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Cannabis

Warum vor allem Teenager nicht kiffen sollten

Sollten Erwachsene in Deutschland irgendwann einmal Cannabis zu Genusszwecken legal erwerben dürfen, könnte auch bei Jugendlichen der Konsum zunehmen. Das wäre schlecht, denn sie scheinen für die schädlichen Wirkungen der Droge besonders empfindlich zu sein.
AutorKontaktAnnette Rößler
Datum 12.10.2022  18:00 Uhr

Die geplante Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken ist eines von nicht allzu vielen Themen, bei denen sich die drei Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP von Anfang an einig waren. Als mögliche Abgabestelle sind auch Apotheken im Gespräch – was bei diesen nicht gerade Entzücken auslöst. Wo beziehungsweise wie auch immer die »kontrollierte Abgabe« von Cannabis am Ende vonstatten gehen wird, muss dabei sichergestellt sein, dass ausschließlich Erwachsene die Droge erwerben.

Erfahrungen aus den USA, wo Cannabis zu Genusszwecken für Erwachsene in einigen Bundesstaaten legalisiert wurde, zeigen jedoch, dass danach auch der Gebrauch bei Jugendlichen ansteigen könnte. In einer Untersuchung mit insgesamt 505.796 Teilnehmern erhöhte sich der Prozentsatz der Zwölf- bis 17-Jährigen mit kritischem Konsum in Bundesstaaten, die Cannabis legalisiert hatten, relativ um 25 Prozent, was allerdings absolut nur einen Anstieg von 2,18 auf 2,72 Prozent bedeutete (»JAMA Psychiatry« 2020, DOI: 10.1001/jamapsychiatry.2019.3254).

Doch sicher ist es keineswegs, dass bei einer Freigabe ab 18 Jahren auch Jugendliche mehr kiffen würden. Eine andere Untersuchung ebenfalls aus den USA mit insgesamt 1.414.826 Teilnehmern ergab sogar einen Hinweis auf einen Rückgang des Konsums bei Teenagern nach der Legalisierung (»JAMA Pediatrics« 2019, DOI: 10.1001/jamapediatrics.2019.1720). Die Autoren dieser Publikation nehmen an, dass Jugendliche durch die erforderliche Alterskontrolle bei der Abgabe auf legalem Weg schlechter Zugang zu der Droge haben könnten als zuvor.

Zugang für Jugendliche erschweren

Wie einfach zurzeit Cannabis in Deutschland erhältlich ist, wenn man sich auskennt, schildert ein jugendlicher Kiffer im »Deutschlandfunk«-Radiobeitrag »Das Down danach«: »Man sieht das den Leuten einfach an. Man kann in jeder Stadt an Drogen kommen, man muss einfach nur nachfragen, wenn man das den Leuten ansieht. Und man hat schon alles, was man haben möchte. Also das ist echt nicht schwer.« In diesem Beitrag sprechen sich mehrere Experten für eine Legalisierung aus, die jedoch mit einer strengen Alterskontrolle und Präventionsmaßnahmen zum Jugendschutz verbunden sein müsse.

Das ist wichtig, denn für die Wirkung auf das Gehirn ist es offenbar nicht egal, ab welchem Alter Cannabis konsumiert wird. Einer von mehreren Übersichtsartikeln zu diesem Thema erschien 2015 im Fachjournal »Pharmacology & Therapeutics«. Die Autoren um Professor Dr. Dan Lubman von der Monash University in Melbourne, Australien, berichten darin, dass das Gehirn von Jugendlichen durch die in Cannabis enthaltenen Cannabinoide wohl deutlich stärker beeinflusst wird als das von Erwachsenen.

In zahlreichen Studien sei ein Zusammenhang zwischen starkem Cannabiskonsum und sowohl psychiatrischen Erkrankungen als auch kognitiven Einschränkungen festgestellt worden, insbesondere, wenn bereits im Teenageralter mit dem Konsum begonnen wurde. Der Grund: In der Pubertät fänden größere Umbaumaßnahmen im Gehirn statt, die durch die Wirkung von Cannabinoiden wie Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) potenziell gestört würden.

In der Pubertät strukturiert sich das Gehirn neu

Während des Übergangs vom Kind zum Erwachsenen entwickelten Menschen mehr und mehr die Fähigkeit, komplexe Aufgaben zu lösen und ihren Affekt zu kontrollieren, um so auch langfristige Ziele zu erreichen. Dies gehe mit einer Umstrukturierung von Hirnregionen einher, die an kognitiven, emotionalen, motivationalen und sensomotorischen Systemen beteiligt seien. Verbindungen zwischen einzelnen Hirnarealen würden neu etabliert, gestärkt, ausgedünnt oder gänzlich gekappt. Bei all diesen Veränderungen spiele das Endocannabinoidsystem eine Schlüsselrolle.

