Wenn Atmen krank macht |
Annette Rößler |
13.12.2023 15:00 Uhr |
Der Verkehr ist eine Quelle von zahlreichen Luftschadstoffen. FFP2-Masken schützen vor bestimmten Feinstaub-Fraktionen, aber nicht vor allen Verunreinigungen. / Foto: Adobe Stock/Bartek
Luftverschmutzung ist weltweit eine der größten Gefahren für die menschliche Gesundheit. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass im Jahr 2019 weltweit 4,2 Millionen Menschen vorzeitig an den gesundheitlichen Folgen verschmutzter Außenluft starben. Zusammen mit den vorzeitigen Todesfällen, die durch belastete Innenraumluft verursacht wurden, seien es insgesamt 6,7 Millionen gewesen, so die WHO. Drinnen wie draußen ist die Luft in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Durchschnittseinkommen besonders stark verschmutzt, sodass ein Großteil der Todesfälle auf diese Länder entfällt.
Häufigste Todesursachen infolge unreiner Außenluft waren laut WHO koronare Herzkrankheit (KHK) und Schlaganfall (zusammen 37 Prozent), Lungenentzündungen (23 Prozent), chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD, 18 Prozent) und Lungenkrebs (11 Prozent). Als weitere Erkrankungen, die durch Luftverschmutzung mitverursacht werden können, nennt das Umweltbundesamt in einer Übersicht Demenz, Atherosklerose, Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, Thrombosen, Herzinfarkt, verminderte Lungenfunktion, Asthma, Typ-2-Diabetes sowie bei Schwangeren Frühgeburten und geringes Geburtsgewicht.
Luftverschmutzung stelle nach dem Tabakrauchen den zweitgrößten Risikofaktor für nicht übertragbare Erkrankungen dar, so die WHO. Im Gegensatz zum Rauchen, das eine individuelle Entscheidung ist, kann der Einzelne jedoch kaum beeinflussen, ob er saubere Luft atmet oder nicht. Denn wichtige Quellen für Luftschadstoffe wie Industrie, Energiegewinnung und Verkehr entziehen sich der individuellen Kontrolle.
Laut der WHO sind die wichtigsten Luftschadstoffe Feinstaub, Stickstoffdioxid, Ozon, Schwefeldioxid und Kohlenmonoxid, wobei Feinstaub (Particulate Matter, PM) abhängig von der Partikelgröße in unterschiedliche Fraktionen unterteilt wird: PM10 hat einen maximalen Durchmesser von 10 µm, PM2,5 von 2,5 µm. Kleinere Partikel können tiefer in die Atemwege vordringen. So gelangt PM10 nur bis in die Nasenhöhle, PM2,5 dagegen bis in die Lungenbläschen. Noch feinere Partikel mit einem Durchmesser von <0,1 µm können über die Lunge in den Blutkreislauf aufgenommen werden. Feinstaub entsteht etwa bei Verbrennungen, durch Aufwirbelung und Abrieb.
Eine kurzfristig hohe Feinstaubbelastung bewirkt Schleimhautreizungen, lokale Entzündungen in der Luftröhre und in den Bronchien sowie einen Anstieg des Blutdrucks und der Herzrhythmusvariabilität; langfristig steigt das Risiko für Asthma, Bronchitis, Lungenkrebs, Typ-2-Diabetes und Demenz. Laut der WHO gibt es keine Feinstaubkonzentration, unterhalb derer schädliche Wirkungen auszuschließen sind. Die Belastung sollte daher so gering wie möglich sein.
Stickoxide, Schwefeldioxid und Kohlenmonoxid entstehen bei Verbrennungen. Hohe NO2-Konzentrationen bereiten kurzfristig vor allem Asthmatikern Probleme, da sie eine Bronchialkonstriktion bewirken können, die durch Allergene unter Umständen noch verstärkt wird. Langfristig erhöht eine hohe NO2-Belastung das Herz-Kreislauf-Risiko.
