»Wer heute noch Drogen macht, ist verrückt« |
Paulina Kamm |
20.05.2025 15:30 Uhr |
Das Gold der Arzneimittelfälscher: Die »Abnehmspritze« / © Imago Images/photothek
Der illegale Arzneimittelmarkt boomt: Von Medikamenten über Wachstumshormone bis hin zu Medizinprodukten ist alles dabei. Gefälscht wird, was gefragt ist, und das ist aktuell die »Abnehmspritze« Ozempic.
Während das Grauen der Labore für die Verbraucher versteckt bleibt, wirken die Onlineauftritte der Vertriebe schick, einwandfrei und einladend. Manche geben sich sogar als echte Online-Apotheken aus, andere nutzen Messengers wie Telegram. Die Folge: Handel mit gefälschten Produkten oder Betrug ohne Lieferung. »Ich bekomme pro Tag mindestens fünf E-Mails von irgendwelchen dubiosen Firmen, die einem Medikamente als auch Medizinprodukte auf günstige Art und Weise verkaufen wollen«, äußert sich die plastische Chirurgin Michaela Montanari aus Bochum.
Auch die Bestellungen der Ärzteschaft müssen sorgfältig überlegt und kontrolliert werden. Montanari empfiehlt, direkt beim Vertriebspersonal der Hersteller zu bestellen, das Verpackungsmaterial auf Rechtschreibfehler oder andere Mängel zu überprüfen, die Lieferkette nachzuvollziehen und etwaige Folgebestellungen nach denselben Kriterien zu kontrollieren.
Ein Hauptwarnzeichen für unseriöse Medikamentenvertriebe ist laut Professor Sinn die Möglichkeit, ein rezeptpflichtiges Medikament ohne Verschreibung durch ärztliches Personal erwerben zu können. Oft weicht auch die Darreichungsform des Medikaments gänzlich von der Originalware ab. Am Beispiel Ozempic werden Injektionspulver zum Auflösen statt Fertigpens verkauft.
Die Seriosität der Verkaufswebsites kann laut Professor Sinn auch anhand des Versandhandelslogos beurteilt werden. Dieses ist für alle Internethändler vorgesehen. Vonnöten ist ein »Zertifikat: Zur Überprüfung der Legalität der Website». Über diesen Link öffnet sich das Versandhandelsregister, wo zu erkennen ist, ob die Apotheke eine Handelserlaubnis hat. Spezialisierte Labore wie das von Christopher Hopkins können des Weiteren die Inhaltsstoffe testen und fehlende Sicherheitsmerkmale auf den Verpackungen feststellen.
Laut dem Diabetologen Harm Hammer könne eine gefälschte Ozempic-Spritze mit einer Überdosis Semaglutid möglicherweise zu Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung, Durchfall und im Extremfall zu Nierenversagen oder Herzrhythmusstörungen führen.
Doch statt des eigentlichen Wirkstoffs Semaglutid findet Christian Langfermann, der Laborleiter vom Institut für pharmazeutische und angewandte Analytik in Bremen, in einem Testpräparat aus Istanbul ein synthetisch hergestelltes Insulin-Derivat namens Glulisin. Das könne zu einem rapiden und heftigen Abfall des Blutzuckerspiegels führen, sagt Hammer. Er warnt vor einem zu schnellen Abfall des Blutzuckerspiegels, was in seltenen Fällen zu Krampfanfällen und Koma führen kann.
Die digitalisierte und globalisierte Wirtschaft und die damit einhergehende Gewohnheit, alles online kaufen zu können, förderte laut Europol die Verkaufszahlen ungemein. In den Produktionsstätten herrschen schockierende hygienische Zustände und Qualitätsstandards, zum Teil sogar Kinderarbeit.
Laut Christopher Hopkins, Leiter des forensischen Labors von MSD, findet die Herstellung überall statt, dennoch sind Indien, China, die Türkei und der Iran Exportschlager. Sobald die Medikamente die EU erreicht haben, liefern Kuriere die Ware an die Verbraucher. Der Import von Fake-Arzneien sei laut der europäischen Polizeibehörde zum Teil so ausgeprägt, dass es für Kontrollinstanzen unmöglich ist, den Inhalt aller Container im Auge zu behalten.
Das Vorgehen klingt nicht nur wie ein klassischer Drogendeal, einige Experten gehen sogar davon aus, dass der Handel mit Fake-Arzneimitteln inzwischen rentabler ist als der mit Drogen. Laut dem Rechtsanwalt Talat Yörük seien diese leichter in der Herstellung und im Vertrieb und werfen mehr Gewinne ab. »Wer heute noch Drogen macht, ist verrückt«, so Professor Arndt Sinn, Kriminalitätsforscher der Universität Osnabrück. Er kritisiert des Weitern, dass es keinen vergleichbaren Kontroll- und Sanktionsdruck durch Behörden gäbe.
Professor Sinn beschreibt die Rechtslage als zu komplex und intransparent. Die niedrigen Strafen seien eine »Einladung zum Weitermachen« mit hohem Gefährdungspotential. Er wünscht sich einen erhöhten Kontrolldruck und eine Vereinheitlichung des rechtlichen Rahmens.
Originalfirmen wie Novo Nordisk oder Ipsen äußern sich laut ARD-Recherchen zurückhaltend zu den Fake-Arzneien. Die Begründung: Die Firmen möchten unter allen Umständen vermeiden, den Fälschern beim Fälschen zu helfen, so Constantin Rehaag, Anwalt für Markenrecht.