Wie kann man die Produktion nach Europa zurückholen? |
Melanie Höhn |
26.07.2023 18:00 Uhr |
Ulrike Holzgrabe, Seniorprofessorin für Pharmazeutische und Medizinische Chemie am Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie an der Universität Würzburg / Foto: PZ/Alois Müller
Das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG), das Anfang Juli vom Bundesrat gebilligt und am heutigen Mittwoch im Bundesgesetzblatt verkündet wurde, hat unter anderem das Ziel, die Arzneimittelproduktion zurück nach Europa zu holen. Durch das Gesetz wird sich laut Ulrike Holzgrabe erst einmal nichts grundlegend ändern, »aber man hat schon mal darüber nachgedacht, das finde ich ganz wichtig«, sagte sie.
Zwar sollen durch das Gesetz finanzielle Anreize für Pharmahersteller geschaffen werden – damit stehen jedoch laut Holzgrabe nicht mehr Produktionsanlagen zu Verfügung. Es sei jedoch extrem wichtig, dass man insbesondere im Antibiotika- und Onkologika-Sektor über die Rückholung der Produktion nach Europa nachdenke. »Das ist aber nicht so einfach und geht auch nicht von heute auf morgen«, so die Seniorprofessorin. Der Prozess, eine neue Produktionsanlage aufzubauen, könne drei bis fünf Jahre dauern. Zudem müsse man gewillt sein, den Preis dafür zu bezahlen und zu sagen: »Ja, wir wollen die teureren Arzneimittel aus Europa nehmen und nicht die billigen aus China.«
Außerdem warnte Holzgrabe vor der Gefahr der Lieferunfähigkeit durch zu wenige Hersteller. Aus Kostengründen herrsche eine enorme Marktkonzentration, »nicht nur in Europa, sofern wir hier überhaupt noch herstellen, sondern auch in China«, sagte sie. »Das ist auch dem geschuldet, dass wir für die Wirkstoffe immer weniger bezahlen wollen, wenn wir das bei den Chinesen einkaufen.« Zudem würden auch die Festbeträge, die seit 2009 nicht mehr erhöht wurden, dazu beitragen, dass sich die Produktion in Europa nicht mehr lohne, erklärte die Expertin, die auch Mitglied der interdisziplinären Forschungsgruppe Ethics-EU zur Sicherung der Versorgung mit lebenswichtigen Arzneimitteln ist.
Holzgrabe erklärte weiter, dass eine Abhängigkeit von asiatischen Zulieferern bestehe und es eine große Fragmentierung bei der Herstellung von Ausgangs- und Zwischenprodukten sowie Wirkstoffen gebe – die Lieferkette sei zudem nicht immer bekannt und es mangele an Transparenz. Holzgrabe führte eine Statistik des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa) an, wonach 24 Prozent der Arzneimittel in Europa hergestellt werden, 68 Prozent in China und Indien. »China stellt meistens die Wirkstoffe her, exportiert diese nach Indien, dort werden aus den Wirkstoffen Tabletten oder Dragees gemacht und dann wird das zurück nach Europa transferiert«, erklärte sie. In China würden nicht nur die Wirkstoffe, sondern auch die Zwischenstufen hergestellt. Zudem: Je höher das Volumen eines Wirkstoffes, desto höher sei der Anteil asiatischer Hersteller. Für die Ausgangssubstanz für alle Cephalosporine beispielsweise gebe es ausschließlich Produktionsstätten in China.
Die pharmazeutische Wertschöpfungskette sei ein sehr komplexes Geschehen, so Holzgrabe. Ein wichtiges Ausgangsmaterial für die Herstellung eines Wirkstoffes sei Erdöl, »das wir raffinieren, fraktionieren und dann irgendwelche Teile nehmen, um die dann weiter chemisch umzusetzen.« Dadurch würden Zwischenprodukte und auch »kritische Bausteine« entstehen. »Ich kann schon an dieser Stelle sagen, dass es nicht so einfach ist, eine Produktion zurückzuholen, denn der Aufbau von Wirkstoffen aus Erdöl – und darüber muss man sich immer im Klaren sein – ist chemisch kritisch, auch kritisch aus umwelttechnischen Punkten«, warnte Holzgrabe.