Endocannabinoide wie Anandamid sind die körpereigenen Liganden der Cannabinoidrezeptoren CB1 und CB2. Laut Lubman und Kollegen zählt der CB1-Rezeptor zu den am weitesten exprimierten G-Protein-gekoppelten Rezeptoren im zentralen Nervensystem. Die Aktivierung von präsynaptischen CB1-Rezeptoren hemme sowohl die GABA-erge als auch die glutamaterge Neurotransmission. Auf diese Weise reguliere der CB1-Rezeptor die Balance zwischen inhibitorischer und exzitatorischer neuronaler Aktivität.

Darüber hinaus sei das Endocannabinoidsystem an der Neuronalentwicklung beteiligt. Ein Konsum von Cannabis könne in kritischen Phasen dieser Entwicklung störend wirken, da externe Cannabinoide wie THC dieselben Rezeptoren aktivieren wie Endocannabinoide. Mögliche Folgen seien eine erhöhte Anfälligkeit für psychiatrische Erkrankungen wie Schizophrenie oder Depression, aber auch Einbußen etwa bei der Lern- und Gedächtnisfunktion sowie bei der Konzentrationsfähigkeit.

Kritische Phasen: Embryonalentwicklung und Pubertät

Eine solche kritische Phase ist etwa die Embryonalentwicklung, wie erst kürzlich eine Auswertung der großen prospektiven ABCD-Studie (Adolescent Brain Cognitive Development) bestätigte (»JAMA Pediatrics« 2022, DOI: 10.1001/jamapediatrics.2022.3191). Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft gekifft hatten, erwiesen sich darin im Teenageralter als anfälliger für verschiedene psychiatrische Erkrankungen als Gleichaltrige, die im Mutterleib keinem Cannabis ausgesetzt gewesen waren.

Dass auch die Pubertät in diesem Zusammenhang eine kritische Entwicklungsphase ist, halten sehr viele Experten für plausibel. Laut Lubman und Kollegen gebe es mittlerweile genügend Evidenz dafür, dass ein länger dauernder Cannabiskonsum im Jugendalter schädlich sei. Sie betonen dabei aber, dass das Kiffen etwa im Zusammenhang mit Schizophrenie wohl nur einer von mehreren Risikofaktoren sei. Daneben spielten etwa eine genetische Veranlagung, aber auch andere Umweltfaktoren eine Rolle. Sie verweisen auf die sogenannte Two-Hit-Hypothese, der zufolge erst zwei oder mehrere dieser Faktoren zusammen letztlich zur Krankheitsentwicklung führen könnten.

Gerade beim Thema Schizophrenie ist zudem die Ursache-Wirkungs-Beziehung zum Cannabis noch nicht geklärt. Es könnte nämlich auch sein, dass Menschen, die eine Veranlagung zur Entwicklung von Psychosen haben, gleichzeitig besonders anfällig dafür sind, die Kontrolle über ihren Cannabiskonsum zu verlieren. Hierfür fand etwa ein niederländisches Forscherteam in einer genomweiten Assoziationsstudie mit 184.765 Individuen Hinweise (»Nature Neuroscience« 2018, DOI: 10.1038/s41593-018-0206-1) und bestätigte damit die Ergebnisse einer britischen Arbeitsgruppe aus dem Jahr 2014 (»Molecular Psychiatry«, DOI: 10.1038/mp.2014.51).

Cannabis wird immer stärker

Neben THC sind auch andere Inhaltsstoffe an der Wirkung von Cannabis beteiligt, allen voran das Cannabinoid Cannabidiol (CBD), dessen zentralnervöse Effekte denen des THC teilweise entgegengesetzt sind. Für die berauschende Wirkung – und auch für das erhöhte Psychoserisiko sowie die negatigen Auswirkungen etwa auf die Merkfähigkeit – gilt allerdings THC als verantwortlich.

So stellten britische Forscher 2019 fest, dass im Vergleich mehrerer Großstädte Cannabiskonsumenten vor allem dort erstmals eine Psychose entwickelten, wo das gedealte Cannabis einen hohen THC-Gehalt aufwies. Personen, die täglich besonders starkes Cannabis konsumierten (THC-Gehalt ≥10 Prozent), hatten verglichen mit Personen, die überhaupt nicht kifften, ein fünffach erhöhtes Erkrankungsrisiko. Bei täglichem Konsum von Cannabis mit niedrigerem THC-Gehalt war das Erkrankungsrisiko um den Faktor 2 gesteigert (»The Lancet Psychiatry«, DOI: 10.1016/S2215-0366(19)30048-3).

