Wie können Apotheken klimafreundlicher werden? |
Melanie Höhn |
03.06.2022 16:00 Uhr |
Nachhaltigkeit wird einen immer größeren Stellenwert in Apotheken einnehmen. / Foto: imago images/Westend61
»Wir alle wissen, dass es dringend ist, Apotheken nachhaltiger zu gestalten«, warnt die Apothekerin Esther Luhmann, Vorstandsreferentin des Vereins demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP) beim Kongress des Bundesverbands Deutscher Versandapotheken (BVDVA). »Wir steuern auf ein 2-Grad-Szenario zu und das gilt es auf jeden Fall zu verhindern«.
Gabriele Renner, ebenfalls Apothekerin und Geschäftsführerin der Firma Pervormance, erklärt bei der Diskussion, wie »alles irgendwie zusammenhängt«: »Wahnsinnig viele Menschen leiden unter der Hitze und es ist einfach ein Gesundheitsthema«, sagt sie. Viele Menschen mit Vorerkrankungen wie Multiple Sklerose, Chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) oder Herz-Kreislaufpatienten hätten Probleme mit der Hitze und seien Kunden der Apotheken. »Da ist die Frage: Wie kann man einen Mehrwert schaffen, um einerseits die Nachhaltigkeit in den Vordergrund zu stellen und was kann andererseits die Apotheke tun, um das Thema Nachhaltigkeit und Klimawandel positiv zu besetzen?«, fragt sie.
Lösung Nummer eins ist für sie nachhaltige Energie: »Wo die Energie herkommt, ist aus Nachhaltigkeitsgründen extrem wichtig, denn das zieht sich ja durch: Ob das die Klimaanlagen sind, die Produktion der Pharmaindustrie oder das E-Rezept, das durch die Stromleitungen muss«, erklärt sie. Außerdem müsse dafür gesorgt werden, dass die Wasserqualität stimmt. Auch für Luhmann ist echter Ökostrom die Lösung. Außerdem schlägt sie vor, dass Apotheken in Richtung klimasensible Gesundheitsberatung sensibilisieren und erklären, was Erderwärmung und Hitze für Körper und Gesundheit bedeuten. Zudem sei ein gut funktionierendes Arzneimittelentsorgungssystem essenziell, um das Abwasser zu schützen. Ein weiterer Aspekt, der nicht unwichtig ist: »Ich höre ich oft, dass Apotheken, die klimaneutral sind, vor allem bei jungen Menschen gut ankommen«, erzählt sie. Hier liege ein riesiges Potenzial, auch was zukünftige Mitarbeiter angehe.
Florian Giermann, Client Liaison Manager von Noventi, beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, wie die Digitalisierung in der Apotheke nachhaltiger gestaltet werden kann. »Der Schutz der Ressourcen fängt bei jedem selbst an«, sagt er. Man müsse sich zunächst fragen, wo Emissionen eingespart werden können. Aber auch er ist davon überzeugt: Über Themen wie Hitze, Wasserknappheit und Ökotoxitizität im Grundwasser müsse diskutiert, informiert und aufgeklärt werden. »Machen Sie es Ihrem Kunden einfach, nachhaltig zu kaufen: Positionieren Sie klimaneutrale Produkte auf Augenhöhe, dass sie besonders gut sichtbar sind«, empfiehlt er. »Und stellen Sie Transparenz her: Arbeiten Sie mit Apps, wo Sie alle Produkte auf toxische Inhaltsstoffe checken können und erstellen Sie einen Nachhaltigkeitsbericht«, so Giermann weiter.
Etwa die Hälfte der in Deutschland zugelassenen 2500 Arzneistoffe sind laut Umweltbundesamt »umweltrelevant«, was bedeutet, dass sie eine ökotoxikologische Wirkung haben. Dabei gehe es beispielsweise um Antibiotika im Abwasser, das ins Grundwasser gelangt, wodurch bestimmte Tierarten keine Geschlechtsteilung mehr haben und sich nicht fortpflanzen, erklärt Giermann. Dadurch würden Bestände aus dem Gleichgewicht geraten und die Nahrungskette bei den Tieren werde unterbrochen. Auch in unserem Trinkwasser seien Stoffe enthalten – »ein Kreislauf, den wir unterbrechen müssen«, fordert er. Dass jede Kommune in Deutschland ihre eigene dreistufige Kläranlage hat, womit ein Großteil der Stoffe gefiltert werden kann, »aber eben nicht alles«, erklärt Luhmann. Eine vierte Stufe werde diskutiert, sei jedoch nicht unproblematisch. »Bei der Ozonierung zum Beispiel ist das Problem, dass ein neues Molekül entsteht – man kennt das nicht und Experten wissen nicht, ob das nicht noch toxischer ist«, sagt sie. Ein Aktivkohlefilter könne ebenfalls eine vierte Stufe sein.
Renner bringt einen anderen Punkt in die Diskussion ein: Soll man Arzneimittel, je nachdem wie umweltfreundlich sie sind, schon in der Zulassung berücksichtigen? Schweden gehe im Moment mit der Silberbeschichtung in der EU voran. Man wisse aber nicht, was diese Beschichtung für Konsequenzen hat. Am Ende sei nicht alles schwarz-weiß, man müsse immer beide Seiten anschauen, sagt sie. In diesem Zusammenhang spricht Giermann von einem Interessenskonflikt: »Angenommen, es gibt ein Arzneimittel für eine Krankheit, an der Sie leiden, das nicht biologisch abbaubar ist. Würden Sie dann noch wollen, dass es das Arzneimittel nicht mehr gibt?«, fragt er in die Runde. Generell müsse man darauf achten, dass die Umweltschädigung des Medikaments möglichst geringe Auswirkungen hat. Luhmann erwähnt hierbei Konzepte aus der so genannten »Green Chemistry«, die schon bereits bei Forschung und Entwicklung dafür sorgen, dass Arzneistoffe biologisch abbaubar und pharmakologisch gleichwertig sind. Diese Entwicklungen stehen aber noch ganz am Anfang.
Klar ist, dass 6 bis 7 Prozent der Emissionen in Deutschland vom Gesundheitssystem kommen. Bisher können aber noch keine Aussagen hinsichtlich der Emissionsvergleichbarkeit von Vor-Ort-Apotheken und Versandapotheken gemacht werden, so Giermann. Ein Punkt, der die Versandapotheke angreifbar mache, sei die Verpackung und der Versand, sagt Luhmann. Renner betont, dass ein Großteil der Apotheker so schlau war, ihre Offizin dahin zu legen, wo viele Ärzte im Haus sind. Ein extra Weg finde in der Regel dann gar nicht statt. Einig sind sich alle, dass das E-Rezept unter ökologischen und sozialen Aspekten nachhaltiger als das Papierrezept ist.
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.