Wie kann eine nachhaltige Pharmazie aussehen? |
Carolin Lang |
13.02.2021 16:00 Uhr |
»Das Konzept« für eine nachhaltige Pharmazie gibt es nicht. An der Universität Freiburg diskutieren Studierende über mögliche Ansätze. / Foto: Adobe Stock / PHOTOMORPHIC PTE. LTD.
Seit Beginn des Wintersemesters 20/21 wird an der Universität Freiburg einmal pro Woche digital über »Nachhaltigkeit in der Pharmazie« diskutiert. Den Raum dafür bietet ein Seminar unter der Leitung von Professor Dr. Michael Müller sowie Diplom-Pharmazeutin und Apothekerin Karina Witte. An der Lehrveranstaltung können neben anderen Fachrichtungen auch Pharmaziestudierende im Hauptstudium freiwillig teilnehmen. Die Veranstalter wollen »die Studierenden für das Thema Nachhaltigkeit in der Pharmazie sensibilisieren, ihnen die Grundlagen näherbringen und auf Basis dessen die Meinungsbildung schulen«, erklärt Witte in einem Gespräch mit der PZ. Die Studierenden sollen danach »fundierte Beurteilungen in Bezug auf eine nachhaltige Entwicklung abgeben und ihr eigenes Handeln reflektieren können«.
Doch was genau darf man sich unter nachhaltiger Pharmazie vorstellen? Diese beruht generell auf den drei Säulen Soziales, Ökologie und Ökonomie und geht somit über den Aspekt des Umweltschutzes hinaus. Das Leitbild dahinter sei vielmehr, »eine hohe Lebensqualität und Gesundheit der Menschen weltweit für die jetzigen und zukünftigen Generationen zu ermöglichen und zu fördern«, definiert die Pharmazeutin. Ziel sei es, alle Schritte von der Forschung und Entwicklung über die Produktion bis hin zur Entsorgung eines Arzneistoffs möglichst ressourcenschonend und sozial fair zu gestalten sowie Alternativen zur Arzneimitteltherapie zu fördern. Denn Gesundheit könne bis zu einem gewissen Grad auch durch anderweitige Maßnahmen wie Prävention gestärkt werden.
Karina Witte: Nachhaltige Pharmazie ist die gleichzeitige, gleichberechtigte und dynamische Einbeziehung von pharmakologischen, ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten mit dem Ziel, für die jetzige und nachfolgenden Generationen eine wirksame Behandlung von Krankheiten zu ermöglichen (in Form eines fortlaufenden Prozesses).
Eben dieses Leitbild sollen die Studierenden kritisch hinterfragen, verinnerlichen und in der Praxis anwenden können. »Diese Generation sitzt in einigen Jahren an wichtigen Stellen beispielsweise in der pharmazeutischen Industrie oder Behörden und soll dann in der Lage sein, ökologische, soziale und ökonomische Aspekte bei Entscheidungsfindungen gleichberechtigt einzubeziehen«, so Witte. Das Seminar soll diese Kompetenz stärken.
Insgesamt nehmen etwa 70 Studierende aus verschiedenen Studiengängen teil. Neben der Pharmazie sind auch Studierende der Pharmazeutischen Wissenschaften, Chemie, Liberal Arts and Sciences sowie Sustainable Materials vertreten. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bekommen vor jedem Seminar Unterlagen in Form von Texten oder Videovorträgen sowie Aufgaben zur theoretischen Vorbereitung. Diese dienen als Diskussionsgrundlage. Während des Seminars sind die Studierenden dann dazu aufgefordert, sich zum jeweiligen Thema zu positionieren und ihre Entscheidung auf Grundlage des Erlernten zu begründen. Dabei arbeiten sie teilweise in Kleingruppen, sodass sich alle intensiv einbringen und miteinander austauschen können.
Das Thema Nachhaltigkeit sowie das für das Pharmaziestudium recht ungewöhnliche Lehrformat mit viel Raum für Diskussionen kommt bei den Studierenden gut an, wie Evaluationen zeigen. »Wir Teilnehmer werden dazu angeregt, uns eine eigene Meinung zu bilden und uns mit dem Thema auseinanderzusetzen, ohne nur den Inhalt der Texte wiederzugeben«, hieß es in der Bewertung eines Studierenden. »Die Themen sind sehr spannend und bewirken ein Umdenken«, äußert sich eine andere.
»Das Thema Nachhaltigkeit gehört auch ins Pharmaziestudium«, sagt Diplom-Pharmazeutin und Apothekerin Karina Witte. / Foto: Privat
Nachhaltigkeit auch im Pharmaziestudium zu thematisieren, hält Witte für sehr wichtig. Denn aktuell sei man von dem Leitbild der globalen Gesundheit noch weit entfernt. »Es gibt zahlreiche innovative Arzneimittel für die verschiedenen Krankheiten, doch scheitert es aktuell noch daran, diese Arzneimittel wirklich jedem zur Verfügung zu stellen. Meiner Meinung nach tragen wir alle die Verantwortung dafür, dass der Gesundheitsstandard, den wir hierzulande haben, auch anderen zur Verfügung gestellt wird. Es ist nicht gerecht, auf Kosten anderer Menschen zu leben. Und hier darf man die Pharmazie nicht ausnehmen.«
Andere Fachbereiche seien in puncto Nachhaltigkeit schon weiter. So gibt es beispielsweise Konzepte für eine »grüne und nachhaltige Chemie«. Hier liegt der Fokus darauf, gefährliche Chemikalien und deren Eintrag in die Umwelt zu vermeiden, ressourcenschonend zu produzieren und langlebige Produkte herzustellen. Aspekte solcher Konzepte seien teilweise auch auf die Pharmazie übertragbar, doch reichen sie nicht aus.
Bisher ist unklar, wie die Universität Freiburg das Seminar über das jetzige Semester hinaus anbieten kann. Anlass für die Veranstaltung war die sogenannte »Spezial-Vorlesung«, deren Lehrinhalt regelmäßig wechselt. Jedes Semester stellt ein Professor oder eine Professorin der Pharmazeutischen und Medizinischem Chemie sein oder ihr Forschungsgebiet näher vor. Professor Müller nutzte das Format dieses Semester für das Thema Nachhaltigkeit in der Pharmazie. Im Rahmen seiner Forschung und Lehre beschäftigen er und Witte sich unter anderem mit der Untersuchung von Arzneimittelrückständen in der Umwelt und alternativen naturbasierten Wirkstoffen.
»Der Wunsch, eine Veranstaltung zu der Thematik auch über das Semester hinaus für Pharmaziestudierende im Staatsexamensstudiengang anbieten zu können, ist auf jeden Fall vorhanden«, betont Witte. Allerdings sei es in dem recht starren und voll ausgelasteten Studiengang nicht leicht, eine weitere Veranstaltung unterzubringen. »Für die Studierenden und uns ist das Thema ein Herzensthema, weshalb wir da auf jeden Fall weiterarbeiten werden. Aktuell steht noch im Raum, in welcher Form das genau sein wird«, sagt sie abschließend.