Wenn die mukosale Toleranz versagt |
Laura Rudolph |
16.01.2024 14:00 Uhr |
Warum reagieren manche Menschen auf ein harmloses Antigen mit einer allergischen Überempfindlichkeitsreaktion, während andere dies nicht tun? Unter anderem dieser Frage ging Professorin Dr. Angelika Vollmar beim Pharmacon in Schladming nach. / Foto: Alois Müller
Die mukosale Toleranz ist ein hochkomplexer immunologischer Prozess, der an den Schleimhäuten des Verdauungstrakts und der Atemwege sowie an anderen mukosalen Geweben stattfindet. »Letztendlich kommt es auf eine zielsichere Erkennung von fremden, aber ungefährlichen und fremden, gefährlichen Antigenen an«, fasste Professorin Dr. Angelika Vollmar von der Ludwig-Maximilians-Universität in München beim Fortbildungskongress Pharmacon in Schladming die Aufgabe des immunregulierenden Mechanismus zusammen. Die Professorin für Pharmazeutische Biologie erläuterte die zugrundliegende Pathophysiologie.
Demnach induzieren körperfremde, harmlose Antigene normalerweise die Aktivierung von ILC-3 (Innate Lymphoid Cells Typ 3), einer Gruppe von Zellen des angeborenen Immunsystems, die dazu beitragen, die Immunreaktion in Schach zu halten. Gleiches gilt für sogenannte tolerogene dendritische Zellen. Das sind Antigen-präsentierende Zellen, die ebenfalls die Immunantwort drosseln und die Ausbildung von regulatorischen T-Zellen (Treg-Zellen) fördern.
Insbesondere Treg-Zellen spielten eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung der Immuntoleranz, wie Vollmar hervorhob. Durch direkte Interaktion mit antigenpräsentierenden Zellen setzten sie immundämpfende Zytokine wie Interleukin-10 oder TGF-β frei und aktivieren IgA-Antikörper-produzierende B-Zellen. IgA-Antikörper haben die Fähigkeit, schädliche Antigene zu neutralisieren und die entzündlichen Prozesse des Immunsystems im Sinn der mukosalen Toleranz zu regulieren.
Werden diese Mechanismen nicht in einem ausreichenden Maß aktiviert, kommt es zu einem immunologischen Ungleichgewicht. Dieses kann dazu führen, dass nicht mehr zwischen harmlosen und potenziell gefährlichen körperfremden Substanzen unterschieden werden kann. Man spricht auch von mukosalem Toleranzversagen. Es kann in der Folge zu allergischen Überempfindlichkeitsreaktionen gegenüber bestimmten Substanzen kommen.
Doch warum reagieren manche Menschen beispielsweise allergisch auf Erdnussprotein, während andere die Nüsse problemlos verzehren können? Die spannende Frage, warum einige Individuen verstärkt allergisch auf bestimmte, harmlose Fremdantigene reagieren, während andere denselben Stoff tolerieren, sei komplex und bislang noch nicht ausreichend geklärt, betonte Vollmar. »Das individuelle Risiko wird durch das Zusammenspiel von genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen gesteuert«, erläuterte die Expertin.
Ein bedeutender Aspekt bei der Entwicklung von allergischen Überempfindlichkeitsreaktionen sei etwa der Lebensstil. Hier ging Vollmar insbesondere auf die Hygiene-Hypothese ein, die besagt, dass eine verringerte Exposition gegenüber Mikroorganismen in der Kindheit das Immunsystem negativ beeinflussen und das Risiko für allergische Erkrankungen erhöhen könne. Als förderlich für das Training des Immunsystems gelten beispielsweise Haustiere, eine ländliche Umgebung, Stillen und vaginale Geburt sowie der möglichst geringe Einsatz von Desinfektionsmitteln und Antibiotika.
In Bezug auf eine genetische Prädisposition seien verschiedene Genmutationen identifiziert worden, die etwa die Epithelfunktion, die T-Zellantwort oder die Antigenpräsentation und damit auch die Immuntoleranz beeinflussen können. Dazu gehörten Einzelnukleotid-Polymorphismen in Genen, die beispielsweise für antimikrobielle Proteine, Transkriptionsfaktoren, Zytokine oder Rezeptoren codieren.
Des Weiteren hob Vollmar die Bedeutung des Darmmikrobioms hervor. Mit der Ernährung lasse sich beeinflussen, wie sich dieses zusammensetzt. So könne eine abwechslungsreiche und ballaststoffreiche Ernährung dazu beitragen, ein ausgewogenes und vielfältiges Darmmikrobiom aufrechtzuerhalten. Ein intaktes Mikrobiom spiele eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung der mukosalen Toleranz.