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Lebensraum und Pandemie

Welche Auswirkungen die Corona-Krise auf die Architektur hat

Die Zeit, die wir zu Hause verbringen, hat während der Coronavirus-Pandemie enorm zugenommen. Architekten und Städteplaner erwarten dadurch langfristige Veränderungen – von der Raum- und Wohnviertelgestaltung bis hin zu mehr Energieeffizienz.
Jennifer Evans
26.12.2020  14:00 Uhr

Seit Beginn der Covid-19-Krise funktioniert das Zuhause zugleich als Arbeitsplatz, Schule, Sportstudio und Restaurant. Während der Lockdowns haben viele Menschen die Gestaltung ihrer vier Wände überdacht. Weil die Ansprüche sich verschoben haben, war die Funktionalität oft nicht mehr gegeben. Tara Hipwood, Architektin und Dozentin der Northumbria Universität im nordenglischen Newcastle, hält es für wahrscheinlich, dass etwa offene Grundrisse schon bald passé sein könnten. Viele Familien hätten in der Krise erkannt, wie wichtig persönliche Bereiche und Intimsphäre seien, berichtet sie. Das Zusammenlegen von Küche, Esszimmer, Wohnraum sowie Arbeitsbereich habe sich nicht als ideal herausgestellt. Der ursprüngliche architektonische Gedanke dabei war schließlich die phasenweise Nutzung eines solchen multifunktionalen Raums. Gedacht also für einen Alltag, in dem verschiedene Familienmitglieder zu unterschiedlichen Zeitpunkten sich dort aufhalten und erst abends alle zum Essen zusammenkommen.

Einen weiteren Umschwung nach der Coronavirus-Zeit prognostiziert Hipwood, die im Bereich Wohnungsbau und Nachhaltigkeit forscht, beim Thema Heizungskomfort. Weil vermutlich die Zahl der Homeoffice-Arbeitsplätze steigen wird, geht sie davon aus, dass sich immer mehr Menschen intensiver mit energieeffizienten Lösungen beschäftigen werden. Aus demselben Grund rücken Gesichtspunkte wie Luftqualität und Lärmbelastung in den Fokus. »Diese Entwicklung könnte Hausbesitzer dazu bringen, etwa in Dreifachverglasung, spezialbeschichtete Fenster, bessere Wärmedämmung und stärkere Abdichtungen zu investieren, was wiederum zu einer Reduktion der CO2-Emission führen würde«, meint sie.

Abgetrennte Lernbereiche für Schulkinder hätten sich zudem positiv auf den Bildungsstand ausgewirkt, betont Hipwood und verweist auf die Ergebnisse einer Untersuchung der Autorengruppe um Helen Garrett, die den Einfluss des Wohnumfelds auf die Gesundheit unter die Lupe genommen hat. Die Sorge vieler Eltern um eine gute Ausbildung könnte sich in Hipwoods Augen künftig weg von der Wahl der bestmöglichen Schule hin zur Einrichtung eines optimalen Lernumfelds im Eigenheim verschieben.

Gesündere Lebensstile fördern

Das deckt sich mit einem generellen Trend, der der Gestaltung des Wohnumfelds mit Blick auf Gesundheit und Wohlbefinden immer Bedeutung zumisst. Mehr und mehr Menschen bevorzugten natürliches Licht und einen direkten Zugang zur Natur, so Hipwood. »Das könnte zu einem geringeren Einsatz von elektrischem Licht sowie zu einer größeren Nachfrage an biologisch vielfältigen Gärten führen.« Auch das Thema Selbstversorgung sieht sie durch die Nahrungsmittelknappheit durch Hamsterkäufe zu Beginn der Krise verschärft und schätzt, diese Bewegung wird auch nach der Pandemie anhalten. Obst und Gemüse selbst zu erzeugen, könnte wiederum zu einem zunehmenden Interesse an Solaranlagen und erneuerbaren Energien führen. Sie zeichnet ein Bild von einem neuen Lifestyle, der Homeoffice mit einem gesünderen Leben und mehr autarker Versorgung verbindet. Die Lockdown-Erfahrungen werden »zweifellos eine nachhaltige Wirkung haben. Und uns die Prioritäten in einem post-pandemischen Leben überdenken lassen, einhergehend mit der Rolle, die unser Zuhause künftig einnehmen wird.«

Umorientieren muss man sich auch beim Häuserbau, wie eine Studie des University College London (UCL) vom Oktober 2020 vor dem Hintergrund der Coronavirus-Krise zeigt. Die zentrale Erkenntnis für Professor Matthew Carmona und sein Autorenteam ist, dass es bei Neubauten und neu erschlossenen Vierteln kritische Gestaltungsdefizite gibt. Am wenigsten zufrieden während der Lockdowns waren nämlich die Bewohner von Häusern oder Gegenden, die zwischen den Jahren 2010 und 2020 entstanden sind. Demgegenüber zeigten sich die Bewohner aus Wohngegenden, die es schon vor dem Jahr 1919 gab, am zufriedensten mit ihrem Lebensumfeld und der Hausgemeinschaft. Wie müssen Wohnbauten also in Zukunft gestaltet sein, damit sie glücklichere und gesündere Lebensstile fördern? Am wichtigsten für die 2500 Haushalte der UCL-Untersuchung war ein Zugang zu einer privaten Fläche im Freien wie ein Garten, eine Terrasse oder ein Balkon. Carmonas Fazit, dass Menschen ihre Situation in der Krise besser bewerteten, wenn ihr Zuhause möglichst viele getrennte Zimmer hat sowie ausreichend frische Luft, Tageslicht und Lärmschutz bietet, deckt sich mit Hipwoods Beobachtungen. »Der stärkste Garant für Zufriedenheit während des Lockdowns war ein Zuhause, das nur einen fünf Minuten langen Fußweg von einem Park oder einer größeren Grünfläche entfernt liegt«, so Carmona. Waren es hingegen mehr als 10 Minuten sei die Zufriedenheit rapide gesunken. Ein anderer wesentlicher Faktor waren Geschäfte in nächster Umgebung. Benötigten die Teilnehmer der Untersuchung länger als 10 Minuten, um diese zu erreichen, sank ihr Wohlbefinden. Der Wissenschaftler ruft daher dazu auf, Lehren aus den Stresstests auf unsere häusliche Umgebung zu ziehen. Zum Beispiel den Ausbau von Plätzen, Geh- und Fahrradwegen sowie eine gute Infrastruktur mit besserem Zugang zu lokalen Einrichtungen zu fördern.

