Was im Alter zählt |
Christina Hohmann-Jeddi |
16.09.2024 18:00 Uhr |
Entgegen einer landläufigen Auffassung sind ältere Autofahrer seltener an Unfällen beteiligt als jüngere. Wenn es aber kracht, sind sie häufiger Hauptverursachende. / Foto: Getty Images/Deagreez
Mit dem Auto zu Freunden, zum Supermarkt oder zum Konzert: Mobil zu sein, ist gerade im höheren Alter wichtig, um ein selbstständiges Leben zu führen. Es ist daher verständlich, dass die meisten Menschen möglichst lange noch Autofahren wollen. Doch verschiedene Fähigkeiten, die hierfür notwendig sind, lassen mit zunehmendem Alter nach.
So verschlechtern sich die sensorischen und kognitiven Funktionen, zudem können neurologische, psychische oder kardiovaskuläre Erkrankungen oder deren Therapie die Fahreignung einschränken. Daher gilt es, zwischen dem Bedürfnis nach Mobilität beziehungsweise Autonomie im Alter und Sicherheitsaspekten abzuwägen.
Rein rechtlich gesehen gibt es in Deutschland keine Altersgrenze für den Führerschein und auch keine verpflichtenden medizinischen Tests oder Fahrprüfungen. Anfang dieses Jahres wurde diskutiert, Gesundheitschecks für Senioren ab 70 Jahren verpflichtend oder freiwillig einzuführen. Der Grund war die Überarbeitung der EU-Führerscheinrichtlinie (2006/126/EG). Doch das EU-Parlament sprach sich schließlich dafür aus, dass jedes Mitgliedsland eigene Regelungen bestimmen kann. Damit wird es in Deutschland absehbar keine neuen Regeln geben.
Hierzulande wird in dieser Frage bislang auf Eigenverantwortung gesetzt, betonen der Psychologe Professor Dr. Uwe Koch-Gromus und der Rechtsmediziner Professor Dr. Klaus Püschel vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) im Editorial zum Bundesgesundheitsblatt Nummer 8 vom August 2024, das sich ausführlich mit der Fahreignung im Alter befasst. Es bestehe aber die Pflicht zur Selbstprüfung: »Für jeden Kraftfahrenden (jung oder alt gleichermaßen) besteht vor Antritt einer Fahrt die Pflicht zur kritischen Selbstprüfung der Fahrtüchtigkeit.« Zweifelt jemand daran, dass er in der Lage ist, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen, sollte er dies ärztlich abklären lassen.
Wenn trotz eingeschränkter Eignung am Straßenverkehr teilgenommen wird, könne das Konsequenzen haben, berichtet Ewald Brandt vom Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr in einem weiteren Artikel des Bundesgesundheitsblatts. »Ist die Fahreignung nicht mehr gegeben und erfolgt dennoch eine Verkehrsteilnahme, liegt eine Ordnungswidrigkeit vor. Werden dabei andere Personen gefährdet oder verletzt oder bedeutsame Sachschäden verursacht, kann sogar strafbares Verhalten gegeben sein.«
Senioren am Steuer gelten häufig als Sicherheitsrisiko, aber laut aktuellen Daten des Statistischen Bundesamts Destatis sind ältere Menschen gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung seltener in Verkehrsunfälle verstrickt als jüngere. So waren 2022 etwa 15,1 Prozent aller Unfallbeteiligten 65 Jahre oder älter, wobei diese Altersgruppe 22,1 Prozent der Bevölkerung in Deutschland ausmacht, teilte Destatis im Dezember 2023 mit. Senioren tragen aber häufiger die Hauptschuld an Unfällen. So waren die mindestens 65-Jährigen in mehr als zwei Dritteln der Fälle (68,7 Prozent) die Hauptverursachenden, bei den Über-75-Jährigen sogar zu drei Vierteln (76,6 Prozent).
Laut aktuelle Befragungen verzichtet ein relevanter Anteil der Senioren bereits freiwillig auf das Autofahren. So fahren nur etwa 30 Prozent einer Stichprobe von Menschen ab 80 und 58 Prozent der Personen ab 65 Jahren noch selbst Auto.
