»Wie viele Apotheken will sich Deutschland leisten?« |
Daniela Hüttemann |
17.11.2022 16:30 Uhr |
Kammerpräsident Dr. Kai Christiansen befürchtet, dass die Zahl der Apotheken in Schleswig-Holstein durch die Erhöhung des Kassenabschlags und explodierende Kosten noch dramatischer sinken wird. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
In der letzten Kammerversammlung dieser Wahlperiode blickte Präsident Dr. Kai Christiansen auf die vergangenen, sehr bewegten 4,5 Jahre zurück. Zwar konnten die Apotheken während der Corona-Pandemie mit ihrem Einsatz glänzen, Botendienste werden nun vergütet und mit den neuen pharmazeutischen Dienstleistungen ist eine neue, wenn auch vorerst noch zarte Vergütungsform hinzugekommen.
Andere Probleme haben sich jedoch verschärft, allen voran Personalmangel, Apothekensterben und das zum 1. Februar 2023 durch den erhöhten Kassenrabatt gekürzte Packungshonorar. Darum drehte sich auch alles bei der Kammerversammlung am gestrigen Mittwoch in Kiel.
»Nachwuchs ist überall eine knappe Reserve«, so Kommunikations-Experte Dr. Reiner Kern. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
Als Gastreferent berichtete Dr. Reiner Kern, Leiter Kommunikation und Pressesprecher der ABDA, über die aktuellen und prognostizierten Zahlen zum Personalmangel in den Apotheken und wie ABDA, Kammern und Verbände, aber auch jede einzelne Apotheke dagegen angehen können. »Nachwuchs ist überall eine knappe Reserve – Apotheker sind nur einer von 148 offiziell anerkannten Mangelberufen«, informierte Kern.
Dabei sind alle pharmazeutischen Berufsgruppen – Apothekerinnen und Apotheker, PTA und PKA – betroffen. Zwar sei die Zahl der werktätigen Approbierten zwischen 2010 und 2019 um 9350 Personen gestiegen – den mit Abstand größten Zuwachs verzeichneten dabei jedoch Apotheker in Wissenschaft, Industrie und Verwaltung (WIV, plus 48,2 Prozent) und Krankenhausapotheken (plus 34,2 Prozent).
Zwar gab es auch einen zehnprozentigen Anstieg bei den öffentlichen Apotheken, obwohl die Anzahl der Betriebe sank, doch steigt hier der Bedarf durch mehr Arbeit auch weiter an. Neben den Sonderaufgaben während der Pandemie sind hier der Anstieg des Bevölkerungsdurchschnitts mit einer Zunahme der Morbidität, mehr Bürokratie, neue Aufgaben wie pharmazeutische Dienstleistungen und Impfen sowie im Krankenhaus Apotheker auf Stationen zu nennen. Hinzu kommt, dass 44 Prozent der Apothekeninhaber und -inhaberinnen bereits 56 Jahre und älter sind. Selbst mit stabilen Absolventenzahlen ließe sich die Lücke nicht decken.
Nachwuchsgewinnung müsse bereits bei den 13- bis 14-Jährigen anfangen, sagte Kern. Dabei sei es nicht nur Aufgabe der ABDA oder der Landesapothekerkammern und -verbände, hier mit Kampagnen zu werben, auf Berufsmessen zu gehen und Infomaterial bereitzustellen, was alles bereits seit Jahren gemacht und medial demnächst intensiviert wird.
Vielmehr müsse jede einzelne Apotheke sich aktiv um Nachwuchs bemühen, so Kern. Das fängt bei einem gut sichtbaren Aushang (»Wir suchen dich!«) in der Offizin und Werbung über die eigenen Social-Media-Kanäle an, geht über Vorträge an Schulen bis hin zum vielleicht Wichtigsten: Trotz aller Widrigkeiten des Apothekenalltags Freude am Beruf zu zeigen und das auch im Rahmen von Schülerpraktika, Famulatur und praktischem Jahr zu vermitteln.
