WHO hält Situation für beherrschbar |
Weltweit seien bisher erst weniger als 200 Fälle von Affenpocken mit oft eher weniger schweren Verläufen verzeichnet worden, sagte eine WHO-Expertin am Montag. / Foto: Adobe Stock/velimir
Nach dem Auftreten erster Fälle von Affenpocken in Deutschland werden nach Angaben von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach Eindämmungsmaßnahmen vorbereitet. Für Deutschland würden aktuell Empfehlungen zu Isolation und Quarantäne erarbeitet, sagte der Minister am Montag am Rande der Weltgesundheitsversammlung in Genf. Zudem werde über Impfempfehlungen für besonders gefährdete Personen nachgedacht.
Unterdessen meldeten mit Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg zwei weitere Bundesländer Nachweise der Infektion. Zuvor waren bereits Fälle in Berlin und Bayern bekannt. Proben zahlreicher weiterer Menschen werden analysiert, zudem suchen Behörden nach Kontaktpersonen nachweislich Infizierter.
Weltweit sind inzwischen weit über 100 Fälle nachgewiesen, wegen der langen Inkubationszeit von bis zu drei Wochen gehen Experten von einer Vielzahl weiterer Meldungen in nächster Zeit aus. Offen sei noch, ob sich das seit mehr als 40 Jahren bekannte Virus womöglich verändert habe, sagten Fachleute der Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Montag in Genf. Die Art des Virus spreche momentan allerdings dagegen. «Sie tendieren dazu, sehr stabil zu sein», sagte die WHO-Expertin Rosamund Lewis.
Sie wies darauf hin, dass die Impfung gegen Pocken, mit der diese Krankheit vor Jahrzehnten ausgerottet worden sei, zu 85 Prozent auch gegen die Affenpocken helfe. Außerdem sei der Impfstoff seitdem weiterentwickelt worden. Das Problem sei, dass er nicht in größeren Mengen verfügbar sei. Daher werde es darum gehen, welche Personengruppen so einen Schutz benötigten, hieß es.
Die WHO wandte sich gegen eine Stigmatisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen. «Das ist keine Krankheit von Schwulen», sagte WHO-Experte Andy Seale. Sexueller Kontakt sei eine Übertragungsmöglichkeit, aber es reiche auch Hautkontakt. Während in der Vergangenheit die Affenpocken nur sehr begrenzt durch Reisende verbreitet worden seien, sei diesmal ein anderes Muster zu erkennen. Wichtig sei, dass die internationale Gemeinschaft die Beobachtung von Fällen intensiviere.
Weltweit seien bisher erst weniger als 200 Fälle mit oft eher weniger schweren Verläufen verzeichnet worden, sagte WHO-Expertin Maria Van Kerkhove. «Das ist eine beherrschbare Situation.» Allerdings sei mit steigenden Zahlen zu rechnen.
Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (STIKO), Professor Dr. Thomas Mertens, geht von einer Vielzahl bereits erfolgter Affenpocken-Infektionen in Deutschland aus. Der Virologe sagte am Montag dem Südwestrundfunk, er gehe davon aus, dass sich schon etliche Menschen in Deutschland über enge Kontakte infiziert haben. Und dass man in der nächsten Zeit weitere Fälle identifizieren werde.
Zugleich betonte der STIKO-Vorsitzende, dass Affenpocken weniger gefährlich seien als das Coronavirus: «Ich glaube, kein Fachmann nimmt an, dass man mit diesem Virus eine ähnliche Situation erleben wird wie mit Corona.» Etwa 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung seien früher gegen die Pocken geimpft worden. Der Übertragungsweg bei den Affenpocken sei zudem sehr viel eingeschränkter als bei Coronaviren, die sehr leicht über die Luft übertragen werden. Der Übertragungsweg bei den Affenpocken erfordere einen wesentlich engeren Kontakt zwischen dem Infizierenden und dem Infizierten, erklärte der Virologe.
Die britische Gesundheitsbehörde UKHSA setzte am Montag als empfohlene Quarantänezeit für enge Kontaktpersonen von Infizierten drei Wochen fest. Belgische Behörden ordnen eine 21-tägige Isolation für Infizierte an, wie eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums am Montag bestätigte. Für Kontaktpersonen gilt dies dort nicht, ihnen wird nur zu besonderer Vorsicht geraten.
Quarantäne finde er «in dieser Phase richtig und wichtig», schrieb der Charité-Infektiologe Professor Dr. Leif Sander bei Twitter. Es handle sich um einen sehr dynamischen globalen Ausbruch und über sein Ausmaß und die Infektionskette sei momentan noch zu wenig bekannt. Alle engen Kontaktpersonen von Infizierten sollten isoliert werden, um weitere Übertragungen bestmöglich zu verhindern.
In Großbritannien gilt als Kontaktperson mit hohem Risiko für eine Ansteckung, wer im Haushalt mit einer erkrankten Person lebt, mit einer solchen Geschlechtsverkehr gehabt oder deren Bettwäsche ohne Schutzkleidung gewechselt hat, wie es von der Behörde UKHSA hieß. Diese Gruppe soll demnach auch eine schützende Impfung erhalten. Verwendet werde ein Vakzin der «dritten Generation» gegen die als ausgestorben geltende Pockenkrankheit beim Menschen. Experten gehen davon aus, dass solche Pockenimpfstoffe auch gegen die Affenpocken gut schützen.
Der Vorsitzende des Weltärztebunds, Frank Ulrich Montgomery, ist wegen der höheren Risiken für Ungeimpfte für ein Impfangebot. «Es wäre deswegen sinnvoll, allen Jüngeren, die nicht mehr unter die Pockenimpflicht gefallen sind, jetzt ein Impfangebot zu machen», sagte er der Funke Mediengruppe. «Wir sollten dabei in erster Linie an die aktuell besonders gefährdeten Gruppen denken – also in der Regel jüngere Männer mit vielen wechselnden Sexualkontakten.»
«Aktuell scheinen die Risikoexpositionen vorwiegend sexuelle Kontakte unter Männern zu sein», hieß es auch vom BMG. «Expositionsorte der in Deutschland bislang bekanntgewordenen Fälle waren Party-Veranstaltungen, unter anderem auf Gran Canaria (Spanien) und in Berlin, bei denen es zu sexuellen Handlungen kam.»
Extrem wichtig ist der Virologin Isabella Eckerle von der Universität Genf zufolge die Isolierung Betroffener in Kliniken. Das reduziere die Ausbringung des stabilen Virus in die Umwelt, erklärte sie bei Twitter: «Man muss vermeiden, dass sich bei uns Tierreservoire ausbilden (Ratten im Abwasser/häusliche Abfälle, Haustiere, Nutztiere)».
Affenpocken könnten verschiedene Spezies infizieren. Die Etablierung dauerhafter Tierreservoire außerhalb Afrikas wäre ein großes Problem, sowohl bei Wild- als auch bei Nutztieren, warnte sie. Sollten sich die Affenpocken von Menschen auf Tiere übertragen und in einer Tierpopulation ausbreiten, könnte die Krankheit in Europa endemisch werden, warnte die EU-Gesundheitsbehörde ECDC am Montag in Stockholm. Es gelte, Infektionen von Haus- und Wildtieren zu verhindern.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.