Wenn Seltenheit auf Wirksamkeit trifft |
Unter Orphan Drugs versteht man Arzneimittel zur Prävention, Diagnose und Behandlung von seltenen Erkrankungen (6). Deren Entwicklung stellt nach wie vor eine große Herausforderung dar – aus vielfältigen Gründen. Für eine erfolgreiche Arzneimittelforschung müssen genug Informationen zur Entstehung und den Krankheitsprozessen auf molekularer Ebene bekannt sein, was meistens nicht der Fall ist. Deshalb steht vor der Entwicklung eines Orphan Drugs eine aufwendige und mit hohen Kosten verbundene Grundlagenforschung. Dann müssen passende Behandlungsansätze abgeleitet und Wirkstoffe sowie Applikationsformen identifiziert und erprobt werden. Klinische Studien sind aufgrund der geringen Zahl an Betroffenen und deren räumlicher Verteilung mit großem Aufwand verbunden.
Grafik: Orphan-Drug-Zulassungen nach Indikationsgebieten und Erkrankungen (Stand Februar 2023). Aufgenommen wurden 218 Wirkstoffe (darunter 73, die keinen Orphan-Drug-Status mehr haben) gegen 171 Krankheiten. Modifiziert nach (8). / Foto: PZ/Stephan Spitzer
Die Notwendigkeit, verbesserte Rahmenbedingungen und Voraussetzungen zu schaffen, erkannten die USA bereits 1983 und verabschiedeten den Orphan Drug Act mit dem Ziel, die Erforschung, Entwicklung und Vermarktung dieser Arzneimittel zu fördern. 1991 folgte Singapur, 1993 Japan und 1998 Australien.
Schließlich wurden im Jahr 2000 auch für Europa die rechtlichen Grundlagen für Regelungen zu Orphan Drugs geschaffen und in der Verordnung (EG) Nr. 141/2000 beschrieben (7). Diese Verordnung regelt die Verfahren und Kriterien für die Ausweisung eines Arzneimittels als Orphan Drug durch die Europäische Kommission (»orphan designation«) (Kasten).
Auch wenn die Forschung weiterhin wirtschaftlich riskant ist, hat die Regelung zu einer deutlichen Zunahme der verfügbaren Orphan Drugs geführt: Seit Einführung der EG-Verordnung wurden mehr als 200 Orphan Drugs zugelassen. Aktuell sind in der EU etwa 150 Orphan Drugs (Stand Juli 2023) zugelassen. Hinzu kommen 73 weitere Medikamente, bei denen der Orphan-Drug-Status nach der Zulassung zurückgegeben wurde oder nach zehn Jahren abgelaufen ist (Grafik) (1). In den letzten Jahren machten Orphan Drugs durchschnittlich ein Drittel der jährlichen Neueinführungen von Medikamenten mit neuem Wirkstoff aus.
Eine vollständige Übersicht bietet die EU im »Community Register of orphan medicinal products«. Auch Orphanet stellt ein Verzeichnis der in Europa verfügbaren Orphan Drugs zur Verfügung (www.orpha.net/consor/cgi-bin/index.php).
In der Orphan-Drug-Verordnung bestimmt Artikel 3 die Kriterien, die ein Antragsteller wissenschaftlich nachweisen muss, damit sein Arzneimittel als Orphan Drug in der Europäischen Union anerkannt und ausgewiesen wird. Hierfür müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein (Art. 3 VO (EG) Nr. 847/2000).