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Arzneimittelabhängigkeit

Wege aus der »stillen Sucht«

Schätzungsweise 1,5 bis 1,9 Millionen Menschen in Deutschland sind medikamentenabhängig. Im Interview mit der PZ erklärt der Psychologe und Suchtberater Martin Meding, wie der Ausstieg aus der Sucht gelingt und wie man Betroffene und Angehörige dabei unterstützen kann.
Laura Rudolph
15.06.2022  07:00 Uhr

PZ: Ab wann beginnt Arzneimittelsucht?

Meding: Ob bereits eine Abhängigkeit vorliegt, lässt sich anhand der ICD-Kriterien ermitteln. Sind drei von sechs Einzelkriterien erfüllt, liegt eine manifeste Sucht vor. Doch auch schon ein oder zwei zutreffende Kriterien deuten auf eine sich entwickelnde Abhängigkeit hin. In diesem Stadium sollten Betroffene das eigene Konsumverhalten sehr sorgfältig beobachten und sich bei Bedarf Rat und Unterstützung einholen.

PZ: Wie präsent ist Arzneimittelsucht in Deutschland?

Meding: Tatsächlich gibt es hierzu­lande ähnlich viele Arzneimittelabhängige wie Alkoholabhängige – mit dem feinen Unterschied, dass Erstere deutlich seltener in Suchtberatungsstellen Hilfe suchen. Dies tun nur etwa 5 Prozent im Vergleich zu den alkoholabhängigen Menschen. Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist die Sucht nach Medikamenten eine eher »stille Sucht«: Im Vergleich zu Alkoholikern hat man beispielsweise keine Fahne und bleibt ansonsten, sofern die Medikamente einigermaßen richtig dosiert sind, auch eher unauffällig. Das heißt, die Sucht fällt im Umfeld zunächst weniger auf und der Druck von außen, sich Hilfe zu holen, ist geringer. Zudem sind Medikamente gesellschaftlich eher akzeptiert als Alkohol oder illegale Drogen.

PZ: Wie macht sich eine Arzneimittelsucht bemerkbar?

Meding: Arzneimittel mit Suchtpotenzial, etwa Opioide, Benzodiazepine oder Z-Drugs, wirken häufig dämpfend auf die Betroffenen. Sie erscheinen müde, verwirrt und verlangsamt. Sie ziehen sich auch eher zurück. Sind sie auf Entzug, äußert sich dies etwa in Zittern, Schwitzen oder starker Unruhe. Schwieriger zu erkennen ist eine Abhängigkeit von Substanzen, deren Konsum beziehungsweise Nicht-Konsum weniger deutliche Reaktionen hervorruft. Ein Beispiel hierfür sind etwa Schmerzmittel aus dem OTC-Bereich oder Nasentropfen. Damit verhält es sich ähnlich wie mit dem Rauchen: Es ist ungesund und macht abhängig, verändert aber kaum das Wesen und Verhalten der Betroffenen. Hier gilt es, das Einkaufsverhalten sorgfältig zu beobachten. Muss es immer die größte Packung in immer kürzeren Abständen sein? Das sind Warnzeichen für eine Toleranzentwicklung. Spätestens, wenn ein Kunde ein kritisches Arzneimittel länger als vier Wochen einnimmt, sollten die Alarmglocken schrillen.

PZ: Wie spricht man in der Apotheke einen Suchtverdacht am besten an?

Meding: Das Wichtigste ist, es überhaupt anzusprechen. Offen und ehrlich zu sagen, was einem auffällt, ohne dabei zu werten oder gar eine Diagnose zu stellen. Etwa so: »Mir ist aufgefallen, dass Sie nun schon die dritte Packung Schlaftabletten diesen Monat holen« oder »Ich merke, Sie sind in letzter Zeit etwas verlangsamt«. Man sollte darauf hinweisen, dass dies vom entsprechenden Arzneimittel herrühren und dass dieses abhängig machen kann. Gegebenenfalls sollte man dem Betroffenen vorschlagen, die Einnahme des Präparats erneut mit dem Hausarzt zu besprechen. Am besten zeigt man mit Verständnis für die Situation und zugleich ohne Vorwurfshaltung Auswege aus der Sucht auf. Hierfür eignen sich beispielsweise Flyer mit Adressen von Sucht­beratungsstellen in der Nähe.

PZ: Welche Hilfsangebote gibt es?

Meding: Die Kommunen sind in der Regel gut aufgestellt mit Suchtberatungsstellen. Solche, die bei Alkoholsucht beraten, übernehmen meist auch Beratungen bei Arzneimittel­abhängigkeit. Die nächstgelegenen Beratungsstellen finden sich auf der Website der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS): www.dhs.de/service/suchthilfeverzeichnis. Hilfesuchende erhalten bei bestehendem Abstinenzwunsch üblicherweise innerhalb von drei Monaten einen stationären Therapieplatz. Zum Beginn erfolgt ein kontrollierter körperlicher Entzug in einem Krankenhaus oder eine langsame Abdosierung durch den behandelnden Arzt. Die psychische Entwöhnung findet anschließend entweder stationär über die Dauer von drei Monaten oder ambulant über die Dauer von sechs bis zwölf Monaten statt.

PZ: Angehörige sind häufig die Ersten, denen die Veränderung auffällt. Wie kann man ihnen helfen?

Meding: Angehörige sind oft die ersten Hilfesuchenden im System des Arzneimittelabhängigen. Oftmals übernehmen sie daraufhin viele Aufgaben, die bisher der medikamentenabhängige Mensch übernommen hatte. Gleichzeitig wollen sie diesem aus der Sucht helfen. Dabei gehen sie häufig über die eigene Belastungsgrenze hinaus und opfern sich regelrecht auf. Auch für Angehörige gibt es Hilfe in den Suchtberatungsstellen. Es geht vor allem darum, dass sie lernen, gut für sich selbst zu sorgen, sich abzugrenzen und wieder vermehrt den eigenen Interessen nachzugehen. Letztlich sollten Angehörige die Verantwortung für den Medikamentenkonsum und seine Folgen wieder an den Betroffenen abgeben. Denn sie können der abhängigen Person nur helfen, wenn diese sich auch helfen lassen will.

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