Wie die Stammzelltherapie richtig ins Auge gehen könnte |
Theo Dingermann |
20.11.2023 16:30 Uhr |
Ein unzureichend behandeltes Glaukom kann zur Erblindung führen. Forschende arbeiten daran, abgestorbene Zellen der Netzhaut zu ersetzen. / Foto: Getty Images/Artur Debat
Ein Forscherteam am Department of Ophthalmology der Harvard Medical School in Boston berichtet über einen neuartigen Ansatz, der es ermöglicht, Stammzellen in retinale Ganglienzellen umzuwandeln. Diese sind in der Lage, in die Netzhaut des Auges einzuwandern und dort zu überleben. Es ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer neuen Behandlungsstrategie für Krankheiten wie das Glaukom, bei dem der krankheitsbedingte Verlust von retinalen Ganglienzellen zu einem irreversiblen Sehverlust führt.
Etwa 3,5 Prozent der Weltbevölkerung über 40 Jahren leidet an einem Glaukom, und bis zum Jahr 2040 wird die weltweite Prävalenz des Glaukoms aufgrund der zunehmenden Alterung der Bevölkerung 110 Millionen Menschen übersteigen. Diese Zahlen verdeutlichen den enormen Bedarf, einen Heilungsansatz für das Glaukom zu entwickeln.
Für degenerative Krankheiten, zu denen auch das Glaukom gehört, bieten sich Ansätze der regenerativen Medizin an. Korrekt reprogrammierte Stammzellen könnten den Verlust retinaler Neuronen, der zu einem irreversiblen Sehverlust führt, ausgleichen und so das Sehvermögen erhalten oder gar wieder verbessern.
Zwar ist es bereits gelungen, Stammzellen zu retinalen Ganglienzellen (RGC) umzuprogrammieren. Allerdings verbleiben die meisten Spenderzellen an der Injektionsstelle und wandern nicht dorthin, wo sie am meisten benötigt werden.
In einer kürzlich im Wissenschaftsjournal »Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS)«, publizierten Arbeit berichtet ein Forscherteam um Dr. Jonathan R. Soucy vom The Schepens Eye Research Institute of Massachusetts Eye and Ear in Boston von der Identifizierung von Chemokinen, die retinale Ganglienzellen an die korrekte Stelle in den Netzhaut leiten und so die Integration und Funktion von transplantierten oder regenerierten Neuronen im Auge verbessern.
Dazu suchten die Forschenden in Einzelzelltranskriptomen von aus Stammzellen differenzierten RGC nach Rezeptor-Liganden-Kandidaten, die an der korrekten Positionierung der neuen Neuronen in der Netzhaut beteiligt sein könnten. Das Forscherteam nutzte einen Big Data-Ansatz und untersuchte Hunderte solcher Moleküle und Rezeptoren. Es identifizierte schließlich zwölf Kandidaten, die nur in RGC vorkommen. Einer dieser Kandidaten, der aus »Stromazellen stammende Faktor 1 (SDF1)«, erwies sich sowohl bei der Migration als auch bei der Transplantation am vielversprechendsten.
Die Funktion dieses Chemokins testeten die Forschenden an RGC, die aus Stammzellen von Maus und Mensch in retinalen Organoid-Kulturen ausdifferenziert wurden. Dazu transplantierten sie diese RGC subretinal und verabreichten dann das rekombinante SDF1-Protein intravitreal, um einen Chemokin-Gradienten in der Netzhaut zu erzeugen.
So konnten die Forschenden zeigen, dass sich das Verhalten der Spenderzellen durch Modulation der Mikroumgebung des Gewebes in der gewünschten Weise steuern ließ, indem RGC entlang eines SDF1-Gradient in der Wirtsnetzhaut an die korrekte Position geleitet wurden. SDF1 erhöhte die Migration von Spender- und Neugeborenen-RGC in die Ganglienzellschicht (GCL) der Netzhaut signifikant.
Interessanterweise zeigte sich auch, dass nur die RGC, die erfolgreich in die Ganglienzellschicht (GCL) integriert wurden, einen bestimmten molekularen Marker für reife RGC exprimieren. Dies weist auf die Bedeutung einer ordnungsgemäßen strukturellen Integration für die Neuronentransplantation hin.
»Diese Methode der Verwendung von Chemokinen zur Steuerung der Wanderung und Integration von Spenderzellen stellt einen vielversprechenden Ansatz zur Wiederherstellung des Sehvermögens bei Glaukompatienten dar«, sagt Professor Dr. Petr Baranov, der Seniorautor der Studie in einer Pressemitteilung.
Insgesamt liefern die Forschenden starke Hinweise für die universelle Natur und Anwendbarkeit der durch Neurokine gesteuerten Migration von aus Spenderstammzellen stammenden und endogen regenerierten Neuronen.