Mit zunehmendem Alter lassen verschiedene Fähigkeiten nach und manche Erkrankungen werden häufiger, was insgesamt die Fahreignung reduzieren kann. Eine Übersicht hierzu gaben Professor Dr. Michael Falkenstein vom ALA-Institut in Bochum und Kolleginnen 2020 im Fachjournal »Geriatrics«. So verschlechtern sich beispielsweise verschiedene Sehfunktionen wie Sehschärfe, Dämmerungssehen, Farbensehen sowie peripheres und räumliches Sehen. Außerdem treten bestimmte Augenerkrankungen mit zunehmendem Alter häufiger auf, vor allem Katarakt, Glaukom und altersabhängige Makuladegeneration (AMD).
Symptome des Grauen Stars (Katarakt), der fast jeden Zweiten über 75 betrifft, führen zu einem nebligen Sehen und Schwierigkeiten beim Sehen in der Dunkelheit. Das Unfallrisiko für Fahrer mit Katarakt sei mehr als doppelt so hoch wie bei Fahrern ohne die Erkrankung, heißt es in dem Übersichtsartikel. Ein Glaukom (Grüner Star) wiederum könne zu Gesichtsfeldeinschränkungen führen und AMD zu einem Verlust der zentralen Sehschärfe.
Auch das Hörvermögen geht im Alter zurück, weshalb akustische Signale wie Hupen, Motorengeräusche oder Sirenen schlechter wahrgenommen werden können. Von Schwerhörigkeit seien bis zu 90 Prozent der Personen über 80 Jahren betroffen. Auch das räumliche Hören verändert sich.
Im Alter ließen zudem einige kognitive Funktionen nach, die für das Führen eines Fahrzeugs wichtig sind, berichten der Psychologe Professor Dr. Konrad Reschke von der Universität Leipzig und Paul Brieler vom Institut für Schulungsmaßnahmen in Hamburg in einem Artikel im Bundesgesundheitsblatt. Dies sind neben der Reaktionsfähigkeit, Konzentration und Entscheidungsfindung auch die sogenannte geteilte Aufmerksamkeit, also die Fähigkeit, sich auf verschiedene Aufgaben beziehungsweise Sinneseindrücke gleichzeitig fokussieren zu können.
Die einzelnen Parameter, darunter auch das visuelle Gedächtnis und die Einschätzung von Geschwindigkeit von Objekten, können in speziellen Tests untersucht werden. Mit gezieltem Training ließen sich die kognitiven Fähigkeiten älterer Fahrer und ihr Wissen zu altersbedingten Veränderungen verbessern und darüber die Fahrkompetenz länger erhalten.
Einen relevanten Anteil an den Erkrankungen mit Einfluss auf die Fahrkompetenz haben Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die mit Symptomen wie Schwindel, Atemnot, Brustschmerzen und Synkopen (kurze Phasen von Bewusstlosigkeit) einhergehen können. Einen Überblick, welche Herzkrankheiten die Fahreignung einschränken, geben Autoren um Dr. Jan Rieß vom UKE im Bundesgesundheitsblatt. Dabei gilt grundsätzlich, dass das Auftreten von Symptomen und die Wahrscheinlichkeit eines plötzlichen Bewusstseinsverlusts relevant für die Beurteilung sind, und zwar unabhängig vom Alter.
So besteht etwa bei Bluthochdruck keine Fahreignung, wenn Symptome auftreten, während eine asymptomatische Hypertonie keine Konsequenzen hat. Gleiches gilt für Herzklappenerkrankungen und Herzinsuffizienz. Bei Letzterer besteht der Publikation zufolge ab einem NYHA-Klasse IV und instabiler Klasse III keine Fahreignung mehr. Auch bei Synkopen mit hohem Rezidivrisiko, unbehandelter Bradykardie oder Tachykardie mit Bewusstseinsverlust sowie nach einem überlebten plötzlichen Herzstillstand sollte auf das Autofahren verzichtet werden. Eine asymptomatische koronare Herzkrankheit und stabile Angina pectoris sind dagegen unproblematisch.
