Warum vor allem Teenager nicht kiffen sollten |
Annette Rößler |
12.10.2022 18:00 Uhr |
Während des Übergangs vom Kind zum Erwachsenen entwickelten Menschen mehr und mehr die Fähigkeit, komplexe Aufgaben zu lösen und ihren Affekt zu kontrollieren, um so auch langfristige Ziele zu erreichen. Dies gehe mit einer Umstrukturierung von Hirnregionen einher, die an kognitiven, emotionalen, motivationalen und sensomotorischen Systemen beteiligt seien. Verbindungen zwischen einzelnen Hirnarealen würden neu etabliert, gestärkt, ausgedünnt oder gänzlich gekappt. Bei all diesen Veränderungen spiele das Endocannabinoidsystem eine Schlüsselrolle.
Endocannabinoide wie Anandamid sind die körpereigenen Liganden der Cannabinoidrezeptoren CB1 und CB2. Laut Lubman und Kollegen zählt der CB1-Rezeptor zu den am weitesten exprimierten G-Protein-gekoppelten Rezeptoren im zentralen Nervensystem. Die Aktivierung von präsynaptischen CB1-Rezeptoren hemme sowohl die GABA-erge als auch die glutamaterge Neurotransmission. Auf diese Weise reguliere der CB1-Rezeptor die Balance zwischen inhibitorischer und exzitatorischer neuronaler Aktivität.
Darüber hinaus sei das Endocannabinoidsystem an der Neuronalentwicklung beteiligt. Ein Konsum von Cannabis könne in kritischen Phasen dieser Entwicklung störend wirken, da externe Cannabinoide wie THC dieselben Rezeptoren aktivieren wie Endocannabinoide. Mögliche Folgen seien eine erhöhte Anfälligkeit für psychiatrische Erkrankungen wie Schizophrenie oder Depression, aber auch Einbußen etwa bei der Lern- und Gedächtnisfunktion sowie bei der Konzentrationsfähigkeit.
Eine solche kritische Phase ist etwa die Embryonalentwicklung, wie erst kürzlich eine Auswertung der großen prospektiven ABCD-Studie (Adolescent Brain Cognitive Development) bestätigte (»JAMA Pediatrics« 2022, DOI: 10.1001/jamapediatrics.2022.3191). Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft gekifft hatten, erwiesen sich darin im Teenageralter als anfälliger für verschiedene psychiatrische Erkrankungen als Gleichaltrige, die im Mutterleib keinem Cannabis ausgesetzt gewesen waren.
Dass auch die Pubertät in diesem Zusammenhang eine kritische Entwicklungsphase ist, halten sehr viele Experten für plausibel. Laut Lubman und Kollegen gebe es mittlerweile genügend Evidenz dafür, dass ein länger dauernder Cannabiskonsum im Jugendalter schädlich sei. Sie betonen dabei aber, dass das Kiffen etwa im Zusammenhang mit Schizophrenie wohl nur einer von mehreren Risikofaktoren sei. Daneben spielten etwa eine genetische Veranlagung, aber auch andere Umweltfaktoren eine Rolle. Sie verweisen auf die sogenannte Two-Hit-Hypothese, der zufolge erst zwei oder mehrere dieser Faktoren zusammen letztlich zur Krankheitsentwicklung führen könnten.
Gerade beim Thema Schizophrenie ist zudem die Ursache-Wirkungs-Beziehung zum Cannabis noch nicht geklärt. Es könnte nämlich auch sein, dass Menschen, die eine Veranlagung zur Entwicklung von Psychosen haben, gleichzeitig besonders anfällig dafür sind, die Kontrolle über ihren Cannabiskonsum zu verlieren. Hierfür fand etwa ein niederländisches Forscherteam in einer genomweiten Assoziationsstudie mit 184.765 Individuen Hinweise (»Nature Neuroscience« 2018, DOI: 10.1038/s41593-018-0206-1) und bestätigte damit die Ergebnisse einer britischen Arbeitsgruppe aus dem Jahr 2014 (»Molecular Psychiatry«, DOI: 10.1038/mp.2014.51).