Wie kommt der Arzneistoff in die Lunge? |
Daniela Hüttemann |
14.11.2023 14:30 Uhr |
23-mal abbiegen müssen Wirkstoff-haltige Partikel oder Tröpfchen, bis sie in den Alveolen ankommen. / Foto: Getty Images/mi-viri
»Die Lunge ist tatsächlich nur für den Gasaustausch gedacht – alles an Partikeln und Tröpfchen will der Körper heraushalten«, erklärte Apothekerin Dr. Regina Scherließ, Professorin für Pharmazeutische Technologie an der Christian-Albrechts-Universität Kiel, die zum Thema Aerosole und Aufbereitung von Arzneistoffen zur pulmonalen Applikation forscht, vergangenes Woche bei der Jahrestagung der Scheele-Gesellschaft in Binz. Das Fortbildungs-Wochenende der Landesgruppe Mecklenburg-Vorpommern der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) stand ganz unter dem Thema Lunge. Zwei Vorträge beschäftigten sich mit der pulmonalen Applikation von Arzneistoffen.
Partikel und Tröpfchen – das sind genau die Darreichungsformen, mit denen Arzneistoffe über 23 Abzweigungen in der Lunge in die immer kleineren Verästelungen gelangen sollen. »Es werden immer mehr Röhrchen mit immer kleinerem Durchschnitt, daher wird die Luftgeschwindigkeit immer langsamer«, erläuterte Scherließ. »Mit Atmen kommen wir nur bis zu den terminalen Bronchiolen, alles weitere muss von selbst funktionieren – über Diffusion. Daher ist das Luftanhalten nach dem Inhalieren so wichtig.«
Um diffundieren zu können, müssen die Arzneistoffe kleiner als 5 Mikrometer sein. »Je feiner der Partikel oder das Tröpfchen, desto tiefer kann es in die peripheren Bereiche der Lunge gelangen«, erklärte die Referentin. »Dafür brauche ich ein Aerosol, also ein Gemisch fester oder flüssiger Schwebeteilchen in Luft.« Solche Aerosole sind thermodynamisch instabile Systeme; sie verdunsten, kondensieren, aggregieren, koagulieren oder sedimentieren. »Daher müssen wir sie in der passenden Größe in situ erzeugen – im Prinzip stellt also der Patient sein Arzneimittel während der Anwendung selbst her.«
Die Expertin schilderte einige Beispiele für die ausgefeilte Technologie der mehr als 30 auf dem Markt verfügbaren Inhalator-Typen, die alle ein bisschen anders funktionieren. Das macht die ausführliche Schulung des Patienten so wichtig, individuell für sein konkretes Präparat. Denn die ausgefeilteste Technologie nutzt nichts, wenn der Patient sein Device nicht richtig anwendet.
So geht es nicht: Wenn man nicht einmal das Mundstück seines Inhalators umschließt, kommt überhaupt kein Wirkstoff mehr in den Tiefen der Lunge an. / Foto: Getty Images/Science Photo Library
Das fängt schon damit an, ein Dosieraerosol richtig herumzuhalten und das Mundstück mit den Lippen komplett zu umschließen. Dann ist die Koordination zwischen Einatmen und Auslösen meist die größte Hürde für den Patienten und muss geübt werden. Denn sie ist kontraintuitiv, wenn die Aerosol-Wolke mit 30 m/sec aus dem Inhalator in den Rachen schießt und einen leichten Kältereiz auslöst. Am besten fange der Patient bereits kurz vor dem Auslösen an, langsam einzuatmen, riet Scherließ.
Deutlich einfacher und effektiver ist es, einen Spacer zu benutzen. Das gilt nicht nur für Kinder. Mit einem Spacer kann durch die bessere Wirkstoff-Verfügbarkeit mitunter die Dosis oder der Arzneimittelverbrauch gesenkt werden. Das sorgt nicht nur für eine bessere Wirksamkeit, sondern auch für weniger Nebenwirkungen, was insgesamt die Compliance fördert.
Generell gilt bei Dosieraerosolen, langsam einzuatmen (bei Verwendung eines Spacers mehrfach), während bei Pulverinhalatoren ein kurzer, kräftiger Atemzug nötig ist, um das Pulver zu dispergieren. Manchmal wird diskutiert, ob Patienten mit Lungenerkrankungen überhaupt die benötigte Einatmungs-Geschwindigkeit für Pulverinhalatoren aufbringen können. Hier gab Scherließ Entwarnung: Untersuchungen auch mit COPD-Patienten hätten gezeigt, dass selbst bei Devices mit hohem Widerstand wie dem Handihaler® genug Wirkstoff in der Lunge ankommt, die korrekte Anwendung vorausgesetzt.