Wie sollten künftige Covid-19-Impfstoffe beschaffen sein? |
Theo Dingermann |
28.06.2022 18:00 Uhr |
Allein auf einen auf Omikron angepassten Impfstoff zu setzen, könnte zu kurz greifen. / Foto: Getty Images/narvikk
Die verfügbaren Impfstoffe, die auf der Basis des Spike-Proteins des ursprünglichen Wuhan-Virus entwickelt wurden, induzieren nur noch einen suboptimalen Schutz vor schweren Krankheitsverläufen, die durch aktuell kursierende Virusstämme verursacht wurden. Das ist wenig überraschend. Daher werden die Stimmen nach angepassten Impfstoffen immer lauter. Mit diesem Thema setzt sich aktuell auch ein Bericht auseinander, der jetzt im Fachjournal »Nature« erschienen ist.
Es sind vor allem die derzeit zirkulierenden Omikron-Stämme, die aufgrund ihres Immunfluchtpotenzials Sorgen bereiten. Diese Sorge wird in dieser Woche ein Beratungsgremium der US-Zulassungsbehörde FDA aufgreifen, um prinzipielle Strategien der Impfstoffentwicklung zu diskutieren.
Nicht alle Wissenschaftler sind der Meinung, dass Covid-19-Impfstoffe dringend ein Update benötigen; unter anderem, weil völlig unklar ist, wie angepasste Impfstoffe tatsächlich aussehen sollten. Denn die immunologischen Eigenschaften immer wieder neuer Virusvarianten lassen sich – wenn überhaupt – nur schwer vorhersehen.
Einige Forscher fassen hingegen das Problem entschlossen an. So sagt Professor Dr. Meagan Deming, Virologin und Impfstoffwissenschaftlerin an der University of Maryland School of Medicine in Baltimore: »Ich denke, es ist an der Zeit. Das Virus verändert sich, und was vor zwei Jahren funktioniert hat, funktioniert möglicherweise nicht mehr für zukünftige Varianten.« Aber auch sie gibt zu bedenken, dass die Aktualisierung von Covid-19-Impfstoffen deutlich komplexer sein wird als ein einfacher Austausch der Information des von dem Wuhan-Stamm abgeleiteten S-Proteins gegen die entsprechende Information einer Omikron-Variante.
Die Omikron-Varianten BA.4 und BA.5 haben gezeigt, wie problematisch das pandemische Geschehen nach wie vor ist. Die ersten angepassten Impfstoffe werden auf der Omikron-Variante BA.1 basieren. Aber »BA.1 ist bereits Schnee von gestern«, sagt Dr. John Beigel vom US-amerikanischen National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) in Bethesda, Maryland, der eine Studie über potenzielle Impfstoffaktualisierungen leitet.
Professor Dr. Penny Moore, Virologin an der University of the Witwatersrand in Johannesburg, Südafrika, weist zudem darauf hin, dass es auch nicht auszuschließen sei, dass bis zur Marktzulassung der ersten angepassten Impfstoffe eine völlig neue Variante aus irgendeinem entfernten Teil des SARS-CoV-2-Stammbaums auftaucht. »Meine Sorge ist dieser enorme Fokus auf Omikron und die Annahme, dass wir uns in Zukunft mit Omikron beschäftigen werden«, sagt die Virologin. »Wir haben eine starke Erfolgsbilanz darin, falsch zu liegen.« Daher dürfe man nicht das Ziel aus den Augen verlieren, möglichst breit schützende Covid-19-Impfstoffe zu entwickeln. Idealerweise sollten diese Impfstoffe eine Immunantwort induzieren, die auf die älteren, die gegenwärtig zirkulierenden und zukünftige Varianten reagiert.
Wie man einen solchen idealen Impfstoff entwickeln soll, ist die Millionen-Dollar-Frage. Moderna ebenso wie das Firmenkonsortium Biontech/Pfizer haben Zulassungsanträge für modifizierte Impfstoffe bei den amerikanischen und europäischen Zulassungsbehörden eingereicht. Sie enthalten mRNA der Spike-Proteine für die Wuhan-Variante und die Omikron BA.1-Variante.
Diese Impfstoffe stellen zweifelsohne einen Fortschritt dar, wie jetzt auch erste publizierte Daten zeigen. Allerdings fragt Professor Dr. John Moore, ein Impfstoffwissenschaftler am Weill Cornell Medical College in New York City, ob diese Verbesserungen einen Umstieg auf neue Impfstoffe rechtfertigen. »Die Frage, über die sich die FDA-Berater entscheiden müssen, lautet, ob diese bescheidene Erhöhung der Immunantwort ausreicht, um die Kosten und die Komplexität eines Wechsels der Zusammensetzung zu rechtfertigen.«
Beigel und Kollegen vom NIAID werden in Kürze die ersten Ergebnisse einer NIAID-finanzierten Studie vorlegen, in der Kombinationen von Impfstoffen auf der Grundlage einer Reihe von Varianten getestet werden, darunter Omikron, Beta, Delta und der ursprüngliche Stamm. Diese Studie mit dem Namen COVAIL umfasst mRNA-Impfstoffe, die von Moderna und Biontech/Pfizer hergestellt werden, sowie einen experimentellen Booster auf Proteinbasis, der von Sanofi in Paris und GSK in London entwickelt wurde.
Auch das Konsortium Sanofi-GSK meldete kürzlich Daten, nach denen ein Booster mit einem Impfstoff, der auf der Beta-Variante basiert, starke neutralisierende Antikörperreaktionen gegen alle Varianten, einschließlich BA.1 und Delta, auslöst. Dies deutet an, dass Beta als Bestandteil künftiger Aktualisierungen nicht ausgeschlossen werden sollte, so die Wissenschaftler.
Die Suche nach einer aktualisierten Formulierung wird auch durch die Möglichkeit erschwert, dass Impfstoffe, die auf einem bestimmten Stamm wie Omikron basieren, nicht immer eine starke Immunantwort gegen diesen Stamm auslösen. Immer noch steht das Problem der frühen Prägung des Immunsystems im Raum, obwohl sich die Anzeichen mehren, dass dieses Problem für SARS-CoV-2 nicht so groß ist, wie befürchtet.
Man kennt das Problem der immunologischen Prägung von den Influenza-Impfungen. Dennoch versuchen die Gesundheitsbehörden, die Zusammensetzung der saisonalen Impfstoffe auf die Stämme abzustimmen, die am ehesten im Umlauf sein werden.
Diese Strategie ist auch bei SARS-CoV-2 sinnvoll, sagt Professor Dr. Jesse Bloom, ein Evolutionsbiologe am Fred Hutchinson Cancer Center in Seattle in Washington. »Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass ein Impfstoff, der dem zirkulierenden Virus so nahe wie möglich kommt, im Allgemeinen besser ist.«
Entscheidungen über die Zusammensetzung von Grippeimpfstoffen beruhen jedoch auf einem soliden Verständnis der Entwicklung dieser Viren, sagt Beigel – etwas, das die Forscher für SARS-CoV-2 noch nicht ausreichend haben. »Wir kennen die Regeln der Grippe und können sie sehr gut vorhersagen. Für Covid wissen wir das nicht.«