Was lernen wir aus der Pandemie, Herr Streeck? |
Alexander Müller |
07.03.2025 12:00 Uhr |
Die holzschnittartige Betrachtung »Team Vorsicht« gegen »Team Leichtsinn« oder »Drosten versus Streeck«, die hat den Virologen Streeck schon während der Pandemie frustriert. Denn häufig seien die beratenen Ansätze dieser vermeintlichen Lager gar nicht so weit auseinander gewesen. Da habe ihm die Differenzierung in der öffentlichen Debatte gefehlt, sagt Streeck im Podcast PZ Nachgefragt.
Streeck würde sich eine strukturierte Aufarbeitung der Pandemie wünschen, der getroffenen Maßnahmen, der Fehler. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hätte aus seiner Sicht eine große Konferenz organisieren sollen, mit Vertretern aus allen Fachbereichen, um die Best Practices zu definieren. »Man braucht aber auch parallel eine politische Aufarbeitung dazu, wie politische Entscheidungen getroffen werden«, so Streeck, der sich dafür eine Enquetekommission gewünscht hätte. Ein persönliches Fazit hat der Virologe in seinem Buch »Nachbeben« gezogen.
Dass sich die Gesellschaft insgesamt so schwertut mit der Aufarbeitung, liegt Streeck zufolge auch an der hiesigen Fehlerkultur. »Wir schaffen keinen Raum in Deutschland, wo man diskutieren kann und Entscheidungsträger sagen können: ›Ja, hier habe ich vielleicht im Nachhinein betrachtet doch eine falsche Entscheidung getroffen.‹ Wir brauchen diesen Raum, dass wir Fehler erlauben, auch über Fehler reden, damit man in der Zukunft solche Fehler nicht mehr macht.«
Im Podcast spricht Streeck in diesem Zusammenhang auch über das Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik: Die Wissenschaft könne nur beraten, die Verantwortung für die Entscheidungen liegten immer bei den gewählten Volksvertretern. Als Positivbeispiel nennt Streeck hier das englische Modell mit 25 Expertenräten und einer gebündelten Kommunikation in die Öffentlichkeit.
Die Apotheken haben während der Corona-Pandemie selbst verschiedene Schutzmaßnahmen umgesetzt. Nicht alle würde man mit Blick auf die Forschungsergebnisse heute noch einmal so umsetzen, vermutet Streeck. Die Plexiglasscheiben in der Offizin etwa könnten Aerosolforschern zufolge zu unerwünschten Verwirbelung führen. Der Tipp des Virologen: Solche Effekte selbst mit Rauch oder Nebel einmal testen.
Und noch eine Lehre aus der Pandemie: Streeck würde die Apotheken als häufige Kontaktstelle zu Bürgerinnen und Bürgern bei Impfungen stärker einbinden. Zu Coronazeiten sei das im Grunde fast schon zu spät geschehen. Der frisch gewählte CDU-Abgeordnete würde das Impfangebot vor allem bei Totimpfstoffen gerne ausweiten.
Um hier künftig aktiver mitgestalten zu können, hat Streeck sich im Bundestag für einen Platz im Gesundheitsausschuss oder Wissenschaftsausschuss beworben. Im Gesundheitswesen brauche es jetzt den Mut zu »radikalen Veränderungen«, so Streeck. »Wir haben ein Gesundheitswesen, das im Moment kollabiert.« Der amtierende Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) habe zwar viele richtige Diagnosen gestellt, aber leider noch nicht die richtige Therapie gefunden. Ein dezidiertes Primärarztsystem kann sich Streeck gut vorstellen, aber auch eine gestärkte Rolle der Apotheken, um die Gesundheitskompetenz der Bürgerinnen und Bürger insgesamt zu verbessern.
Sogar die Möglichkeit zur eigenen Untersuchung würde Streeck den Apotheken gerne einräumen, inklusive einer begrenzten Kompetenz zur Verordnung einiger Medikamente für die Erstbehandlung. »Da können die Apotheken dem Gesundheitswesen und damit auch den Ärzten, enorm viel unter die Arme greifen und es würde auch zu einer Stärkung der örtlichen Apotheken führen, gerade auch im ländlichen Bereich.«
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.