Ozon (O3) ist ein sekundärer Luftschadstoff. Es entsteht etwa durch Reaktion von Sauerstoff mit Stickoxiden unter der Einwirkung von Sonnenlicht. Da die Konzentrationen der reaktiven Ausgangsstoffe in Ballungsräumen meist höher ist als in ländlichen Gebieten, ist dort in der Regel auch die O3-Belastung höher. Ozon kann die Lungenfunktion beeinträchtigen und zu Atemwegsentzündungen führen. Empfindliche und vorgeschädigte Personen, zum Beispiel Asthmapatienten, sollten daher Anstrengungen im Freien bei hohen O3-Werten in der Luft vermeiden. Auch langfristig ist eine hohe Ozonbelastung schädlich: Laut der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe (MAK-Kommission) der Deutschen Forschungsgemeinschaft zählt O3 zu den Stoffen, »die wegen erwiesener oder möglicher krebserzeugender Wirkung Anlass zur Besorgnis geben«.
Die WHO spricht in einer Leitlinie zur Luftqualität Empfehlungen für Richtwerte der wichtigsten Luftschadstoffe aus. Die aktuelle Fassung, die im September 2021 erschien, brachte zum Teil deutliche Absenkungen der empfohlenen Werte im Vergleich zur Vorgängerversion aus dem Jahr 2005 mit sich (siehe Tabelle). Die WHO kann jedoch nur Empfehlungen aussprechen; rechtlich verbindlich sind diese nicht.
Tabelle: Richt- beziehungsweise Grenzwerte der WHO und der EU, Einheit: µg/m3, Zahl in Klammern: maximale Überschreitungen pro Jahr. Quellen: Science Media Center Deutschland, EU-Parlament
Dagegen müssen die Grenzwerte der EU von deren Mitgliedstaaten eingehalten werden. Derzeit gelten die Vorgaben der Lufqualitätsrichtlinie aus dem Jahr 2008. Das EU-Parlament hatte bereits vor der Veröffentlichung der neuen WHO-Leitlinie darauf gedrungen, die EU-Grenzwerte anzupassen und sich dabei den neuen WHO-Empfehlungen anzunähern – denn derzeit liegen die EU-Grenzwerte zum Teil deutlich darüber.
Zeigen Messstationen zu häufig zu hohe Werte von Luftschadstoffen an, können Fahrverbote verhängt werden. / Foto: Imago Images/Rupert Oberhäuser
Dieser Gesetzgebungsprozess läuft gerade. Im Oktober 2022 legte die EU-Kommission einen Vorschlag für neue Grenzwerte vor. Sie setzt darin die WHO-Empfehlungen zwar nicht eins zu eins um, gleichwohl enthält der Entwurf teils massive Absenkungen der derzeit geltenden Grenzwerte. Dem EU-Parlament genügten diese jedoch noch nicht und es beschloss im September dieses Jahres weitere Verschärfungen. Diese bestehen in teilweise noch weiter verringerten Grenzwerten und zudem in noch mehr konkreten Vorgaben für die Mitgliedstaaten zu deren Umsetzung.
Wie streng die neuen EU-Grenzwerte tatsächlich werden, muss nun in Verhandlungen mit dem EU-Ministerrat geklärt werden. Die Mitgliedstaaten müssten sie dann bis 2030 einhalten. Ausnahmen sind nur für Regionen vorgesehen, die die Ziele aus gut belegten Gründen bis dahin nicht erreichen können. So sieht es der »Zero Pollution Action Plan« der EU vor, der Teil ihres Green Deals ist.
Die Ziele der EU sind also ambitioniert, auch wenn sie hinter den Vorgaben der WHO zurückbleiben. Laut Informationen des Science Media Centers Deutschland würde bei einer Umsetzung des Vorschlags der EU-Kommission in Deutschland beispielsweise an knapp der Hälfte der Messstationen der neue NO2-Grenzwert überschritten. Innerstädtische Fahrverbote und andere unpopuläre Maßnahmen wären dann wohl nötig, um die Vorgaben zu erfüllen.