Wie man die richtigen Fragen stellt |
Annette Rößler |
24.01.2022 07:00 Uhr |
Leitlinien sind keine Richtlinien, sie beinhalten keine strikten Handlungsanweisungen, sondern geben Empfehlungen. Abhängig davon, ob zu einer Fragestellung schon viel oder wenig geforscht und publiziert wurde, können diese Empfehlungen unterschiedlich gut wissenschaftlich begründet sein. Im AWMF-Regelwerk zur Formulierung und Graduierung von Empfehlungen ist genau beschrieben, wie aus Studienergebnissen Empfehlungen abgeleitet werden können.
Dr. Miriam Ude / Foto: privat
Das höchste Evidenzlevel ist demnach Ia, hier existiert ein Evidenznachweis durch Metaanalysen oder systematische Reviews von randomisierten kontrollierten Studien. Beim niedrigsten Evidenzgrad GCP (Good Clinical Practice) besteht lediglich ein Expertenkonsens, ohne dass eine systematische Literaturrecherche stattgefunden hat. »Nicht in jeder Leitlinie findet die AWMF-Graduierung jedoch Anwendung. Daher sollte man immer auch im Methodenteil nachsehen, was im Einzelfall zum Beispiel ein Evidenzlevel II bedeutet«, sagte Ude.
Außer auf den Evidenzgrad der einzelnen Empfehlung sollten Leser einer medizinischen Leitlinie auch auf deren Entwicklungsgrad achten: Ist es eine S1-, S2k-, S2e- oder S3-Leitlinie, handelt es sich also um eine Handlungsempfehlung von Experten, eine konsensbasierte, eine evidenzbasierte oder eine konsens- und evidenzbasierte Leitlinie? »Die Graduierung gibt Aufschluss über das Ausmaß der Systematik im Entwicklungsprozess einer Leitlinie. Multiprofessionalität innerhalb des Leitliniengremiums und die Einbeziehung der Patientenseite finden Sie vor allem in S2k- und in S3-Leitlinien«, informierte Ude.
Nicht zuletzt müsse man auch berücksichtigen, ob eine Leitlinie unabhängig erstellt wurde oder ob bei den Autoren mögliche Interessenskonflikte vorlagen. Dies bewerte etwa die Initiative leitlinienwatch.de mit einem Punkte- und Ampelsystem. Wer selbst eine Bewertung vornehmen möchte, könne sich etwa am Deutschen Leitlinien-Bewertungsinstrument (DELBI) orientieren, so Ude.
Wichtig sei in jedem Fall, Empfehlungen nicht blind zu befolgen, sondern stets pharmazeutischen Sachverstand walten zu lassen und die spezielle Situation des Patienten zu berücksichtigen. Denn der Patient sei »in der Regel nicht die Regel«.