Dabei stecke man bei der Kommunikation ganz klar in einem Dilemma: Auf der politischen Seite muss immer wieder ausdrücklich auf die Defizite hingewiesen und es müssen stabile Rahmenbedingungen inklusive einer auskömmlichen Honorierung für Inhaber, die das volle wirtschaftliche Risiko tragen, und Mitarbeitende, die eine wertschätzende Bezahlung verdienen, gefordert werden. Es nütze auch nichts, diese Missstände dem Nachwuchs zu verschweigen, denn »veräppeln« lasse sich die Generation Z nicht, warnte Kern.
Die heutigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen legten aber mehr als ihre Vorgänger wieder Wert auf eine wohnortnahe, sinnstiftende Tätigkeit mit Teamwork und guter Vereinbarkeit für Familie und Beruf. Und hier können die Apotheken vor Ort ganz klar punkten, zumal neue Tätigkeiten wie die pharmazeutischen Dienstleistungen die Arbeit auch inhaltlich wieder attraktiver machen.
»Gerade wenn wir auf die Schwächen wie die Rahmenbedingungen und Verdienstmöglichkeiten nur wenig Einfluss haben, müssen wir bei der Nachwuchsgewinnung diese Stärken kommunizieren«, betonte Kern. Umgekehrt helfe der Personalmangel und damit die Gefährdung der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung als gewichtiges Argument gegenüber der Politik.
»Wie schaffen wir es, dass wir endlich finanzielle Planungssicherheit bekommen? Wie schaffen wir es, dass wir für die nächste Generation an Arbeitnehmern und Selbständigen wieder attraktiv sind?«, das fragte sich auch Kammerpräsident Christiansen in seinem Bericht. Hier erwarte er endlich vernünftige Antworten von der Politik – und auch eine ehrliche Antwort auf die Frage: Wie viele Apotheken will sich Deutschland leisten?
»Bundesweit waren es Ende 2021 nur noch 18.461 öffentliche Apotheken – dem Handeln der Politik nach sind das noch zu viele«, konstatierte Christiansen. Während es in Schleswig-Holstein im Jahr 2009 noch 737 öffentliche Apotheken waren, sind es Stand Oktober 2022 nur noch 606 Betriebe.
Der Kammerpräsident fürchtet, dass diese Zahl durch die Erhöhung des Kassenabschlags gepaart mit explodierenden Energiepreise, Inflation und Mietkosten und eben dem zunehmenden Personalmangel weiter dramatisch sinken wird. »Natürlich werden die Wege zur nächsten Apotheke dann weiter«, so Christiansen, vor allem im Notdienst. »Wer sich heute aufregt, weil er in der Nacht 40 Kilometer zur nächsten Notdienstapotheke zurücklegen musste, wird sich in fünf Jahren freuen, wenn es nur 40 und nicht 70 Kilometer sind.«
»Mit der Änderung, dass keine Apotheke in Schleswig-Holstein mehr als 39 Dienste machen soll, hat die Apothekerkammer deutlich gemacht, dass wir nicht bereit sind, die gleiche Zahl an Notdiensten, die mehr als 730 Apotheken geleistet haben durch weniger als 600 Apotheken in gleicher Weise sicherzustellen«, betonte Christiansen. Gesundheitskioske seien da kein Ersatz. Er kritisierte, dass der Bundesgesundheitsminister hier in neue Strukturen investieren will, statt die bestehenden, gut funktionierenden wie die Apotheken mehr zu unterstützen.
Das bislang flächendeckende Netz der Vor-Ort-Apotheke stelle eine hocheffiziente und dabei maximal kostengünstige Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicher. »Wer hier weiter spart, spart nicht nur am falschen Ende, sondern gefährdet Menschenleben«, so Christiansen. »Schon jetzt sind es keine Effizienzreserven, die in den Apotheken gehoben werden, sondern die Politik spart die Vor-Ort-Apotheke zu Tode.«
Das wollen sich aber insbesondere die Apotheken im Norden nicht mehr gefallen lassen – und haben dies am 18. Oktober 2022 eindrucksvoll und mit größter Geschlossenheit bewiesen. »Der Warnstreik an jenem Mittwochnachmittag hat gezeigt, dass wir nicht kampflos aufgeben werden«, so Christiansen im Hinblick auch auf zukünftige Strukturreformen der Regierung.