Wie man mit Wissenschaftsleugnern reden sollte |
Annette Rößler |
07.06.2023 07:00 Uhr |
Während der Coronapandemie haben Apotheker viele Gespräche mit Menschen geführt, die Zweifel an der Sicherheit und Wirksamkeit der Impfstoffe hatten. Ängste einfach abzutun, ist dabei nicht zielführend; stattdessen sollten die Einwände gehört, ernst genommen und mit gesicherten Fakten widerlegt werden. / Foto: Getty Images/FatCamera
»Wissenschaftsleugnung beschreibt eine Einstellung, die Handlungen oder auch Fakten ablehnt, für die es einen wissenschaftlichen Konsens gibt«, sagte Dr. Philipp Schmid, Psychologe an der Universität Erfurt, kürzlich beim Internistenkongress in Wiesbaden. Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde das Phänomen während der Covid-19-Pandemie, als manche Menschen die Existenz des Coronavirus SARS-CoV-2, dessen Verursachung der Krankheit Covid-19 und/oder die Sicherheit beziehungsweise Wirksamkeit der Covid-19-Impfstoffe abstritten. Doch Wissenschaftsleugnung gab es auch schon früher. Als ein älteres Beispiel nannte Schmid etwa die Aids-Leugnung des früheren südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki, die laut einer 2008 publizierten Modellrechnung in den Jahren 2000 bis 2005 allein in Südafrika für mehr als 330.000 HIV-bedingte Todesfälle verantwortlich war.
Die Beharrlichkeit, mit der Wissenschaftsleugner an ihrer Auffassung festhalten, obwohl sie eindeutig widerlegt ist, erzeugt bei rational denkenden Menschen ratloses Erstaunen. Eine Arbeit aus dem Jahr 2017 nannte als Ursprung dafür eine eigene Motivation des Wissenschaftsleugners, die diesen alle Fakten ablehnen lässt (»American Psychologist«, DOI: 10.1037/a0040437). »Das bedeutet: Man kann diesen Leuten Informationen geben, aber das interessiert sie nicht, weil sie eine eigene Motivation haben, das Gehörte abzulehnen«, erklärte Schmid.
Ein möglicher Motivator sei eine Verschwörungsmentalität, die jeder Mensch habe und die bis zu einem gewissen Grad auch sinnvoll sei, um Dinge zu hinterfragen, die bei einigen jedoch überhandnehme und schließlich alles dominiere. Ebenso könne eine Interessenvertretung eine Motivation sein, wissenschaftliche Fakten abzulehnen, wie es etwa die Tabakindustrie mit Blick auf die Gesundheitsrisiken ihrer Produkte tue. Auch könnten Menschen es als persönlichen Identitätsausdruck nutzen, gegen das Establishment, also die Mehrheitsmeinung zu sein. Oder die Wissenschaftsleugnung gehöre zu einer sozialen Identität, sei also integraler Bestandteil einer Gruppe, deren Mitglieder sie dann nicht ablegen könnten, ohne auch die Zugehörigkeit zur Gruppe zu verlieren. Schließlich könnten auch Ängste und Phobien dazu führen, dass Menschen irrationale andere Behauptungen benutzen, um von ihrer eigentlichen Angst abzulenken.
»Wissenschaftsleugner sind für das System an sich nicht problematisch, denn es gibt nur sehr wenige von ihnen«, sagte Schmid. »Aber sie kommunizieren sehr effektiv – und sie bedienen sich dabei immer derselben rhetorischen Techniken.« Diese sind:
»Diese Techniken sind persuasiv und sie beeinflussen Menschen«, konstatierte Schmid. So sinke etwa die Impfbereitschaft, wenn die Argumente von Impfgegnern mithilfe der genannten Techniken vorgebracht würden. Daher sei es wichtig, ihnen zu widersprechen. Wie man dabei am besten vorgeht, steht in einer Broschüre der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Schmid als einer von drei Hauptautoren mit erstellt hat.
Grundsätzlich sind dabei zwei Gesprächssituationen zu unterscheiden: die öffentliche Diskussion und das Einzelgespräch. »Wenn andere zuhören, während ich mit einem Wissenschaftsleugner rede, geht es nicht darum, diesen von meiner Position zu überzeugen, sondern die Zuhörer davor zu schützen, Falschinformationen zu glauben. Das gilt auch für Diskussionen in den sozialen Medien«, erläuterte der Psychologe.
