Wem hilft Virtual Reality? |
Brigitte M. Gensthaler |
20.10.2023 13:00 Uhr |
Mit VR-Brillen können Patienten in eine virtuelle Welt eintauchen und ihren Körper wieder als gesund erleben. (Symbolbild) / Foto: Getty Images/Guido Mieth
»Digitale Therapien wie VR-Brillen und Apps können als Teil einer Schmerztherapie eingesetzt werden, diese ergänzen und zum Beispiel Aktivität, Stress und Schlaf günstig beeinflussen«, berichtete Professor Dr. Axel Schäfer, Professor für Therapieforschung und Physiotherapeut an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim, bei der Pressekonferenz zum Deutschen Schmerzkongress am 19. Oktober. Der Kongress wird ausgerichtet von der Deutschen Schmerzgesellschaft und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG).
Bei der Virtual-Reality-(VR-)Therapie tauche der Patient in eine virtuelle Welt ein, die an seine Vorlieben und die Therapieziele angepasst werden kann. Dabei wird über eine VR-Brille die Illusion eines virtuellen Körpers erzeugt, der in einer künstlichen Welt agiert. Als Avatar könnten die Patienten ihren Körper als gesund, leistungsfähig und stark erleben und sich zum Beispiel beim Springen, Laufen und Klettern sehen. Damit werde die Körper- und Schmerzwahrnehmung verändert und die Angst vor Bewegung zurückgedrängt, erläuterte Schäfer. Dieses Phänomen werde als Embodiment bezeichnet und als ein möglicher Wirkmechanismus von VR in der Schmerztherapie diskutiert.
Mithilfe der VR-Therapie könnten schmerzbedingte negative Überzeugungen und Stress überwunden, gesundheitsförderndes Verhalten gestärkt und körperliche Aktivitäten angeregt werden. Die spielerischen Elemente in den Programmen (Gamification) könnten von Schmerzen ablenken, vor allem von akuten. Zudem dienten die VR-Programme der Information und Schmerzedukation und könnten »ein anderes Bild der Schmerzen« vermitteln, sagte der Experte. »Sie sind aber kein Ersatz für eine Verhaltens- oder Psychotherapie.«
Die Ergebnisse aus Metaanalysen nannte Schäfer »vielversprechend«. So hätten die Autoren eines systematischen Reviews mit über 41 Studien zu VR und chronischem Schmerz statistisch signifikante Effekte auf Schmerz und Funktionsfähigkeit gefunden (»JMIR Serious Games« 2022, DOI: 10.2196/34402). Eine aktuelle Metaanalyse von 122 kontrollierten Studien mit mehr als 9000 Teilnehmern zeigte signifikante Effekte von VR-Anwendungen auf akute und chronische Schmerzen (»Pain« 2023, DOI: 10.1097/j.pain.0000000000002883). »Bei Jüngeren mit moderaten bis starken Schmerzen war der Effekt am größten«, berichtete Schäfer. Selten traten Nebenwirkungen wie Kopfschmerz, Schwindel, Übelkeit oder Druckgefühl auf. Es gebe aber auch Barrieren im Umgang mit der Hard- und Software.
Bislang werde die VR-Therapie noch nicht breit angewendet, zumal die Brillen teuer sind. »Die Anwendungen müssen angepasst werden an besondere Bedürfnisse, zum Beispiel bei älteren Menschen.« Für Kopfschmerz- und Migränepatienten seien VR-Brillen nicht erprobt; sie könnten auch selbst Kopfschmerzen auslösen.