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Politik versus Wissenschaft

Warum die Fallzahlen von Autismus ansteigen

In den USA gibt es eine aufgeladene Debatte um steigende Autismus-Diagnosen, in der Impfstoffe und zuletzt auch Paracetamol als Ursachen ins Spiel gebracht wurden. Die Faktenlage ist aber eine ganz andere. Was über die Ursachen von Autismus bisher bekannt ist. 
AutorKontaktTheo Dingermann
Datum 26.09.2025  18:00 Uhr

Die Diskussion um steigende Fallzahlen von Autismus-Diagnosen steht hoch auf der Agenda des US-amerikanischen Gesundheitsministers Robert F. Kennedy Jr. Vor allem Impfstoffe werden in seinen Kreisen als Ursache für Autismus verdächtigt. Zudem wird aktuell auch Paracetamol, das in den USA unter dem Wirkstoffnamen Acetaminophen und der Marke Tylenol® bekannt ist, als Ursache für Autismus ins Spiel gebracht, wenn es während der Schwangerschaft eingenommen wird. Hierzu meldete sich zuletzt der US-Präsident zu Wort.

Im Wissenschaftsmagazin »Nature« erschien vor Kurzem ein einordnendes News-Feature von der Wissenschaftsjournalistin Helen Pearson, die diesen Beitrag noch vor Beginn der Tylenol-Debatte geschrieben hatten. Demnach hatte Kennedy im April 2025 angesichts steigender Autismus-Prävalenzzahlen in den USA (eine Verdoppelung gegenüber 2010) von einer »Epidemie« gesprochen und diese auf eine Umwelttoxizität zurückgeführt.

Als Konsequenz dieser Entwicklung kündigte die Kennedy unterstellte Gesundheitsbehörde National Institutes of Health (NIH) die Autism Data Science Initiative (ADSI) an, die mit bis zu 50 Millionen US-Dollar (43 Millionen Euro) öffentlichen Mitteln gefördert wird und verantwortliche Umweltursachen identifizieren soll. Bei Wissenschaftlern stößt diese Initiative auf erhebliche Skepsis.

Die Kritik richtet sich vor allem gegen Kennedys einseitige Fokussierung auf Umweltfaktoren und seine implizite Wiederbelebung der längst widerlegten Impfstoff-Hypothese. Metaanalysen und große epidemiologische Studien haben wiederholt gezeigt, dass zwischen Impfungen und Autismus kein kausaler Zusammenhang besteht.

Nicht häufiger, aber häufiger erkannt

Stattdessen betont die Wissenschaftsgemeinschaft, dass der beobachtete Anstieg der Erkrankungen überwiegend auf nicht biologische Faktoren, die die Diagnostik betreffen, zurückzuführen ist. Dazu zählen die Erweiterung der diagnostischen Kriterien insbesondere durch DSM-4 im Jahr 1994 und DSM-5 2013 – Letzteres ordnete unter anderem das Asperger-Syndrom der Autismus-Spektrum-Störung zu –, verbesserte diagnostische Instrumente (strukturierte Interviews, standardisierte Beobachtungsskalen), gesteigerte Aufklärung in Bildungs- und Gesundheitssystemen sowie eine frühere und breitere Diagnostik, insbesondere bei Mädchen und Erwachsenen, bei denen Autismus historisch vielfach übersehen wurde.

Epidemiologische Arbeiten wie eine dänische Kohortenstudie von Forschenden der Universität Aarhus aus dem Jahr 2015 schätzen, dass allein Änderungen in Diagnosepraxis und Meldeverfahren etwa 60 Prozent des Prävalenzanstiegs erklären. Eine aktuelle schwedische Längsschnittstudie zeigt zudem, dass die Prävalenz von Autismus-Symptomen (basierend auf elterlichen Berichten im Alter von 18 Jahren) stabil geblieben ist, während die administrative Diagnoseprävalenz stark gestiegen ist – ein weiterer Beleg dafür, dass der Anstieg primär auf verbesserter Erfassung beruht. Autismus tritt also nicht häufiger auf, er wird nur häufiger erkannt.

Umweltfaktoren spielen eine untergeordnete Rolle

Trotzdem ist die Frage nach biologischen Ursachen der Erkrankung wichtig. Aktuelle Erkenntnisse weisen auf eine starke genetische Komponente hin: Eine multinationale Zwillingsstudie schätzt den genetischen Anteil am Krankheitsrisiko von Autismus auf etwa 80 Prozent. Etwa 10 bis 20 Prozent der Fälle lassen sich auf seltene, hochwirksame De-novo-Mutationen zurückführen, die oft spontan in Keimzellen entstehen. Darüber hinaus tragen Hunderte bis Tausende häufige genetische Varianten mit jeweils minimalem Effekt zur Gesamtanfälligkeit bei.

Umweltfaktoren spielen gegenüber der Genetik eine untergeordnete, aber nicht zu vernachlässigende Rolle. Diese haben fast ausschließlich pränatal, also vor der Geburt, einen Effekt. Zu den am besten belegten Umweltassoziationen gehören höheres elterliches Alter (verbunden mit erhöhter De-novo-Mutationsrate), mütterliche Infektionen während der Schwangerschaft, Luftverschmutzung (insbesondere Ozonexposition) sowie mütterliche metabolische Zustände wie Adipositas oder Gestationsdiabetes. Allerdings fehlt bei vielen dieser Assoziationen die Replikationskonsistenz, was auf komplexe Gen-Umwelt-Interaktionen hindeutet.

Neuere Forschungsansätze setzen daher auf große, multizentrische Datensätze wie das GEARS Autism Center of Excellence Network, das genetische, epigenetische, klinische und umweltbezogene Daten von circa 175.000 Personen aus den USA, Kanada und Dänemark integriert. Ziel ist es, Interaktionsmuster zwischen genetischer Prädisposition und pränatalen Expositionen zu entschlüsseln.

Parallel gewinnt ein phänotypisch orientierter Ansatz an Bedeutung: Statt Autismus als einheitliche Erkrankung zu betrachten, fokussieren Projekte wie AIMS-2-TRIALS  auf transdiagnostische Merkmale, also auf Faktoren, die bei verschiedenen Erkrankungen wie Autismus-Spektrum-Störung, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung oder Migräne eine Rolle spielen. Hier zu nennen sind etwa die sensorische Verarbeitung oder glutamaterge Neurotransmission. Diese Kenntnisse könnten letztlich genutzt werden, um personalisierte Interventionsstrategien zu entwickeln.

Demgegenüber birgt die politische Einflussnahme durch Kennedy im Rahmen der ADSI das Risiko, evidenzbasierte Forschung zu untergraben und Stigmatisierung zu verstärken, etwa durch diskreditierende Aussagen zur gesellschaftlichen »Nutzlosigkeit« von Patienten mit einer Autismus-Spektrum-Störung. Wissenschaftlich fundierte Fortschritte erforderten integrative, partizipative und methodisch robuste Ansätze, nicht vereinfachende Narrative, so Pearson.

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