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Virusinfektionen

Was man über das West-Nil-Virus wissen sollte

Der Berliner Virologe Professor Dr. Christian Drosten hat sich zu den auch in Deutschland steigenden Zahlen von Infektionen mit dem West-Nil-Virus geäußert. Betroffene können sehr schwer erkranken. Grund zur Panik bestehe jedoch nicht.
Theo Dingermann
09.05.2023  11:00 Uhr

»Die Zahl der Stechmücken, die das Virus mit sich tragen, scheint aktuell zu steigen«, sagte Drosten in einem Interview, das er Ende vergangener Woche den Zeitungen der Funke Mediengruppe gab. Zwar bestehe kein Grund zur Panik. Aber man solle sich einmal die Fakten zu der Krankheit ansehen, die durch das Virus verursacht wird, so Drosten. Informationen findet man unter anderem auf den Seiten des Robert-Koch-Instituts (RKI).

Das West-Nil-Virus (WNV) ist ein einsträngiges, umhülltes RNA-Virus aus der Familie der Flaviviren. Zu dieser Familie gehören auch die Dengue- und Gelbfieberviren, das Zikavirus und das FSME-Virus. Man unterscheidet sieben phylogenetische Linien. Zwei dieser Subtypen, die WNV-Subtypen 1 und 2, sind für Infektionen von Menschen relevant. Diese kommen auf der ganzen Welt vor, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß.

Erstmals wurde das West-Nil-Virus 1937 im West-Nil-Distrikt in Uganda identifiziert. Heute ist das WNV das geografisch am weitesten verbreitete durch Mücken übertragene Virus. Die Hauptvektoren von WNV sind die Stechmücken der Gattung Culex, insbesondere Culex pipiens (Gemeine Stechmücke). Die auch Nördliche Hausmücke genannte Art ist eine der häufigsten in Europa.

Infektionen in Deutschland seit 2019

Seit einigen Jahren werden nun auch Fälle von WNV-Infektionen in Deutschland beobachtet. Die Zahl der Stechmücken, die das Virus mit sich tragen, scheint vor allem in den östlichen Teilen der Bundesrepublik zu steigen. Zugvögel, die aus den Tropen zurückkommen, bilden die Infektionsquelle für die Mücken. Gemäß der deutschen Statistikplattform Statista lag die Zahl der in der EU erfassten West-Nil-Virus-Fälle bei Menschen im zwei- bis dreistelligen Bereich mit einer Ausnahme: Im Jahr 2018 waren es 1549 Fälle.

Eine Übersicht über Gebiete mit WNV-Zirkulation in der aktuellen und in vergangenen Saisons stellt die europäische Seuchenschutzbehörde ECDC zur Verfügung. In Deutschland wurden erstmals im Jahr 2018 WNV-Infektionen bei Vögeln und Pferden beobachtet. Seit 2019 werden hier auch durch Mücken übertragene Erkrankungsfälle beim Menschen registriert.

Der Übertragungszyklus

Die durch das West-Nil-Virus übertragene Krankheit ist also eine Zoonose. Nur in Ausnahmefällen, zum Beispiel ganz selten durch Blutkonserven, werden die Viren von Mensch zu Mensch übertragen. Mücken sind die Vektoren. Sie infizieren sich bei der Blutmahlzeit an virämischen Vögeln und können das Virus dann auf andere Vögel übertragen. Die Infektion bei Vögeln verläuft oft subklinisch, obwohl einige Arten wie Raubvögel, Eulen oder verschiedene Sperlingsvögel schwer erkranken und sterben können.

Mücken, die sowohl bei Vögeln als auch bei Säugetieren Blut saugen, bezeichnet man als Brücken-Vektoren. Sie übertragen das WNV auf andere Wirbeltiere. Diese sind dann jedoch End- oder Fehlwirte. Die in diesen Organismen sich etablierende Virämie ist so schwach ausgeprägt, dass das Virus kaum auf eine Mücke zurück übertragen werden kann. Allerdings können die Fehlwirte selbst erkranken. Klinische Symptome treten fast ausschließlich bei Menschen und Pferden auf.

Für die Replikation des Virus innerhalb der Mücken muss es ausreichend warm sein. Die Temperaturen müssen dauerhaft über 20 °C liegen. Durch den Klimawandel werden die Bedingungen für eine weitere Ausbreitung des Virus in Mitteleuropa immer günstiger.

Die Krankheit: West-Nil-Fieber

Es wurde lange angenommen, dass das WNV beim Menschen nur milde und sporadische Erkrankungen verursacht. Nur bei 20 Prozent der von Vektoren übertragenen WNV-Infektionen treten Symptome auf. Zumeist entwickelt sich dann eine fieberhafte, grippeähnliche Erkrankung, die etwa drei bis sechs Tage andauert – das sogenannte West-Nil-Fieber.

