Wie sicher sind Comirnaty, Spikevax und Vaxzevria? |
Theo Dingermann |
22.02.2024 16:15 Uhr |
Impfstoffüberwachung ist eine globale Angelegenheit. / Foto: Getty Images/Tetra Images
Bereits zeitnah zur Einführung der Covid-19-Impfstoffe im Jahr 2020 formulierte die Initiative »Safety Platform for Emergency vACcines« (SPEAC) eine Liste potenzieller unerwünschter Ereignisse von besonderem Interesse (Adverse Events of Special Interest, AESI), um die Sicherheit der Impfstoffe zu bewerten. Auf deren Basis begutachtete nun ein internationales Forscherteam in einer retrospektiven Beobachtungsstudie nach dem Prinzip der Observed-versus-Expected-Analyse (OE-Analyse) ausgewählte AESI nach der Covid-19-Impfung in einer länderübergreifenden Bevölkerungskohorte. Die Ergebnisse sind nun im Fachjournal »Vaccines« publiziert.
Die Forschenden werteten die Daten von 99.068.901 geimpften Personen aus, die an zehn Standorten in den Ländern Argentinien, Australien, Kanada, Dänemark, Finnland, Frankreich, Neuseeland und Schottland geimpft worden waren. Diese Länder beteiligen sich am »Global Covid Vaccine Safety Project« (GCoVS), das von der US-Gesundheitsbehörde CDC finanziert wird.
In der Studie wurden dreizehn AESI ausgewählt. Zu den neurologischen Ereignissen gehörten das Guillain-Barré-Syndrom (GBS), die transverse Myelitis (TM), die Gesichtslähmung (Bell'sche Parese), die akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) und Krampfanfälle. Die hämatologischen Ereignisse umfassten eine zerebrale venöse Sinusthrombose (CVST), eine splanchnische Venenthrombose (SVT) sowie eine Lungenembolie (PE). Thrombozytopenie und Immunthrombozytopenie (ITP) wurden auch aufgrund ihrer Assoziation mit TTS und Berichten über ITP als unabhängiges Sicherheitssignal aufgenommen. Myokarditis und Perikarditis wurden als kardiovaskuläre Erkrankungen gelistet. Die OE-Verhältnisse wurden für jedes Ereignis separat bewertet.
In die Studie flossen nur Daten für die drei in den Ländern am häufigsten verwendeten Covid-19-Impfstoffe ein: Comirnaty® (BNT162b2) von Biontech/Pfizer, Spikevax® (mRNA-1273 ) von Moderna und Vaxzevria® (ChAdOx1) von Oxford/Astra-Zeneca.
Die Forschenden registrierten einen statistisch signifikanten Anstieg eines Guillain-Barré-Syndroms innerhalb von 42 Tagen nach einer ersten Vaxzevria-Dosis. Das OE-Verhältnis betrug 2,49. Insgesamt 76 GBS-Ereignisse waren erwartet worden; beobachtet wurden 190 . Obwohl dieser Zusammenhang selten ist, wurde er von der Weltgesundheitsorganisation WHO und Europäischen Arzneimittelagentur EMA anerkannt und als seltene Nebenwirkung in den Fachinformationen aufgenommen.
Statistisch signifikante Unterschiede (mit den OE-Verhältnissen in den Klammern) wurden auch nach einer ersten Vaxzevria-Dosis für die transversale Myelitis (1,91) und für eine disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) (2,23) gefunden.
Eine Gesichtslähmung trat öfter als erwartet nach einer ersten Dosis von Comirnaty und Spikevax (1,05 beziehungsweise 1,25) auf. Zudem wurden erhöhte OE-Verhältnisse für fieberhafte Krampfanfälle nach einer ersten und zweiten Dosis von Spikevax beobachtet (1,36 beziehungsweise 1,44). Generalisierte Anfälle traten vermehrt auf nach einer ersten Spikevax-Dosis (1,15) und nach einer vierten Comirnaty-Dosis (1,09). Diese Ergebnisse erreichten allerdings nicht die Schwelle für ein priorisiertes Sicherheitssignal nach der Impfung.