Der heilende Blick ins Grüne

Nicht übersehen sollte man vor diesem Hintergrund auch die Bedürfnisse der Kinder in der Städteplanung. Darauf weist Jenny Wood vom Institut für Sozialpolitik, Wohnungsbau und Chancengleichheit der schottischen Heriot-Watt Universität hin. Die Prioritäten seien klar: in direkter Nähe sicher spielen, Sport treiben, Rad fahren und sich mit Freunden treffen zu können. Auch bunte Häuser und der Zugang zur Natur durch zum Beispiel Tierfarmen seien zentrale Themen. Wood weist darauf hin, dass der Konflikt zwischen Älteren und Jüngeren, wenn es um die Spielplatznutzung geht, oft unterschätzt wird. Die einen wollen spielen, die anderen »abhängen«. Die Kinder selbst erachten getrennte Bereiche, die nicht direkt nebeneinanderliegen, für sinnvoll.

Naturerlebnisse in der Stadt halten insbesondere Jugendliche für relevant, wenn es um ihre psychische Balance geht. Dabei sei es oft egal, ob sie Natur von drinnen oder draußen wahrnehmen, so Jo Birch vom Institut für Landschaftsarchitektur der Universität Sheffield. Das könnten Eichhörnchen vor dem Fenster, der Sonnenuntergang über einem Parkhaus, ein Platz mit Bäumen oder ein Freiraum mit tollem Ausblick sein. Diese Erfahrungen erzeugen Birchs Studien zufolge Gefühle der Ruhe, Entspannung und des inneren Friedens. Die Natur stelle dabei einen Rückzugsort sowohl in Form einer physischen Abgrenzung zur Stadt als auch von einer schwierigen Lebenssituation dar und stärke die mentale Gesundheit sowie das allgemeine Wohlbefinden. Weil die Natur nicht urteilt, fühlten sich viele junge Menschen darin akzeptiert und »mit etwas Größerem verbunden«, berichtet sie.

Dass eine gezielte Gestaltung des Lebensraums Probleme kompensieren kann, dem würden sicher auch die Vertreter des sogenannten Demenz-Designs zustimmen. Das ist ein nicht medizinisch motivierter Ansatz, der für Betroffene ein Umfeld schaffen will, das möglichst einige der typischen Krankheitssymptome wie Unruhe, Aggression oder Orientierungslosigkeit reduziert. Auf diese Weise sollen die Erkrankten sich unabhängiger und selbstbewusster fühlen, wie die verantwortliche Architektin Lesley Palmer vom Dementia Services Development Centre der Universität Stirling schildert. Grünflächen, Fortbewegungsmittel, gute Luftqualität sowie leicht zu Fuß begehbare Viertel könnten im Kampf gegen Demenz helfen. Immerhin seien derzeit bereits 50 Millionen Menschen weltweit von der Erkrankung betroffen und Prognosen gingen in den kommenden 20 Jahren von einer Verdopplung dieser Zahl aus, so Palmer.

Weniger Büroflächen durch Homeoffice?

Klar ist für Professor Dr. Jörg H. Gleiter von der TU Berlin, dessen Fachgebiet Architekturtheorie ist, dass sich nach der Coronavirus-Krise »die Arbeitswelt und mit ihr ein Teil der Architektur verändern wird.« Der Bedarf an Büroräumen und -flächen werde stark zurückgehen, wenn Firmen ihre Homeoffice-Pläne umsetzten. Weil das den Flächenbedarf in den Städten reduziere, könnten diese Flächen dann zum Wohnen zur Verfügung stehen. Keine Anzeichen sieht er hingegen dafür, dass sich Wohnformen verändern. »Mit einer Ausnahme: Dass der Bedarf an Wohnraum eher steigen wird, da in den Familien Arbeitsräume benötigt werden, die in der Regel im Moment fehlen.« Stärkere Veränderungen sieht er durch die Lockdown-Erfahrungen eher im Freizeitverhalten der Menschen, die statt weitere Reisen zu unternehmen, ihre nähere Umgebung schätzen gelernt hätten. »Corona und die längerfristige Umweltentwicklung könnten positiv Hand in Hand gehen. Hier gibt es ein großes Potenzial«, betont er. Auch eine Werteverlagerung vom Auto zur Wohnung als Statussymbol hält er durchaus für möglich. Aber grundsätzlich könnten die Fragen rund um die Corona-Auswirkungen auf die Architektur nur »in Zusammenhang mit der viel dringenderen Frage von Klima, Energieeffizienz, Umweltschutz und Landverbrauch diskutiert werden«, hebt er hervor. 

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