Was ARMIN alles leisten kann |
Gesetzlich Krankenversicherte, die mindestens drei verordnete Medikamente gleichzeitig einnehmen, haben seit dem 1. Oktober 2016 Anspruch auf einen Medikationsplan in Papierform. / Foto: ABDA
Der folgende Fallbericht beschreibt einen der ersten ARMIN-Medikationsmanagement-Fälle und stammt aus einer sächsischen Apotheke. Frau M. A, 78 Jahre alt, ist seit vielen Jahren Stammpatientin in dieser Apotheke. Zusätzlich zu ihrem Hausarzt ist sie bei mehreren Fachärzten in Behandlung und nimmt täglich zahlreiche Arzneimittel ein. Deshalb wurde sie von Apothekerin S. über das ARMIN-Medikationsmanagement informiert. Frau M. A hatte Interesse an einer Teilnahme und unterzeichnete die erforderliche Einverständniserklärung. Ein Termin für die Erfassung der Gesamtmedikation in der Apotheke wurde vereinbart.
Die Erfassung der Gesamtmedikation erfolgte im Rahmen einer Brown-Bag-Analyse in einem strukturierten Patientengespräch. Basis waren die von Frau M. A. mitgebrachten Arzneimittel, die Medikationsdatei der Apotheke sowie Arzneimittelabrechnungsdaten (diese umfassen die letzten sechs Monate jedoch nicht die Daten der letzten vier bis sechs Wochen), die der Apotheke im Rahmen von ARMIN von der Krankenkasse zur Verfügung gestellt werden (Tabelle 1).
Wirkstoff (z.T. ergänzt um Stärkeangaben) | Handelsname® | Dosierung | Einnahmegrund |
---|---|---|---|
Felodipin 5 mg / Metoprololsuccinat 47,5 mg | Mobloc Retardtabletten | 1-0-0-0 | Bluthochdruck |
Triamteren / Hydrochlorothiazid | Triamteren comp 50/25 1 A Pharma | 1-0-0-0 | Bluthochdruck |
Valsartan | Valsartan dura 80 mg | 0-0-1-0 | Bluthochdruck |
Rivaroxaban | Xarelto 10 mg | 1-0-0-0 | »Nach Thrombose vor 8 Monaten« |
Pantoprazol | Pantoprazol Heumann 20 mg | 1-0-0-0 | Magenschutz |
Imiquimod | Zyclara 3,75 % Creme Sachets | 0-0-0-1 | Aktinische Keratose |
Betamethason 1,22 mg/g | Soderm crinale Lösung | Alle 3 Tage, 1 × tgl. | Ekzem am Ohr |
Formoterol | Foradil 12 µg Spray FCKW-frei | 1-0-1-0 | COPD |
Ciclesonid | Alvesco 160 µg 120 Hübe | 1-0-0-0 | COPD |
Diclofenac 30 mg/1 g Gel | Solaraze 3 % Gel | 1-0-1-0 (zurzeit gar nicht) | Aktinische Keratose |
Salbutamol 0,1 mg pro Sprühstoß | Salbuhexal Dosieraerosol N 200 Hub | Bei Bedarf | COPD |
Methocarbamol 750 mg | Ortoton | 2-2-2-0 (zurzeit gar nicht) | Rückenschmerzen |
Ibuprofen | Ibu 600 1A Pharma | 1-0-0 | Rückenschmerzen |
Hustentropfen (Kombinationspräparat) | Bronchipret Tropfen | Bei Bedarf: 3 × 2,6 mL | Husten |
Magentropfen (Kombinationspräparat) | Iberogast | Bei Bedarf: 3 × 20 Tropfen | Magenschmerzen |
Amlodipin 5 mg / Valsartan 160 mg | Exforge 5 mg / 160 mg | 1-0-0-0 | Bluthochdruck |
Folgende Aspekte dokumentierte die Apothekerin im Laufe des Gespräches:
APB sind »Ereignisse oder Umstände bei der Arzneimitteltherapie, die tatsächlich oder potenziell das Erreichen angestrebter Therapieziele verhindern (1)«. Einige Probleme konnten direkt identifiziert und gelöst werden: Magen- und Hustentropfen waren verfallen und wurden nach Rücksprache mit der Patientin direkt entsorgt. Ebenso wurde mit dem nicht mehr verwendendeten Diclofenac-Gel und den Methocarbamol Tabletten verfahren.