Dies könne etwa gelingen, indem man die rhetorischen Techniken des Wissenschaftsleugners entlarve (»Sie fordern eine 100-prozentige Sicherheit von Impfstoffen. Diese Argumentation wird unmögliche Erwartung genannt, weil 100-prozentige Sicherheit in der Medizin nicht garantiert werden kann.«). Auch inhaltliche Gegenargumente könnten die Zuhörer überzeugen (»Bund und Länder achten streng auf die Sicherheit von Impfungen. Das Risiko einer Erkrankung übersteigt das einer Impfung bei Weitem.«).
Falschinformationen zu Gesundheitsthemen sind im Internet oft ebenso präsent oder sogar noch präsenter als korrekte Informationen. Heilberufler sollten dem entgegentreten, auch auf sozialen Medien. / Foto: Getty Images/Finn Hafemann
Laut einer Arbeit von Schmid und seiner Erfurter Kollegin Professor Dr. Cornelia Betsch sind beide Strategien zum Entkräften der Argumente von Impfgegnern in öffentlichen Debatten etwa gleich gut geeignet (»Nature Human Behaviour« 2019, DOI: 10.1038/s41562-019-0632-4). »Seien Sie da, demaskieren Sie Techniken oder korrigieren Sie inhaltlich. Wenn Ihnen Leute zuhören, funktioniert das. Sie reduzieren damit den Einfluss von Wissenschaftsleugnern in der Öffentlichkeit«, appellierte Schmid.
Wenn Menschen allerdings bereits an Falschinformationen glauben, wird es schwieriger, sie zu überzeugen. Sie hören dann zwar, dass ihre Auffassung argumentativ widerlegt wird, bringen die Korrektur aber nicht mit dem ursprünglich Geglaubten in Verbindung. »Oder es tritt der Fall ein, dass die Korrektur den Irrglauben sogar noch verstärkt, weil sie diesen ständig wiederholt«, fasste Schmid das Ergebnis eines Artikels in »Nature Reviews Psychology« zusammen (2022, DOI: 10.1038/s44159-021-00006-y).
Im Handbuch »Widerlegen, aber richtig« (DOI: 10.17910/b7.1182) empfiehlt eine Autorengruppe, zu der Schmid gehört, in einem solchen Fall, dem Skeptiker einen sogenannten Faktensandwich zu reichen. Bei diesem finden sich an der ersten und an der letzten Stelle, also wie bei einem Sandwich oben und unten, die korrekten Fakten. Man beginnt seine Argumentation also mit einer wahren Tatsache – nicht mit dem Mythos! – und wiederholt diese am Ende noch einmal. Dazwischen, also dort, wo bei einem Sandwich der Belag ist, wird die Falschinformation widerlegt. Dies geschieht am besten, indem man zunächst ausdrücklich darauf hinweist, dass es sich um eine Falschinformation handelt, diese dann nur einmal wiedergibt und anschließend erklärt, wie sie in die Irre führt.
»Die Erklärung wird oft weggelassen. Dann entsteht aber in dem Modell, das die Menschen von der Wirklichkeit haben, ein Loch, das sie entweder wieder mit der alten Falschinformation füllen oder mit einer neuen«, sagte Schmid. Argumente, mit denen sich Skeptiker überzeugen ließen, seien etwa ein wissenschaftlicher Konsens (»90 Prozent der Mediziner sind sich einig, dass Impfstoffe sicher sind.«), eine persönliche Empfehlung (»Ich empfehle Ihnen, sich impfen zu lassen.«) und der Gemeinschaftsschutz (»Mit einer Impfung schützen Sie auch andere, die sich nicht impfen lassen können.«).
Im direkten Gespräch sei es wichtig, das Gegenüber nicht mit Informationen zu überrennen. Stattdessen sollte man mit offenen Fragen, Reflexion und Bestätigung arbeiten. Nur auf diese Weise gebe man den Ängsten des Gesprächspartners Raum. Es gelte, in den Äußerungen etwa von Menschen mit Impfangst den Punkt zu finden, in dem sie recht haben, diesen zu bestätigen und davon ausgehend Argumente für die Impfung zu bringen. Abschließend verwies Schmid auf die Website https://jitsuvax.info/de/, auf der dies in englischer Sprache für die meisten Argumente von Impfgegnern exemplarisch dargestellt ist.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.