Was wissen wir mittlerweile über Long Covid? |
Anhaltende Erschöpfung und Kopfschmerzen sind häufige Symptome, die noch länger nach der eigentlichen Corona-Infektion bestehen bleiben können. / Foto: Getty Images/deniskomarov
Als die Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 Fahrt aufnahm, stand naturgemäß die Behandlung der akut Erkrankten im Vordergrund. Erst im Verlauf der weiteren Monate wurde klar, dass eine Covid-19-Erkrankung nicht nur akut das Leben bedroht, sondern sehr lange die Gesundheit der Betroffenen beeinträchtigen kann. Selten ist das nicht: In den ersten Wochen nach der Erkrankung haben nach derzeitigen Expertenschätzungen etwa 10 Prozent der Covid-19-Patienten mit anhaltenden Beschwerden zu tun, die direkt auf die Krankheit zurückgehen. Wie steht es heute, kurz vor Ende des zweiten Corona-Jahres, um die Behandlung und Versorgung dieser Menschen?
«Der Wissenszuwachs in den vergangenen Monaten war enorm», sagt der Mediziner Privatdozent Dr. Dominik Buckert vom Universitätsklinikum Ulm. «Das Gesamtbild der Erkrankung ist heute nicht mehr so nebulös, wie es zu Beginn der Pandemie war.» Die Beschwerden lassen sich demnach grob in zwei Gruppen einteilen: Bei etwa 10 bis 20 Prozent der Betroffenen seien Schäden an Organen wie Herz oder Lunge nachweisbar. Deutlich mehr kämpften mit eher funktionellen Beeinträchtigungen wie einer geringeren Belastbarkeit, Konzentrationsstörungen oder anhaltenden Riech- und Schmeckstörungen. Als Long Covid definieren die deutschen Patientenleitlinien Beschwerden, die länger als vier Wochen nach der Infektion bestehen, als Post Covid, wenn die Beschwerden länger als zwölf Wochen nach der Infektion den Alltag einschränken.
Während bei einigen Patienten die Beschwerden eher moderat sind, haut es andere zumindest vorübergehend völlig aus dem Leben. Immerhin: Die Heilungsaussichten sind bei vielen Menschen – zumindest auf lange Sicht – gut. «Wenn sich nachweislich ein Organ verändert hat, muss das nicht immer dramatisch sein», sagt Buckert. Entzündliche Veränderungen am Herzen etwa könnten zwar den Herzmuskel dauerhaft schädigen, heilten aber häufig vollständig aus. Und: «Es gibt für die Behandlung der Beschwerden etablierte Therapiekonzepte», sagt Buckert.
Neue Daten gab es diese Woche aus Mainz: Die dortige Universitätsmedizin hat mit der »Gutenberg Covid-19 Studie« eine der größten bevölkerungsrepräsentativen Studien zur Pandemie in Deutschland durchgeführt. Die Symptome seien vielfältig, teilte die Uni Mainz mit. Dort wurden 10.250 Personen in die Studie aufgenommen. Bei etwa 5 Prozent wurde im Zeitraum Oktober 2020 bis Juni 2021 eine wissentlich oder unwissentlich durchgemachte SARS-CoV-2-Infektion per PCR- oder Antikörpertest nachgewiesen. 35 Prozent der Teilnehmenden, die eine Infektion durchgemacht hatten, seien sich darüber nicht bewusst gewesen.
Alles Infizierten sowie eine Kontrollgruppe wurden nach anhaltenden Symptomen gefragt. »Etwa 40 Prozent der Befragten gaben an, über mindestens sechs Monate neu aufgetretene oder an Intensität zugenommene Symptome zu haben«, heißt es in einer Pressemitteilung zur Studie. Etwa ein Drittel fühlte sich nachhaltig in der Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Dabei wiesen die Personen mit wissentlicher Infektion häufiger spezifische Symptome auf, etwa Geruchs- und Geschmacksstörungen.
Weitere häufig genannte Symptome waren: Abgeschlagenheit und Müdigkeit, Gedächtnis-, Schlafstörungen oder Atemnot und Kurzatmigkeit. »Frauen waren mit rund 46 Prozent etwas häufiger von Spätfolgen einer SARS-CoV-2-Infektion betroffen als Männer (rund 35 Prozent)«, informiert die Uni. Das Alter spielte dagegen kaum eine Rolle. Positiv zu verzeichen sei, dass die Anzahl der Long-Covid-Symptome im Laufe der Zeit nach einer Infektion abnahm. Die Universitätsmedizin Mainz hat nun eine zweite Studie gestartet, um den Symptomkomplex umfassend zu verstehen.
Professor Dr. Carmen Scheibenbogen von der Berliner Charité hat es in erster Linie mit Patienten zu tun, die nach einer Covid-19-Erkrankung funktionelle Beeinträchtigungen haben. Die Medizinerin leitet das Fatigue Centrum der Charité – und Fatigue gehört zu den am häufigsten auftretenden Symptomen im Zusammenhang mit dem Post-Covid-Syndrom. Als Fatigue bezeichnet das Centrum eine Erschöpfung, die im Zusammenhang mit Erkrankungen auftritt.
Laut Scheibenbogen kommen bei Post-Covid-Patienten häufig auch Kopf- und Muskelschmerzen oder geistige Beeinträchtigungen wie Konzentrationsschwäche hinzu. Die Behandlung der Patienten mit Fatigue richtet sich an den individuellen Symptomen aus, für die es Behandlungskonzepte gibt. Dazu zählen Reha-Maßnahmen, Physiotherapie, Atemtherapie und Medikamente. «Bei vielen bessern sich die Beschwerden, bei anderen halten sie an», sagt Scheibenbogen.
Angesichts der zuletzt hohen Zahl an Neuinfizierten wird die Zahl der Post-Covid-Patienten in absehbarer Zeit wohl nicht kleiner werden. Immerhin gehen Experten davon aus, dass sie dank der Impfungen zumindest nicht in gleichem Maße steigen wird. «Impfen schützt grundsätzlich gut auch vor Long Covid», sagt etwa Scheibenbogen.
Das liegt vor allem daran, dass Geimpfte, auch wenn sie sich anstecken, häufig keine oder nur leichte Symptome bekommen. «Bei einem milden Verlauf treten zumindest Organveränderungen seltener auf», sagt der Ulmer Mediziner Buckert. Die funktionellen Beschwerden korrelierten nicht so gut mit der Erkrankungsschwere. Das heißt: Auch Patienten mit mildem Krankheitsverlauf können anhaltende Beschwerden entwickeln.
Erste Studien zur Schutzwirkung der Impfungen deuten zumindest ein vermindertes Risiko für anhaltende Symptome an. In einer im Fachmagazin «The Lancet Infectious Disease» veröffentlichten Untersuchung hatten Forscher Daten aus einer App ausgewertet, über die Covid-Patienten Beschwerden melden konnten. Zweifach geimpfte Menschen klagten nach einer Durchbruchsinfektion deutlich seltener über anhaltende (mehr als 28 Tage nach Infektion) Symptome als ungeimpfte Menschen, häufig ging die Erkrankung ganz ohne Symptome vorbei. Eine zweite, noch nicht veröffentlichte Studie kommt zu dem Schluss, dass eine zweifache Impfung nach einer Durchbruchsinfektion vor vielen, aber nicht vor allen Long-Covid-Beschwerden schützt.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.