Das OE-Verhältnis für eine zerebrale venöse Sinusthrombose (CVST) betrug 3,23 innerhalb von 42 Tagen nach einer ersten Dosis von Vaxzevria und erfüllte damit die Schwelle eines priorisierten Sicherheitssignals. Insgesamt wurden 21 Ereignisse erwartet, während 69 Ereignisse beobachtet wurden. Letztlich führte dies dazu, dass der Vaxzevria-Impfstoff aus den Covid-19-Impfprogrammen zurückgezogen wurde oder in mehreren Ländern altersabhängige Beschränkungen eingeführt wurden. Das OE-Verhältnis für eine CVST nach einer Impfung mit Comirnaty betrug 1,49 nach einer ersten Dosis und 1,25 nach einer zweiten Dosis.
Ein erhöhtes OE-Verhältnis für eine splanchnische Venenthrombose (SVT) registrierten die Forschenden auch nach einer ersten Dosis von Comirnaty (1,25) und Spikevax (1,23), einer zweiten Dosis Spikevax (1,17) und einer vierten Dosis von Comirnaty (1,30) und Spikevax (1,53). Diese Ergebnisse erreichten jedoch nicht die Schwelle für ein priorisiertes Sicherheitssignal nach der Impfung.
Auch wurden erhöhte OE-Verhältnisse für eine Thrombozytopenie nach ersten Dosen von Vaxzevria (1,07), Comirnaty (1,11) und Spikevax (1,33) sowie nach einer dritten Dosis von Vaxzevria (1,95) identifiziert.
Eine Immunthrombozytopenie zeigte ebenfalls ein erhöhtes OE-Verhältnis nach jeweils der ersten Dosis von Vaxzevria (1,40) und Comirnaty (1,08).
Die OE-Verhältnisse für eine Lungenembolie waren nach den ersten Dosen von Vaxzevria (1,20), Comirnaty (1,29) und Spikevax (1,33) sowie nach einer dritten Dosis von Vaxzevria (1,88) erhöht.
Immer wieder wurden erhöhte OE-Verhältnisse, die die Schwelle der priorisierten Sicherheitssignale für Myokarditis erfüllten, nach einer ersten, zweiten und dritten Dosis von mRNA-Impfstoffen (Comirnaty und Spikevax) beobachtet. Die jeweiligen Fachinformationen wurden dementsprechend aktualisiert. Das höchste OE-Verhältnis wurde nach einer ersten und zweiten Dosis von Spikevax (3,48 beziehungsweise 6,10) festgestellt. Das OE-Verhältnis nach einer dritten Dosis von Spikevax betrug 2,01.
In ähnlicher Weise erfüllte das OE-Verhältnis für Perikarditis die Schwelle eines priorisierten Sicherheitssignals nach einer ersten und vierten Dosis von Spikevax, mit OE-Verhältnissen von 1,74 beziehungsweise 2,64. Ein erhöhtes OE-Verhältnis von 6,91, das die Schwelle eines priorisierten Sicherheitssignals ebenfalls erfüllte, wurde auch nach einer dritten Dosis von Vaxzevria beobachtet. Die aggregierten OE-Verhältnisse für Perikarditis wurden nach allen Dosen aller drei vorgestellten Impfstoffe erhöht.
Insgesamt weist die Studie eine riesige Datenbasis auf und bestätigt die in den jeweiligen Fachinformationen gelisteten bekannten Sicherheitssignale. Fasst man die Daten zusammen, so wurden statistisch signifikante OE-Verhältnisse für ein Guillain-Barré-Syndrom, eine transversale Myelitis, eine akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) und eine zerebrale venöse Sinusthrombose (CVST) nach einer ersten Vaxzevria-Dosis und für eine Perikarditis nach einer dritten Vaxzevria-Dosis gefunden.
Nach einer ersten, zweiten und dritten Dosis von mRNA-Impfstoffen (Comirnaty und Spikevax) wurden statistisch signifikant erhöhte OE-Verhältnisse für eine Myokarditis erreicht. Auch für eine Perikarditis wurden nach einer ersten und vierten Dosis des Spikevax-Impfstoffs OE-Verhältnisse beobachtet, die die Schwelle eines priorisierten Sicherheitssignals überschritten.