Im Anschluss an das Patientengespräch führte die Apothekerin eine weitergehende systematische Prüfung auf weitere ABP durch und identifizierte folgende:
Nr. | Klassifikation nach ABDA-Datenbank | Beteiligte Wirkstoffe | Effekt gemäß Kurzbeschreibung der ABDA-Datenbank | Umgang mit dem Effekt |
---|---|---|---|---|
1 | Gleichzeitige Anwendung nicht empfohlen | Valsartan – Triamteren | Effekt: Verstärkte Kaliumretention – erhöhtes Hyperkaliämie-Risiko | Regelmäßige Kontrolle der Kaliumwerte |
2 | Überwachung bzw. Anpassung nötig | Formoterol und Salbutamol – Metoprololsuccinat | Verminderte Wirksamkeit der Beta-Sympathomimetika | Bei COPD in dieser Dosierung vertretbar (3) |
3 | Überwachung bzw. Anpassung nötig | Rivaroxaban – Ibuprofen | In Einzelfällen erhöhtes Blutungsrisiko möglich | Absetzen Rivaroxaban & Umstellung auf Metamizol |
4 | Überwachung bzw. Anpassung nötig | Triamteren – Ibuprofen | Hyperkaliämie und Nierenversagen möglich | Umstellung auf Metamizol |
5 | In bestimmten Fällen Überwachung bzw. Anpassung notwendig | Valsartan – Ibuprofen | Verminderte Blutdrucksenkung, Hyperkaliämie, Niereninsuffizienz | Umstellung auf Metamizol |
6 | In bestimmten Fällen Überwachung bzw. Anpassung notwendig | Metoprololsuccinat – Ibuprofen | Verminderte blutdrucksenkende Wirkung möglich | Umstellung auf Metamizol |
7 | In bestimmten Fällen Überwachung bzw. Anpassung notwendig | Hydrochlorothiazid – Ibuprofen | Verminderte diuretische und antihypertensive Wirkung | Umstellung auf Metamizol |
8 | In bestimmten Fällen Überwachung bzw. Anpassung notwendig | Pantoprazol – Triamteren | Erhöhtes Risiko einer Hypomagnesiämie | Auslassversuch Pantoprazol |
9 | In bestimmten Fällen Überwachung bzw. Anpassung notwendig | Valsartan – Hydrochlorothiazid | Initial starker Blutdruckabfall möglich | Irrelevant. Beides seit Monaten angewandt |
10 | Vorsichtshalber überwachen | Metoprololsuccinat – Amlodipin / Felodipin | In Einzelfällen Bradykardie, Hypotonie | Engmaschige Blutdruck- und Pulskontrolle (s. o.) |
11 | Vorsichtshalber überwachen | Triamteren – Formoterol und Salbutamol | Erhöhte Inzidenz von Hypokaliämien | Regelmäßige Kontrolle der Kaliumwerte |
Potenziell relevante Probleme wurden von der Apothekerin via ARMIN-Kommentarfunktion an den Hausarzt kommuniziert. So wurde auf die regelmäßige Kontrolle der Kalium-Serumkonzentrationen (Interaktionen 1 und 11) hingewiesen, die laut Antwort des Arztes bereits umgesetzt werden. Auch auf die möglichen Probleme durch die Dreifachkombination Valsartan / Diuretika / Ibuprofen, den sogenannten Triple Whammy (Interaktionen 4, 5, 7, 8), wies die Apothekerin hin. Als Alternative schlug sie eine Umstellung auf Metamizol vor, die nach Rücksprache des Hausarztes mit dem Orthopäden über eine dreimal tägliche Gabe auch umgesetzt wurde.
Zusätzlich kontrollierte der Hausarzt die übermittelten Einnahmegründe auf Plausibilität und führte eine Überprüfung der Gesamtmedikation auf Über-, Unter- und Fehlversorgung durch. In Folge wurde die Erhaltungstherapie mit Rivaroxaban (Xarelto®), nach Rücksprache mit dem Kardiologen, nicht weiter fortgesetzt. Dieses Vorgehen ist konform mit den Empfehlungen von Hersteller und Leitlinie (4, 5). Auch ein Auslassversuch für das Pantoprazol konnte unternommen werden (Interaktion Nr. 8), da keine weiteren Risikofaktoren für Magen-/Duodenal-Ulzera oder -Blutungen vorlagen.
