| Annette Rößler |
| 11.12.2025 14:00 Uhr |
Ungewollt kinderlos zu sein, ist für jeden Einzelnen und auch für die Paarbeziehung sehr belastend. Die WHO gibt in einer neuen Leitlinie Empfehlungen, wie bei Unfruchtbarkeit vorzugehen ist. / © Getty Images/Oliver Rossi
Für viele Menschen ist es ein fundamentales Bedürfnis, Kinder zu haben. Doch viele von ihnen müssen damit umgehen, dass dieser Wunsch (zunächst) nicht in Erfüllung geht: Laut WHO ist weltweit etwa jede sechste Person im reproduktiven Alter irgendwann einmal von Unfruchtbarkeit betroffen. Diese definiert die WHO als eine Erkrankung des männlichen oder weiblichen Fortpflanzungsapparats, infolge derer nach zwölf Monaten regelmäßigem ungeschützten Geschlechtsverkehr keine Schwangerschaft zustande kommt.
Um möglichst vielen Menschen die Erfüllung ihres Kinderwunsches zu ermöglichen, hat die WHO eine neue Leitlinie zur Prävention, Diagnose und Behandlung von Unfruchtbarkeit vorgelegt. Die Zusammenstellung von evidenzbasierten Empfehlungen zur Familienplanung war aus Sicht der WHO notwendig, weil derzeit in den meisten Ländern der Zugang zu reproduktionsmedizinischer Versorgung nicht ausreichend sichergestellt sei. Dies betreffe vor allem Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen.
Zudem sei die Finanzierung einer Behandlung von Unfruchtbarkeit vielerorts nicht gewährleistet – auch in Deutschland beteiligen sich die Krankenkassen nur unter bestimmten Voraussetzungen an den Kosten einer Kinderwunschbehandlung. Viele Menschen gäben daher sehr viel Geld für entsprechende Behandlungen aus, stellt die WHO fest. Psychische Probleme wie Depressionen und Ängste, Beziehungskrisen und soziales Stigma zählten zu den negativen Folgen von Unfruchtbarkeit für die Betroffenen.
Obwohl die Gründe für das Ausbleiben einer Schwangerschaft sowohl aufseiten des Mannes als auch aufseiten der Frau liegen können, werde häufig der Frau die »Schuld« daran gegeben. Mehr als jede dritte von Unfruchtbarkeit betroffene Frau (36 Prozent) sei infolgedessen sogar Gewalt in der Partnerschaft ausgesetzt, berichtet die WHO.
Einige Ursachen von Unfruchtbarkeit sind vermeidbar, etwa sexuell übertragbare Erkrankungen (STI) wie Chlamydien und Gonorrhö oder auch Lebensstilfaktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum und Adipositas. Die WHO empfiehlt, niedrigschwellig etwa in Schulen und öffentlichen Gesundheitseinrichtungen beispielsweise mithilfe von digitalen oder gedruckten Broschüren darüber aufzuklären. Solche Schreiben sollten auch die Information enthalten, dass die Fruchtbarkeit mit steigendem Alter abnimmt.
Bei Frauen sinkt mit der Zeit die ovarielle Reserve, also die Anzahl der lebensfähigen Eizellen, und auch deren Qualität. Bei jüngeren Frauen können Abweichungen etwa der Geschlechts- oder Schilddrüsenhormone vom Sollwert, wie sie etwa beim polyzystischen Ovarialsyndrom (PCOS) vorliegen, für ein Ausbleiben regelmäßiger Eisprünge und damit für Unfruchtbarkeit sorgen. Weitere mögliche Ursachen sind Verklebungen oder Vernarbungen der Eileiter, etwa infolge einer STI oder einer unsachgemäß durchgeführten Abtreibung, und Fehlbildungen oder Erkrankungen der Gebärmutter, etwa eine Endometriose.
Auch bei Männern gibt es eine Reihe von Ursachen für Unfruchtbarkeit: So kann eine durchgemachte STI dazu führen, dass die Samenleiter verkleben. Hormonstörungen oder eine Krampfader im Hodensack (Varikozele), können die Spermienproduktion beeinträchtigen. Zur Beurteilung der Anzahl, Beweglichkeit, Form und Vitalität der Spermien dient ein Spermiogramm.
Die WHO spricht konkrete Empfehlungen aus, wie bei verschiedenen Ursachen von Unfruchtbarkeit vorgegangen werden sollte. So empfiehlt sie etwa zur Behandlung von Frauen mit PCOS, Letrozol gegenüber Clomifen oder Metformin zu bevorzugen. Bleibe die Pharmakotherapie bei PCOS auch bei optimiertem Lebensstil erfolglos, wird zu einer In-vitro-Fertilisation (IVF) geraten. Bei ovarieller Funktionsstörung infolge einer Hyperprolaktinämie habe Cabergolin gegenüber Bromocriptin Vorrang.
Sind Erkrankungen der Eileiter die Ursache von Unfruchtbarkeit, ist die WHO-Empfehlung altersabhängig: Bei Frauen unter 35 Jahren rät sie zur Operation, bei älteren Frauen zur IVF.
Eine (minimalinvasive) Operation oder eine radiologische Behandlung wird auch Männern mit einer Varikozele empfohlen. Die Einnahme von Antioxidanzien zur Verbesserung der Spermienqualität erhält von der WHO weder eine positive noch eine negative Empfehlung.
Weitere Empfehlungen betreffen das Vorgehen bei Unfruchtbarkeit, für die keine konkrete Ursache ausgemacht werden kann. In diesem Fall solle das Paar zunächst weitere drei bis sechs Monate versuchen, auf natürlichem Weg schwanger zu werden, bevor Verfahren wie eine intrauterine Insemination (IUI) und schließlich IVF angewendet werden.
Die WHO erwartet, dass ihre Empfehlungen von den Ländern mit Anpassungen an die jeweiligen epidemiologischen Gegebenheiten umgesetzt werden. Dies erfordere jedoch unter anderem den politischen Willen, Unfruchtbarkeit als Gesundheitsproblem anzuerkennen. Wie realistisch dies ist, wird sich zeigen. Denn im Gegensatz zur Sichtweise der WHO, die eine gute Versorgung mit Services zur Familienplanung für ein Kernelement der reproduktiven Gesundheit hält, ist dies in vielen Ländern noch reine Privatsache.