Warum die Fallzahlen von Autismus ansteigen |
Theo Dingermann |
26.09.2025 18:00 Uhr |
Trotzdem ist die Frage nach biologischen Ursachen der Erkrankung wichtig. Aktuelle Erkenntnisse weisen auf eine starke genetische Komponente hin: Eine multinationale Zwillingsstudie schätzt den genetischen Anteil am Krankheitsrisiko von Autismus auf etwa 80 Prozent. Etwa 10 bis 20 Prozent der Fälle lassen sich auf seltene, hochwirksame De-novo-Mutationen zurückführen, die oft spontan in Keimzellen entstehen. Darüber hinaus tragen Hunderte bis Tausende häufige genetische Varianten mit jeweils minimalem Effekt zur Gesamtanfälligkeit bei.
Umweltfaktoren spielen gegenüber der Genetik eine untergeordnete, aber nicht zu vernachlässigende Rolle. Diese haben fast ausschließlich pränatal, also vor der Geburt, einen Effekt. Zu den am besten belegten Umweltassoziationen gehören höheres elterliches Alter (verbunden mit erhöhter De-novo-Mutationsrate), mütterliche Infektionen während der Schwangerschaft, Luftverschmutzung (insbesondere Ozonexposition) sowie mütterliche metabolische Zustände wie Adipositas oder Gestationsdiabetes. Allerdings fehlt bei vielen dieser Assoziationen die Replikationskonsistenz, was auf komplexe Gen-Umwelt-Interaktionen hindeutet.
Neuere Forschungsansätze setzen daher auf große, multizentrische Datensätze wie das GEARS Autism Center of Excellence Network, das genetische, epigenetische, klinische und umweltbezogene Daten von circa 175.000 Personen aus den USA, Kanada und Dänemark integriert. Ziel ist es, Interaktionsmuster zwischen genetischer Prädisposition und pränatalen Expositionen zu entschlüsseln.
Parallel gewinnt ein phänotypisch orientierter Ansatz an Bedeutung: Statt Autismus als einheitliche Erkrankung zu betrachten, fokussieren Projekte wie AIMS-2-TRIALS auf transdiagnostische Merkmale, also auf Faktoren, die bei verschiedenen Erkrankungen wie Autismus-Spektrum-Störung, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung oder Migräne eine Rolle spielen. Hier zu nennen sind etwa die sensorische Verarbeitung oder glutamaterge Neurotransmission. Diese Kenntnisse könnten letztlich genutzt werden, um personalisierte Interventionsstrategien zu entwickeln.
Demgegenüber birgt die politische Einflussnahme durch Kennedy im Rahmen der ADSI das Risiko, evidenzbasierte Forschung zu untergraben und Stigmatisierung zu verstärken, etwa durch diskreditierende Aussagen zur gesellschaftlichen »Nutzlosigkeit« von Patienten mit einer Autismus-Spektrum-Störung. Wissenschaftlich fundierte Fortschritte erforderten integrative, partizipative und methodisch robuste Ansätze, nicht vereinfachende Narrative, so Pearson.