Alle Neuverordnungen und Absetzungen wurden der Patientin im Gespräch explizit erläutert. Frau M. A. wurde vom Hausarzt dafür sensibilisiert, sich bei auftretendem Fieber unmittelbar an ihn zu wenden (da es sich hierbei um ein Indiz für eine Nebenwirkung von Metamizol handeln kann (6)).
Nach elektronischer Übersendung des aktuellen Stands des Medikationsplans rief der Arzt die Apothekerin an, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Es wurde vereinbart, dass die Apothekerin in den nächsten Wochen die korrekte Anwendung der Inhalationssysteme von Frau M. A. überprüft.
Auch in den Wochen, die sich direkt an die ARMIN-Startintervention anschlossen, ergaben sich einige Änderungen am ersten konsolidierten Medikationsplan von Frau M. A (Abbildung).
Abbildung: Erster konsolidierter Medikationsplan für Frau M. A. / Foto: ABDA
So lief die Imiquimod-Therapie aus; die Probleme mit der aktinischen Keratose waren zu diesem Zeitpunkt behoben. Auch das Ekzem am Ohr sprach auf die Behandlung an und Soderm crinale® konnte abgesetzt werden.
Bei der Demonstration der Anwendung der beiden Dosieraerosole ergab sich, dass Frau M. A. nach Abgabe des Sprühstoßes die Luft nicht anhielt, sondern fast direkt wieder ausatmete. Dies wurde besprochen, der Fehler wurde dokumentiert und an den Hausarzt kommuniziert.
Zudem stellte sich heraus, dass auch die neue Schmerztherapie scheinbar unzureichend war. Frau M. A. kam nach einigen Wochen mit einem Selbstmedikationswunsch für eine Rückensalbe in die Apotheke. Via Kommentarfeld berichtete die Apothekerin dem Hausarzt davon, der mit der Patientin nach einer Lösung suchen wird.
Bereits durch die ARMIN-Startintervention konnten viele ABP identifiziert und gelöst werden. Darunter war mit der Pseudodoppelmedikation von Felodipin und Amlodipin auch ein ABP, bei dem bei weiterer Einnahme relevante Nebenwirkungen möglich gewesen wären. Dieses Problem wurde erst durch die Startintervention identifiziert und wäre in der Regelversorgung erst später oder womöglich gar nicht erkannt worden. Im Verlauf des Medikationsmanagements nahm die Komplexität der Arzneimitteltherapie von Frau M. A. ab.
Dennoch gab es im Bereich der Schmerztherapie und bei der Behandlung der Atemwegserkrankung von Frau M. A. noch Verbesserungspotenzial. Durch die enge und dauerhafte Abstimmung aller Beteiligten in ARMIN sollten auch zukünftig ABP erkannt, gelöst oder vermieden werden und somit die Arzneimitteltherapiesicherheit von Frau M. A. gewährleistet sein.
Literatur
(1) Kommentar zur Leitlinie der Bundesapothekerkammer zur Qualitätssicherung. Medikationsanalyse. Stand der Revision: 29.11.2017. www.abda.de/fileadmin/assets/Praktische_Hilfen/Leitlinien/Medikationsanalyse/LL_MedAnalyse_Kommentar.pdf (Letzter Zugriff 19.11.20)
(2) Fachinformation Valsartan dura® Filmtabletten. www.fachinfo.de/suche/fi/022597
(Letzter Zugriff 19.11.20)
(3) Gerdemann A, Griese-Mammen N, Schulz M. Asthma und COPD. Interaktionen mit Betablockern. Pharm Ztg 2017; 162(34):2544-2547.
(4) Fachinformation Xarelto® 10 mg. www.fachinfo.de/suche/fi/011277
(Letzter Zugriff 19.11.20)
(5) S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie. Pocket Version 2017. www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/065-002k_S2k_VTE_Venenthrombose-Lungenembolie_2017-04.pdf
(Letzter Zugriff 19.11.20)
(6) Mende A. Schmerztherapie. Viele Interaktionen möglich. Pharm Ztg 2017;162(42):3190-3191.