Was ist eigentlich aus EHEC geworden? |
«Das brach über Nacht über uns hinein», blickt der Mikrobiologe Prof. Alexander Mellmann vom Uniklinikum Münster zurück. Er leitet das dortige Nationale Konsiliarlabor für HUS und pflegt eine der weltweit größten Sammlungen an EHEC-Erregerstämmen. Er spricht von einer «Verkettung unglücklicher Umstände»: Da sei einerseits die kleine Sprosse als Transportmittel, die großflächig und schlagartig verteilt wurde. Andererseits sei da die hohe Schlagkraft des Erregertyps, der anfangs ebenfalls unbekannt war.
Es wimmele in der menschlichen Darmflora nur so vor E.-coli-Bakterien, zu denen auch krankmachende EHEC-Erreger gehören, erklärt der Facharzt für Mikrobiologie und Hygiene. Gefährlich ist der Keim dann, wenn in seinem Erbgut Gene enthalten sind, die zur Produktion spezieller Gifte führen, sogenannter Shigatoxine. Während etwa Wiederkäuer mit diesen Giften klarkommen, können sie im Darm des Menschen Schäden anrichten. Wie groß diese sind, hänge von der genauen Beschaffenheit des Erregers ab, erklärt Mellmann.
Am 25. Mai 2011 konnte das HUS-Konsiliarlabor den Erreger als EHEC vom Typ O104:H4 identifizieren. Bis dahin sei dieser Keimtyp nur einmal 2011 nachgewiesen worden. Inzwischen sei gut erforscht, dass es sich um einen Hybrid mit mehreren gefährlichen Eigenschaften handele. So bleibe er besonders gut an den Darmzellen haften und halte dabei seine Nachbarn fest, erklärt Mellmann. «Da entsteht ein ganzes Mauerwerk aus EHEC-Bakterien, das dann sein Gift ausschüttet und die Zellen schädigt.»
Ende Mai 2011 flaute die Infektionswelle merklich ab und lief im Folgemonat aus. Ungeöffnete Packungen der verunreinigen Sprossen wurden nie gefunden. EHEC O104:H4 war gegessen, buchstäblich. Die Krise ist bei vielen in Vergessenheit geraten, erst recht im Lichte der Corona-Pandemie. Was als Lehre geblieben ist?
Längst seien Meldewege digitaler geworden, sagt Mellmann. Zurzeit arbeitet er mit anderen Forschern und Bundesbehörden an einem Konzept, wie Ausbrüche durch bessere Vernetzung der Diagnostik und geteilte digitale Sammlung vergleichbarer Erregerdaten früher erkannt werden können. Weil durchaus mit krankmachenden Erregern auf pflanzlichen Lebensmitteln zu rechnen sei, geht etwa das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) davon aus, dass der Trend zum Rohverzehr Risiken erhöht.
«So etwas kann immer wieder geschehen, auch vor dem Hintergrund, dass wir bei uns unbekannte Erreger über Lebensmittel, die roh verzehrt werden können, mit den Produkten aus anderen Ländern importieren», sagt BfR-Präsident Professor Dr. Andreas Hensel. Es gelte daher, die Sicherheit entlang der gesamten Lebensmittelkette durch internationale Zusammenarbeit zu stärken.
Auch der Verbraucher ist gefragt: Lebensmittel erhitzen, waschen, kühlen – über Generationen habe sich der Mensch angepasst, erläutert Epidemiologin Frank. Durch Hygienefehler könne vermeintliches Superfood zum Risikolebensmittel werden: «Wenn ich mir Grünkohl, der einfach schwer zu waschen ist, ungekocht in meinen Smoothie haue, bringt der vielleicht die Flora des Ackers mit sich.» Zumindest EHEC O104:H3 ist seit der Krise 2011 zwar in Einzelfällen nachgewiesen worden, hat aber zu keinem großen Ausbruch mehr geführt.