen Honorar-Vorschlägen, die wir bald beschließen und dann ebenfalls der Politik vorstellen wollen. Die einzelnen Forderungen aus unserem Papier möchte ich aber noch nicht in der Öffentlichkeit vorstellen.