Wie Männer mit psychischen Erkrankungen umgehen |
Nicht nur ihre Ideale scheinen Männern öfters im Weg zu stehen. Frauen könnten Symptome besser erkennen und benennen als Männer, sagt Anette Kersting, die im Psychiater-Berufsverband DGPPN das Referat Frauen- und Männergesundheit leitet. «Wir sehen klare Geschlechtsunterschiede bei der Inanspruchnahme des Gesundheitssystems. Die Hilfsangebote werden von Männern deutlich seltener genutzt.» Unter Menschen mit psychischen Problemen sei ohnehin nur eine Minderheit in therapeutischer Behandlung; Männer dabei noch seltener als Frauen.
Der Mangel an Plätzen sei problematisch, betont auch Psychologe Sebastian Jakobi, der Unternehmen beim Arbeitsschutz berät. «Wer eine Psychotherapie braucht, befindet sich in einer geschwächten Lebenssituation und kann nicht viele Monate lang auf einen Therapieplatz warten.» Dass es dabei anteilig wenig männliche Therapeuten gebe, falle hingegen weniger ins Gewicht. Das sei jedenfalls nicht der Grund dafür, dass Männer selten eine psychotherapeutische Praxis aufsuchten.
In den letzten Jahrzehnten habe das Klischee «ein Mann kennt keinen Schmerz» an Bedeutung verloren. Tendenziell sei das häufiger bei Jüngeren als bei Älteren der Fall, beobachtet Jakobi, der im Psychologen-Berufsverband DGPPN zum Vorstand der Freiberufler-Sektion gehört. «Achtsamkeit, Reflexion, Hilfe aufzusuchen und anzunehmen, sind wichtige Gesundheitskompetenzen.»
Hier gebe es noch «wichtige Baustellen» für einen erheblichen Teil der Männer. Auch in einer modernen Gesellschaft mit angestrebten gleichen Chancen, Rechten und Verantwortlichkeiten für Männer und Frauen gebe es viele Männer, die an sich selbst belastend hohe Ansprüche etwa mit Blick auf eine Familien-Versorgerrolle stellten.
Zugleich sieht Jakobi einen Trend zur Ent-Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen. Es werde mehr Augenmerk auf psychische Faktoren gelegt, die Diagnostik sei besser geworden, auch bei der Ärzteschaft gebe es eine deutlich gesteigerte Sensibilisierung.
Wenn Männer, die Angst vor Stigmatisierung haben und keine Hilfe in Anspruch nehmen würden, zu Apps für die mentale Gesundheit greifen, «ist das gut, besser als nichts», meint Jakobi. Vorteile aus deren Sicht könnten sein: niedrigschwelliges, anonymes Angebot, leichtes Wechseln zwischen mehreren Apps. Aber: «Es ist ein Trugschluss zu denken, dass solche digitalen Angebote eine echte persönliche Therapie mit einem Psychotherapeuten oder einer Psychotherapeutin ersetzen könnten.»