Warum gibt es mehr Rheuma-Diagnosen – gerade im Alter? |
Brigitte M. Gensthaler |
28.08.2023 16:30 Uhr |
Auch bei älteren Menschen können rheumatische Erkrankungen neu auftreten – und erfordern dann eine konsequente Therapie. / Foto: Getty Images/eclipse_images
Aktuell leben mehr als zwei Millionen Erwachsene in Deutschland mit einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung. Dies hat ein Team um Dr. Katinka Albrecht vom Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin in einer systematischen Literaturrecherche zur Prävalenz von rheumatischen Erkrankungen ermittelt (DOI: 10.1007/s00393-022-01305-2). »Die Häufigkeit rheumatischer Erkrankungen nimmt zu und ist höher als gedacht«, resümierte Professor Dr. Christoph Baerwald, Kongresspräsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie, bei der digitalen Vorabpressekonferenz anlässlich des DGRh-Kongresses Ende August.
Die Prävalenz in Deutschland liege bei 2,2 bis 3 Prozent; dies entspreche etwa 1,5 bis 2,1 Millionen Betroffenen, erklärte der Rheumatologe. »Die Prävalenz der juvenilen idiopathischen Arthritis wurde mit etwa 0,1 Prozent errechnet, was etwa 14.000 Kindern und Jugendlichen in Deutschland entspricht.« Im Vergleich zu den letzten verfügbaren Daten von 2016 sei dies ein deutlicher Anstieg.
Weitere Daten lieferte eine Studie aus England, die neben entzündlich-rheumatischen Erkrankungen zahlreiche weitere Autoimmunerkrankungen erfasste. Hierzu hatten Wissenschaftler elektronische Krankenakten von etwa 22 Millionen Menschen analysiert (DOI: 10.1016/S0140-6736(23)00457-9). Sie fanden einen Anstieg der Inzidenz von Autoimmunerkrankungen in den Jahren 2017 bis 2019 verglichen mit dem Zeitraum 2000 bis 2002.
»Die größten relativen Anstiege wurden für Zöliakie, das zu den Kollagenosen zählende Sjögren-Syndrom und Morbus Basedow gezeigt. Auch rheumatische Erkrankungen nahmen zu«, berichtete Baerwald. Zudem war eine rheumatoide Arthritis umso häufiger, je niedriger der sozioökonomische Status war. Ein leichter Rückgang wurde nur bei wenigen Autoimmunerkrankungen, darunter perniziöse Anämie und Hashimoto-Thyreoiditis, festgestellt. Insgesamt war etwa jeder Zehnte von einer Autoimmunerkrankung betroffen, Frauen etwas häufiger als Männer.
Laut Baerwald beruht der Anstieg auf dem demografischen Wandel und einer besseren Frühdiagnostik. Im Alter nähmen manche rheumatischen Erkrankungen zu, bestätigte Professor Dr. Ulf Wagner, Leiter des Bereichs Rheumatologie am Universitätsklinikum Leipzig, für die rheumatoide Arthritis als häufigste rheumatische Autoimmunerkrankung. Die Altersverteilung bei Erstdiagnose sei »zweigipflig«: zwischen dem 25. und 40. Lebensjahr und ab dem 60. Lebensjahr. Dann sprechen Ärzte von LORA (Late Onset Rheumatoid Arthritis).
Diese Sonderform sei häufig durch einen sehr schnellen und hochakuten Krankheitsbeginn, große Schmerzen sowie einen besonders schweren gelenkdestruierenden Verlauf gekennzeichnet, sagte der Rheumatologe. Man müsse bei älteren und hochbetagten Menschen immer auch an ein mögliches Neuauftreten einer rheumatischen Erkrankung denken und LORA-Patienten konsequent behandeln. Jedoch seien die meisten Antirheumatika nicht an alten Menschen mit Komorbiditäten und Polymedikation geprüft.
»Standard-Immunsuppressiva sind bei Hochbetagten genauso im Einsatz wie bei Jüngeren. Beispielsweise vertragen alte Patienten Methotrexat nicht schlechter als Jüngere«, erklärte der Arzt gegenüber der PZ. »Wahrscheinlich können wir ältere Patienten genauso behandeln wie jüngere, aber dazu gibt es keine strukturierten Untersuchungen.«