Vor diesem Hintergrund ist der momentane Trend zu immer stärkerem Cannabis als sehr bedenklich einzustufen. Wie im August bekannt wurde, hat sich der THC-Gehalt in manchen Cannabis-Produkten, die in Berlin beschlagnahmt wurden, in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Ein Argument der Befürworter einer legalen Abgabe von Cannabis unter kontrollierten Bedingungen lautet daher auch, dass dabei ein THC-Höchstgehalt festgesetzt werden könnte.

Parallel zum Stärkerwerden des illegalen Cannabis ist laut Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) der Konsum sowohl bei Jugendlichen als auch bei jungen Erwachsenen gestiegen. Laut einem Bericht der BZgA gaben bei einer Befragung im Jahr 2018 etwa 8,0 Prozent der Jugendlichen zwischen zwölf und 17 Jahren und 23,0 Prozent der jungen Erwachsenen bis 25 Jahren an, in den zurückliegenden zwölf Monaten Cannabis konsumiert zu haben (DOI: 10.17623/BZGA:225-ALKSY18-CAN-DE-1.0). 

Mit dieser Entwicklung steht Deutschland nicht allein da. Professor Dr. Matthew Hill von der University of Calgary sprach 2020 in einem »News-Feature« der Fachzeitschrift »PNAS« von einem »dramatischen Anstieg des Konsums in der westlichen Welt seit den 1960er-Jahren« (DOI: 10.1073/pnas.1920325116). Er gibt jedoch zu bedenken, dass sich die Schizophrenie-Neuerkrankungsrate währenddessen kaum verändert habe. Auch Hill hält es daher für wahrscheinlich, dass Kiffen eine Schizophrenie nicht allein auslöst, aber bei prädisponierten Personen die Entwicklung einer Psychose triggern oder beschleunigen kann.

Sind die Schäden reversibel?

Nicht nur eine handfeste Psychose, auch die beschriebenen Einbußen bei der Merk- und Konzentrationsfähigkeit schränken die Betroffenen erheblich ein. So berichtet der Cannabiskonsument im »Deutschlandfunk«: »Gedächtnisverlust, oh mein Gott, das ist ganz schlimm. Wenn man einen Text lesen möchte, liest man den und man weiß schon gar nicht mehr, was da passiert ist. Oder ich kann mich an so viele Sachen in meinem Leben nicht mehr erinnern, die Tage sind einfach weg.«

Unklar ist momentan, ob diese Symptome reversibel sind, wenn der Cannabiskonsum beendet wird. Geht man davon aus, dass bei Jugendlichen unter THC-Einfluss bestimmte Verknüpfungen im Gehirn nicht geschlossen werden oder Hirnregionen unterentwickelt bleiben, müsste man dauerhafte Einbußen vermuten. Hierfür fand ein internationales Forscherteam in einer 2012 veröffentlichten Studie Anhaltspunkte (»PNAS«, DOI: 10.1073/pnas.1206820109).

In dieser Studie wurde der Intelligenzquotient (IQ) von 1037 Neuseeländern zweimal bestimmt, einmal im Alter von 13 Jahren und einmal mit 38 Jahren. Zudem wurde im Alter von 18, 21, 26, 32 und 38 Jahren jeweils der selbst berichtete Cannabiskonsum ermittelt. Das Ergebnis: Bei regelmäßigen Konsumenten nahm der IQ in diesem Zeitraum um durchschnittlich 5 bis 8 Punkte ab, bei Teilnehmern, die nie Cannabis konsumiert hatten, stieg er dagegen leicht an. Je früher die Jugendlichen mit dem Kiffen angefangen hatten, desto größer waren die kognitiven Einbußen. Hörten die Probanden als Erwachsene wieder damit auf, normalisierte sich der IQ nur dann wieder, wenn sie nicht bereits als Teenager angefangen hatten.

Während die Autoren dieses Ergebnis als Hinweis auf einen bleibenden Schaden durch Cannabiskonsum in der Jugend werteten, kam dieselbe Arbeitsgruppe in einer Untersuchung mit 1989 Zwillingspaaren im Jahr 2017 zu einer anderen Einschätzung. Die Aussage dieser Studie fasst sie im Fachjournal »Addiction« so zusammen: »Ein kurzzeitiger Cannabiskonsum im Jugendalter scheint weder den IQ noch Exekutivfunktionen zu beeinträchtigen, selbst dann nicht, wenn das Ausmaß des Konsums den Grad der Abhängigkeit erreicht.« Stattdessen seien »familiäre Hintergrundfaktoren« die Erklärung für das schlechtere Abschneiden von Cannabiskonsumenten in IQ-Tests (DOI: 10.1111/add.13946).

Ob die Schäden nun reversibel sind oder nicht: Fest steht, dass Jugendliche sich sicherheitshalber beim Konsum von Cannabis sehr zurückhalten und ihn am besten ganz vermeiden sollten.

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