Wie Männer mit psychischen Erkrankungen umgehen |
Jüngere Männer sind deutlich kompetenter als ihre Vorgänger-Generationen darin, psychische Erkrankungen bei sich selbst zu erkennen und Hilfe in Anspruch zu nehmen. / Foto: Getty Images/Justin Paget
Übermüdet, überlastet, erdrückt von angestautem Stress und gepeinigt durch unbewältigte Tiefs: Viele Männer in Deutschland haben psychische Probleme, ignorieren das aber und nehmen keine Hilfe in Anspruch, wie Fachleute zum Internationalen Männertag (19. November) herausstellen. «Krankheiten, insbesondere psychische, sind für viele nicht vereinbar mit dem klassischen Männlichkeitsideal», berichtet Anne-Maria Möller-Leimkühler vom Vorstand der Stiftung Männergesundheit. Die Orientierung an traditionellen Männlichkeitsnormen, «also stark und erfolgreich zu sein, Probleme allein zu lösen, durchzuhalten und keine Gefühle zu zeigen», sei bei älteren Männern ausgeprägter als bei Jüngeren. Diese Haltung könne «sehr selbstschädigend» sein.
Viele Männer hätten aufgrund ihrer Sozialisation nur einen sehr eingeschränkten Zugang zu ihrer Gefühlswelt, beobachtet die Professorin für Sozialwissenschaftliche Psychiatrie an der Uni München. «Sie verdrängen und bagatellisieren ihre psychischen Probleme.» Vor allem Depressionen würden oft als Ausdruck von persönlicher Schwäche und Versagen missverstanden.
So mancher versuche, mit «männlichen Strategien» zu kompensieren, sagt Möller-Leimkühler. «Also mehr Aggression und Wut, mehr Alkohol, mehr sozialer Rückzug, viel mehr Arbeit, viel mehr Sport, mehr Risikoverhalten und Flucht ins Virtuelle.»
Jeder vierte Erwachsene in Deutschland ist innerhalb eines Jahres von einer psychischen Erkrankung betroffen – etwa jede dritte Frau und jeder vierte bis fünfte Mann, wie Anette Kersting von der Klinik für Psychosomatische Medizin am Uniklinikum Leipzig schildert. «Männer leiden häufiger an einem Substanzmissbrauch, also Abhängigkeit oder Missbrauch von Alkohol und Drogen.»
Dagegen werde eine Depression bei ihnen nur etwa halb so oft diagnostiziert wie bei Frauen. Allerdings könnten Depressionen bei Männern mitunter übersehen werden, erläutert die Klinik-Direktorin. Gerade bei Depressionen geht Möller-Leimkühler von einer hohen Dunkelziffer und Unterdiagnostizierung aus. Nicht erkannte Depressionen könnten folgenschwer sei: Erwerbsunfähigkeit, sozialer Abstieg, Vereinsamung, Angsterkrankungen, Diabetes, Schlaganfall, eine allgemein erhöhte Sterblichkeit. Und: «Die Suizidrate von Männern ist mindestens dreimal so hoch wie die von Frauen.»
Generell treten psychische Störungen unabhängig vom Beruf auf, heißt es in Fachkreisen. Möller-Leimkühler weist allerdings auf Risikoberufsgruppen mit einem hohen Männeranteil hin, in denen es häufiger als in der Allgemeinbevölkerung zu psychischen Störungen komme: Bundeswehr, Rettungswesen und auch Polizei. Belastungen könnten hier extrem und traumatisch sein, zugleich seien traditionelle Männlichkeitsnormen eher stark ausgeprägt. Als häufigste Störungen gelten hier Posttraumatische Belastungsstörungen und Depressionen. Grundsätzlich seien Männer viel stärker von beruflichen Stressoren belastet als Frauen.