Warum nicht einfach nachbestellen? |
| Daniela Hüttemann |
| 05.11.2020 18:00 Uhr |
72 Stunden nach der Beimpfung werden die Eier, in denen die Grippeviren vermehrt werden, durchleuchtet. Aussortiert werden jene, die nicht den Qualitätskriterien entsprechen. / Foto: GSK
Eigentlich ist die Produktion von Grippeimpfstoffen ein gut eingespielter Prozess, man kann sogar von einer eng getakteten logistischen Meisterleistung sprechen. Denn während die Impfstoffe für die nördliche Halbkugel gerade ausgeliefert sind, läuft bereits die Produktion für die Südhalbkugel auf Hochtouren. Und ab Dezember geht es schon wieder für die Nordhalbkugel los. Wie genau laufen Planung und Herstellung ab? Darüber informierte Dr. Jacqueline Schönfelder, die Leiterin des Impfstoffwerks von Glaxo-Smith-Kline (GSK) in Dresden, wo jährlich Millionen Dosen Grippeimpfstoff für die weltweite Distribution hergestellt werden können. Außerdem werden hier GSKs Hepatitis-Impfstoffe hergestellt.
»Im Prinzip geht es schon im Mai des Vorjahres los, da bestellen wir die Bruteier, in denen das Virus gezüchtet wird«, erklärte Schönfelder bei einem virtuellen Pressegespräch. Es sind spezielle Legehennen, deren Eier dafür genommen werden. Schätzungsweise 80 Prozent der weltweit verimpften Grippeimpfstoffe basierten noch auf dieser Produktionsweise. Neuere Impfstoffe auf Zellkulturbasis wie Flucelvax® Tetra oder rekombinant hergestellte wie Sanofis Supemtek®/Flublok® sind bislang nur wenige weltweit verfügbar.
Virushaltige Flüssigkeit wird aus den Eiern gesaugt und in den folgenden Prozess-Schritten immer weiter aufgereinigt und konzentriert, und schließlich inaktiviert. / Foto: GSK
Etwa im Dezember gehen die ersten Produktionsschritte für die Grippeimpfstoffe im folgenden Herbst los. Im Februar gibt zunächst die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihre Empfehlung, welche Influenzastämme im Impfstoff enthalten sein sollen. Dabei greift sie auf Daten von Sentinel-Laboren weltweit zurück. Insbesondere die dann gerade zirkulierenden Influenzaviren auf der Südhalbkugel werden berücksichtigt. Im März legt dann die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) für die EU die vier Stämme fest, deren Antigene in den Vakzinen enthalten sein sollen.
Die Impfstoffhersteller erhalten nun von den Behörden die vier Arten Impfviren in abgeschwächter Form, mit denen die Hühnereier jeweils einzeln automatisiert »geimpft« werden. 72 Stunden lang werden die Eier unter kontrollierten Bedingungen bebrütet und die Viren können sich vermehren. Anschließend wird »geerntet« und die Viruslösung wird im Reinraum filtriert und zentrifugiert. Die zu diesem Zeitpunkt noch vollständigen Viren werden dann chemisch gespalten und biochemisch inaktiviert. Daraus werden als Antigene die zwei Oberflächenproteine Hämagglutinin (H) und Neuraminidase (N) gewonnen, und zwar für jeden Impfstamm separat.
Anschließend wird der Impfstoff pharmazeutisch formuliert. Dabei wird eine vordefinierte Menge im Mikrogramm-Bereich von jeweils allen vier Impfstämmen zu einer Dosis vereint. Dann wird die fertige Impflösung maschinell in Ampullen beziehungsweise Fertigspritzen abgefüllt. Einen Einblick in die Produktion in Dresden gibt dieses Firmen-Video:
»Bei jedem einzelnen Schritt erfolgen ständig Qualitätskontrollen«, betont Schönfelder. Bis eine Impfstoffcharge das Werk verlässt, habe sie mehr als 3500 Tests durchlaufen. Unter anderem erfolgt nach der Abfüllung noch eine automatische Sichtprüfung, zum Beispiel auf Partikel, aber auch ob das Volumen stimmt. Zum Schluss erfolgen Etikettierung und Verpackung (im Fall von GSKs Grippeimpfstoff an einem anderen Standort), bevor nach der Chargenfreigabe durch das Paul-Ehrlich-Institut die Auslieferung an den Pharmagroßhandel erfolgen kann.
Der gesamte Planungs- und Produktionsprozess für eine Impfsaison dauert also länger als die häufig zitierten sechs Monate. Das erklärt auch, warum nicht beliebig viel Grippeimpfstoff nachproduziert werden kann. »Die Rohmaterialien wie die Serumeier, die technischen Kapazitäten und auch qualifiziertes Personal müssen schließlich vorhanden sein«, erklärt Schönfelder.
Nach der Formulierung des Impfstoffes wird dieser im Isolator in Spritzen abgefüllt. / Foto: GSK
Trotzdem habe man dieses Jahr aufgrund der stark erhöhten Nachfrage versucht, die Produktion so groß auszuweiten wie möglich. »Als im März die ersten Nachbestellungen kamen, konnten wir noch etwas nachjustieren«, so die Werksleiterin. So konnten zum Beispiel noch Bruteier von älteren Legehennen verwendet werden. »Wir haben den ganzen Sommer über noch Antigen für die Nordhalbkugel weiter produziert, sodass wir dieses Jahr aus Dresden einige Millionen Impfdosen mehr für den weltweiten Bedarf liefern können als ursprünglich geplant.«
Weltweit forsche man an anderen Grippeimpfstoffen, um von den Hühnereiern wegzukommen. Das soll die Produktion vereinfachen und auch verkürzen. Zudem setzt GSK auf seine verschiedenen Adjuvanzien-Systeme, die deutliche Mengen Antigen pro Impfdosis einsparen helfen können. Für das nächste Jahr appellierte die Werksleiterin an die Ärzte und Apotheker, frühzeitig, und zwar bis Ende Februar zu bestellen. Denn nächsten Monat geht schon die Produktion für die Grippesaison 2021/2022 los.