Die Inkubationszeit beträgt zwei bis vierzehn Tage. Die Symptomatik setzt abrupt mit Fieber, Schüttelfrost, Kopf- und Rückenschmerzen, Abgeschlagenheit und Lymphknotenschwellungen ein. Bei etwa der Hälfte dieser Erkrankten findet man ein blasses, makulopapulöses Exanthem.

Schwere Verläufe sind selten

Die Krankheit heilt in der Regel komplikationslos aus. Etwa jede hundertste infizierte Person erkrankt jedoch schwer an einer neuroinvasiven Form der Erkrankung (West Nile Virus Neuroinvasive Disease, WNND). Diese tritt überwiegend bei älteren Menschen oder bei Menschen mit Vorerkrankungen auf. Die Fallsterblichkeitsrate beträgt dann etwa 10 Prozent.

In seltenen Fällen entwickelt sich eine Meningoenzephalitis mit mentalen Veränderungen, Muskelschwäche, schlaffen Lähmungen, Ataxien, extrapyramidalen Symptomen und Veränderungen der Hirnnerven. Spätfolgen treten in diesen Fällen bei ungefähr der Hälfte der überlebenden Betroffenen auf.

Impfstoffe bislang nur für Pferde

Derzeit gibt es weder eine spezifische antivirale Therapie zur Behandlung von WNV-Infektionen noch einen für den Menschen zugelassenen Impfstoff. Seit 2005 sind allerdings drei Impfstoffe für Pferde zugelassen, die nun auch zunehmend in Deutschland verwendet werden. Die Impfstoffe schützen nicht vor einer Infektion, aber vor einem schweren klinischen Verlauf und sie verkürzen die Dauer der Virämie und verringern die Viruslast deutlich.

Neben einem klassischen Totimpfstoff gibt es einen rekombinanten Lebendimpfstoff auf Kanarienpockenbasis und eine inaktivierte Chimäre auf der Basis eines Gelfieber-Impfstammes, die prophylaktisch genutzt werden können.

Für die klinische Entwicklung humaner Impfstoffe bedarf es noch erheblicher Aufwendungen. Es werden verschiedene technologische Plattformen eingesetzt, darunter rekombinante Proteine, virusähnliche Partikel, RNA-Replikone, chimäre Flaviviren, virale Vektoren, die WNV-Gene exprimieren, sowie DNA- und RNA-Impfstoffe. Die am weitesten fortgeschrittenen Kandidaten werden derzeit in klinischen Phase-II-Studien getestet. Bis diese Impfstoffe zu Ende entwickelt und zugelassen sind, bleibt als einzige präventive Strategie der Schutz vor Mückenstichen.

Virusnachweis nur zu Beginn der Erkrankung

Virale RNA kann durch RT-PCR nur ganz zu Beginn der symptomatischen Erkrankung in Vollblut, Serum oder Liquor nachgewiesen werden. Danach stützt sich die Diagnostik auf den Nachweis von IgM- oder IgG-Antikörpern in Serum- beziehungsweise Liquorproben. Aufgrund des möglichen lang andauernden Vorhandenseins von IgM-Antikörpern wird für eine abschließende Diagnose die Untersuchung von Verlaufsproben empfohlen, um die Serokonversion oder einen Anstieg des spezifischen Antikörpertiters zu bestätigen.

Da andere Flavivirus-Infektionen oder Impfungen, zum Beispiel FSME, Gelbfieber, Dengue, Japanische Enzephalitis und Usutu, zu Kreuzreaktionen im ELISA führen können, muss ein falsch-positives Testergebnis in Betracht gezogen werden. Zur Bestätigung, dass es sich wirklich um eine Infektion mit WNV handelt, kann der Serologiebefund durch einen hochspezifischen Plaque-Reduktions-Neutralisationstest (PRNT) abgesichert werden.

Zum Teil wird West-Nil-Virus-Nukleinsäure noch mehrere Wochen nach einer Infektion mit dem Urin ausgeschieden und kann hier durch empfindliche Sequenziermethoden nachgewiesen werden.

Neben symptomatischen Reiserückkehrern aus Regionen mit WNV-Übertragung sollten Ärzte daran denken, auch Personen mit ätiologisch unklaren Enzephalitiden auf eine Infektion mit dem WNV untersuchen zu lassen. Auch Fälle von unklarem Fieber mit oder ohne Hautausschläge sollten laut Empfehlung des RKI durch eine WNV-Spezialdiagnostik abgeklärt werden.

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