Inwieweit Diabetes mellitus die Fahreignung beeinträchtigt, hängt von der Krankheitsdauer und -intensität ab, heißt es in der Übersichtsarbeit von Falkenstein und Kolleginnen. Ein wichtiger Faktor für die Sicherheit im Verkehr ist dabei das Auftreten von Hypoglykämien, die zu verändertem Verhalten und Kontrollverlust führen können. Abgesehen von den Unterzuckerungen können langfristig erhöhte Blutzuckerwerte auch kognitive Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Konzentration und Reaktionsgeschwindigkeit beeinträchtigen. Auch Folgeerkrankungen des Diabetes wie Neuro- und Retinopathien können die Fahreignung herabsetzen. Insgesamt ist es wichtig, dass Personen mit Diabetes geschult sind, die Anzeichen einer Hypoglykämie zu erkennen, und vermehrt (vor allem vor Beginn von Autofahrten) den Blutzucker kontrollieren.
Auch häufige neurologische Erkrankungen wie Schlaganfall, Parkinson oder Demenzen, die sowohl kognitive als auch motorische Defizite bedingen, können die Fahreignung herabsetzen. Der Grad der Beeinträchtigungen ist aber individuell sehr unterschiedlich, weshalb die Fahreignung durch verschiedene Tests geprüft werden sollte. Gerade für Demenzen wird zum Teil übersehen, dass außer dem Gedächtnis auch die exekutiven Funktionen und die Aufmerksamkeit beeinträchtigt sein können. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die neurodegenerativen Erkrankungen progredient verlaufen.
Auch Depressionen sind in der älteren Bevölkerung häufig, sie betreffen etwa 7 Prozent der Menschen ab 75 Jahren. Gerade schwere Depressionen beeinträchtigen die kognitiven Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit und exekutive Funktionen, die für das Autofahren benötigt werden. Auch antidepressive Therapien können sich negativ auf die Fahreignung auswirken. Eine Metaanalyse habe gezeigt, dass durch die Erkrankung und ihre medikamentöse Behandlung das Unfallrisiko um den Faktor 1,8 bis 4,0 erhöht ist, heißt es in der Übersichtsarbeit.
Ältere Menschen, die weiter Autofahren möchten, sollten regelmäßig zum Seh- und Hörtest. / Foto: Getty Images/ER Productions Limited
Ältere Fahrer können, um die eigene Fahrsicherheit zu erhöhen, einiges tun. So sollten sie regelmäßig ihre Kompetenz kritisch hinterfragen und sich bei Zweifeln an der Fahreignung medizinisch untersuchen und beraten lassen. Hausärzte sind hier die richtigen Ansprechpartner. Auch regelmäßige Seh- und Hörtests sind wichtig. Vorliegende Erkrankungen sollten möglichst gut kontrolliert, Seh- und Hörschwächen ausgeglichen werden. Auch ihre Beweglichkeit können Senioren bewusst trainieren, um die motorischen Abläufe beim Fahren zu üben.
Zudem kann die Fahrkompetenz im Auto direkt geprüft werden. Entsprechende Checks bieten verschiedene Institutionen wie ADAC, Deutscher Kraftfahrzeug-Überwachungsverein (DEKRA) oder TÜV an. Ältere Fahrer können ihre Fähigkeiten auch durch spezielle Fahrtrainings und Fortbildungen verbessen.
Nicht zuletzt lassen sich bereits durch einfache Maßnahmen Verbesserungen erzielen. Längere Fahrten, Autofahren in der Nacht und in unbekannten Regionen sollten möglichst vermieden werden. Es ist auch sinnvoll, Hauptverkehrszeiten zu vermeiden, um stressige Situationen zu reduzieren. Zudem ist defensives, vorausschauendes Fahren hilfreich, um die eingeschränkte Reaktionsfähigkeit auszugleichen.
Zum Teil können Anpassungen am Fahrzeug sinnvoll sein. Fahrzeuge mit Assistenzsystemen wie Rückfahrkameras, Toter-Winkel-Warner, Spurhalteassistenten oder automatischen Bremsen können die Fahrsicherheit erheblich verbessern. Ist die Fahreignung nicht mehr gegeben und kann durch Training auch nicht mehr ausreichend hergestellt werden, können Alternativen zum Autofahren in den Blick genommen werden. Auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln und bei kurzen Strecken zu Fuß kann man seine Ziele noch erreichen.