Wie der Klimawandel der Niere zusetzt |
Laura Rudolph |
09.05.2024 16:00 Uhr |
Extreme Temperaturen gehen oft mit starken Wasserverlusten durch Schwitzen einher. Werden diese nicht ausgeglichen, kann die Dehydrierung schwere Nierenschäden verursachen. / Foto: Adobe Stock / Crystal light
»Die Auswirkungen von Hitze auf die Gesundheit sind in Deutschland und Europa bereits spürbar«, erklärte Dr. Simone Cosima Boedecker-Lips beim Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Dies zeige sich besonders deutlich an der steigenden Anzahl hitzebedingter Todesfälle in den Sommermonaten. Laut der Nephrologin vom Universitätsklinikum Mainz fielen im Jahr 2022 fast 63.000 Europäer der Hitze zum Opfer; diese Zahl steige weiter an.
Betrachte man Daten ab dem Jahr 2015, zeige sich, dass jedes zusätzliche Grad Erwärmung mit etwa 20.000 zusätzlichen hitzebedingten Todesfällen einhergehe. Wenn dieser Trend bis 2050 anhalte, könnte sich die Anzahl auf etwa 120.000 verdoppeln.
Einige dieser Todesfälle sind auf hitzebedingte Nierenschäden zurückzuführen. Neben Elektrolytveränderungen, vermehrter Bildung von Nierensteinen und Harnwegsinfektionen spielen insbesondere akute Nierenschäden eine entscheidende Rolle. Nach Angaben in der Literatur erlitten 50 bis 90 Prozent der Patienten, die mit einem Hitzeschock ins Krankenhaus kommen, einen solchen, so Boedecker-Lips. 10 bis 30 Prozent dieser Patienten seien sogar dialysepflichtig. Diese Literaturangaben schienen allerdings »etwas hoch gegriffen«, räumte die Ärztin ein.
Was aber auffällt, ist, dass nicht nur klassische Nieren-Risikopatienten wie ältere Menschen oder solche mit Bluthochdruck, Herzinsuffizienz und chronischer Nierenerkrankung (CKD) hitzebedingte Nierenschäden erleiden. »Arbeitnehmer, die sich der Sonnen- und Hitzeexposition in ihrem Beruf nicht entziehen können, sind ebenfalls gefährdet«, sagte die Referentin. Dies betreffe insbesondere Personen in der Landwirtschaft oder im Bauwesen, die körperlich schwer arbeiten. In einigen heißen, vorwiegend landwirtschaftlich geprägten Gebieten sei vermehrt über Menschen mit chronischen Nierenschäden berichtet worden, auch wenn diese jung und zuvor nicht erkrankt waren. Dies betreffe beispielsweise Regionen in Indien und Mittelamerika.
»In extremen Fällen kann ein Mensch durch Schwitzen bis zu zwei Liter Flüssigkeit pro Stunde verlieren«, informierte die Nephrologin. »Selbst bei hohem Flüssigkeitskonsum kann dieser Verlust oft nicht ausgeglichen werden.« In der Folge verringert sich die Nierendurchblutung und die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) nimmt ab. Die Urinausscheidung ist stark verringert und die Harnsäurekonzentration steigt an. Es kann zu Entzündungen und oxidativem Stress in der Niere kommen.
Bei der Wahl des Durstlöschers gebe es Tücken. »Es gibt zunehmend mehr Daten, die darauf hinweisen, dass auch Fructose eine Rolle bei der Nierenschädigung spielt«, erklärte Boedecker-Lips. Insbesondere dann, wenn Fruchtzucker bei hohen Temperaturen und zusätzlicher körperlicher Belastung aufgenommen werde, sei dies kritisch. Bei der Verstoffwechslung von Fructose entsteht Fructose-1-Phosphat, das zu Entzündungen im Tubulus-Epithel führen könne.
Nicht nur die Getränkewahl, sondern auch die Medikamentendosis sollte bei CKD-, Hypertonie- und Herzinsuffizienz-Patienten in der heißen Zeit des Jahres angepasst werden. »Diese Patienten muss man im Winter und im Sommer mittlerweile eigentlich unterschiedlich therapieren«, sagte die Ärztin. Oft stünden Blutdrucksenker, SGLT2-Inhibitoren und Diuretika auf dem Plan. Diese erhöhten – insbesondere in Kombination mit geringen Trinkmengen – das Risiko, im Sommer eine Hypovolämie und Hypotonie zu erleiden. Die Dosis müsse häufig reduziert werden, um Nierenschäden zu vermeiden. Allgemeine Handlungsempfehlungen hierfür gebe es nicht, sodass der Behandler bei jedem Patienten individuell entscheiden müsse.
Neben Hitze könne auch Feinstaub der Niere erheblich schaden, erklärte Professor Dr. Jens Lutz, Direktor der Medizinischen Klinik III des Klinikums Bremen-Mitte, beim DGIM-Kongress. Dies betreffe Partikel kleiner als 2,5 µm (PM2,5), die über die Atmung in den Blutkreislauf und schließlich in das Filtrationssystem der Niere gelangten, wo sie »ihr Unwesen treiben«. Feinstaubpartikel aktivierten etwa das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) und begünstigten oxidativen Stress sowie Entzündungen. Die Schäden führten bis hin zu Fibrose und DNA-Veränderungen, erklärte Lutz.
Studien hätten gezeigt, dass es in Regionen mit erhöhter Feinstaubbelastung auch mehr Patienten mit einer CKD gibt, so auch eine Subanalyse der Langzeitstudie Global Burden of Disease. »Wenn man bedenkt, wie viele Menschen letztlich einer solchen Feinstaubbelastung ausgesetzt sind, ist auch ein geringfügig erhöhtes individuelles Risiko dramatisch, da es eine große Anzahl von Menschen betrifft und somit eine deutliche Auswirkung auf die Entstehung von Nierenkrankheiten hat.«
In China, das für seine schlechte Luftqualität bekannt ist, litten Menschen beispielsweise vermehrt an bestimmten Nierenerkrankungen wie membranösen Nephropathien und der IgA-Nephropathie. Letztere sei die häufigste Form einer Entzündung der Nierenkörperchen (Glomerulonephritis) in westlichen Ländern.
Zusammengefasst leidet die Niere nicht nur unter der zunehmenden Erwärmung, sondern auch unter schlechter Luftqualität. Dieses Problem wird angesichts des Klimawandels weiter zunehmen. Ausreichende Trinkmengen sind essenziell. Um Risikopatienten in den Sommermonaten vor einer Verschlechterung der Nierenfunktion zu schützen, gilt es, die Dosis von Blutdrucksenkern und Diuretika gegebenenfalls temporär zu senken.